Fußballfans und Trauergäste

“...halten dem Brian Born die Treue / Die alte Dorfkneipe liegt an der Hauptstraße nach Derry  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Ich habe gerade einen Fuß in die Kneipe gesetzt, als mir ein Betrunkener um den Hals fällt und mir einen Schluck seines Guinness anbietet. Zunächst fällt mir auf, daß er eine grün -weiße Mütze, einen grün-weißen Schal und eine grün-weiße Jacke trägt. Auf den zweiten Blick sehe ich, daß fast alle Leute im Pub so gekleidet sind. Am Abend hatte das Fußball -Länderspiel zwischen der Republik Irland und Frankreich stattgefunden. Das Stadion „Dalymount Park“, das nur einen Steinwurf von meiner Stammkneipe entfernt liegt, war ausverkauft, obwohl es nur ein Freundschaftsspiel war. Das Spiel war erbärmlich und endete torlos. Das tat der Freude jedoch keinen Abbruch. Der Fußball, der traditionell als „barbarische englische Sportart“ angesehen wurde, hat seit dem letzten Sommer erheblich an Popularität gewonnen. Damals hatte die irische Nationalmannschaft bei den Europameisterschaften in der Bundesrepublik den Erzfeind England besiegt. Davon zehrt die Mannschaft noch heute, egal wie schlecht sie spielt. Jackie Charlton, dem englischen Trainer des Teams, ist sein Geburtsort längst verziehen.

Der „Dalymount Park“ liegt im ärmeren Nordteil Dublins. Eigentlich sollte er in ein Bürohochhaus umgewandelt werden, aber nach dem historischen Sieg über England wagte niemand, das Mekka des irischen Fußballs dem Erdboden gleich zu machen. Das „Brian Boru“ liegt ganz in der Nähe an der Hauptstraße nach Derry in Nordirland. Schon Joyce hat diese Kneipe in seinem „Ulysses“ erwähnt, allerdings nur in einem Nebensatz. Die Kneipe gibt es seit 1868. Damals war es noch eine Dorfkneipe mit angeschlossenem Lebensmittelladen, aber mit der Eröffnung des „Prospect Cemetery“, dem heute größten Friedhof Dublins, ging der Alkoholumsatz sprunghaft in die Höhe. Schließlich ist es Tradition in Irland, daß jeder Tod mit einem gewaltigen Besäufnis begangen wird. Im Jahr 1904 ging die Kneipe in den Besitz der Hedigans über, denen sie auch heute noch gehört. Und immer noch besteht ein Großteil der Kundschaft aus Trauergästen - und aus Fußballfans.

„Trauergäste sind mir lieber“, sagt Michael Hedigan, der heutige Besitzer des Ladens. „Die betrinken sich wenigstens fromm in der Ecke und machen keinen Ärger.“ Und die Fußballfans? „Die meisten sind ja okay“, sagt Michael, „besonders bei Länderspielen. Aber bis vor ein paar Jahren gab es diese unselige Gewohnheit, den irischen Meister zwischen Nordirland und Südirland zu ermitteln - und das ausgerechnet im Dalymount Park.“ Der nordirische Meister heißt seit Jahren „FC Linfield“, eine extrem protestantische Mannschaft, in der keine Katholiken spielen dürfen, auch wenn sie Maradona hießen. In dieser Saison wurde das eherne Prinzip jedoch verletzt, allerdings aus Versehen. Linfield“ verpflichtete zu Saisonbeginn einen Schwarzafrikaner, der sich als Virtuose erwies und bald zum Publikumsliebling wurde. Das ging jedoch nur so lange gut, bis nach drei Monaten herauskam, daß er katholisch war. „Linfield“ hatte zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Katholiken verpflichtet, wenn auch unwissentlich, weil man einem Afrikaner so etwas nicht zugetraut hätte. Der Vertrag wurde sofort gelöst. Die Meisterschaftsspiele in Dublin sahen die Linfield-Fans immer als Neuauflage der Schlacht am Boyne, wo 1690 die protestantische Thronfolge in England gesichert wurde.

„Das Spiel zwischen Linfield und den Shamrock Rovers sollte erst um 18 Uhr anfangen“, erzählt Michael Hedigan. „Aber schon ab zehn Uhr morgens paradierten die Linfield-Fans vor der Kneipe auf und ab. Eine ganze Familie - Opa, Vater, Mutter und drei Kinder - fingen plötzlich an, unsere Fenster im ersten Stock mit Steinen einzuschmeißen.“ Meinte Margaret Thatcher das, als sie sagte, Fußball müsse wieder zum Familiensport werden? Aber es kam noch schlimmer. „Uns war natürlich klar, daß die Hooligans nach dem Spiel wieder an unserer Kneipe vorbei mußten“, sagt Michael Hedigan. Der Laden wurde daher geschlossen. Zur Bewachung lieh man sich einen abgerichteten deutschen Schäferhund. „Nach dem Spiel trieb die Polizei die Linfield-Fans wie eine Viehherde in Richtung Norden,“ sagt Michael. „Nur vergaßen die Deppen, die Geschäfte auf dem Weg zu sichern.“ Keine einzige Scheibe im gesamten Gebäude blieb heil. Der Schäferhund entpuppte sich als Versager. „Als die erste Scheibe zu Bruch ging, verkroch sich das Tier hinter der Bar,“ erzählt Michael. „Gleichzeitig breitete sich ein widerlicher Gestank im ganzen Laden aus. Zuerst dachten wir, die Linfield-Fans hätten Stinkbomben in die Kneipe geworfen, bis ich merkte, daß dieser verdammte Köter vor Angst unaufhörlich furzte.“ Nachdem es schon fast zur Tradition geworden war, daß die Linfield-Fans alljährlich Nord-Dublin verwüsteten, hatte der Fußballverband schließlich Erbarmen und stellte die Meisterschaftsspiele ein.