Wie werden die Belange der BRD gewahrt?

In Friedland im Landkreis Göttingen sollen Asylbewerber ihre Wohnungen räumen, um Aussiedlern Platz zu machen Gemeindeverwaltung und Landkreis widersprechen sich, ob Zwang bei der Vertreibung von Kurden anzuwenden ist  ■  Aus Friedland Reimar Paul

Der Alte und seine Frau sind auf dem Sofa in der Ecke des Wohnzimmers zusammengerückt. Zwei jüngere Männer, die Söhne, schenken Tee nach und erzählen. Die Familie stammt aus einem Dorf im türkischen Teil Kurdistans. Nachts, nicht jede Nacht, aber immer wieder, kam das Militär. „Wir mußten dann weglaufen“, sagt O. Er möchte nicht, daß sein Name in der Zeitung genannt wird. „Wir mußten uns auf dem Berg verstecken, bei Schnee und ohne Decken. Wir mußten fliehen oder wir wurden verprügelt.“ Deswegen seien sie weggegangen und hätten hier in der Bundesrepublik um politisches Asyl gebeten. Das war vor vier Jahren.

Die kurdische Familie, 13 Personen insgesamt, bewohnt das Erdgeschoß eines Zweifamilienhauses in einem Dorf der Samtgemeinde Friedland. Die Kinder gehen im Ort zur Schule, haben hier Freunde. Trotz ihres nahezu rechtlosen Status sie dürfen den Landkreis Göttingen nicht verlassen, nicht arbeiten, sich nicht politisch betätigen - und obwohl sie die wachsende ausländerfeindliche Stimmung spüren, möchten sie bleiben. „Hier werden wir wenigstens nicht geschlagen.“

Aber die Kurden sollen raus aus Friedland. Und mit ihnen zirka 30 andere Asylbewerber, die in der Gemeinde leben. Ihre Wohnungen sollen freigemacht werden für Aussiedler.

Am 26.Januar flatterte der kurdischen Familie ein rüde gehaltenes Schreiben der Gemeindeverwaltung ins Haus. Es werde beabsichtigt, heißt es darin, „Sie (...) anderweitig unterzubringen. Vorgesehen ist ein Haus in Duderstadt. (...) Ich bitte Sie, sich die Wohnung umgehend anzusehen und mir bis zum 27.1. (!) mitzuteilen, ob Sie die Wohnung annehmen.“

O. und sein Bruder besichtigten noch am selben Tag den angebotenen Wohnraum in dem konservativen, katholischen Grenzstädtchen. „Viel schlechter“, befanden sie. „Es gibt da nur zwei Schlafzimmer für 13 Personen.“ In Friedland haben sie fünf. Sie beauftragten einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen.

Dem wurde auf seine Intervention hin am 1.Februar vom Landkreis Göttingen schriftlich mitgeteilt, die Behörde sei „aufgrund einer Verfügung der Bezirksregierung Braunschweig (...) gehalten, die in der Gemeinde Friedland untergebrachten Asylbewerber von dort unverzüglich abzuziehen“.

Dieser Erlaß aus Braunschweig indes datiert bereits vom Mai 1986. Er nimmt Friedland von der Beherbergung von Asylbewerbern aus, weil die Gemeinde als Standort des Grenzdurchgangslagers von der Aussiedlerwelle viel stärker als andere betroffen sei. Warum die Verfügung erst jetzt herausgekramt wurde, wußte der Friedländer Gemeindedirektor Voigt auch nicht zu erklären. Das Papier müsse wohl irgendwo am Rande des Dienstwegs liegengeblieben und vorübergehend verlorengegangen sein. Voigt, durch seinen kürzlich in Frank Elstners Fernsehshow Nase vorn verbreiteten Appell für mehr Aussiedlerwohnraum zu bundesweiter Bekanntheit gelangt, möchte seinen Brief an die Kurden auch nicht so verstanden wissen, wie er sich liest. „Eine Umquartierung soll nur erfolgen, wenn die Betroffenen auch damit einverstanden sind.“ Und: „Daß ein Lastwagen vorfährt, um die Familie O. samt Möbeln abzutransportieren, dazu wird es nicht kommen.“

Oder doch. Denn der Landkreis als obere und weisungsbefugte Behörde sieht das ganz anders. Asylbewerber hätten generell kein Anrecht darauf, beliebig lange in einer bestimmten Wohnung zu bleiben, erklärte Kreisdirektor Parr gegenüber der taz. Im speziellen Fall der 13 Kurden verhalte es sich so, daß sie, weil ihr Asylgesuch in erster Instanz bereits abschlägig beschieden worden sei, „sowieso bald in die Türkei zurück müssen“. Zwar ist noch keine endgültige Entscheidung über das Ob und Wie eines Zwangsumzugs nach Duderstadt getroffen worden, aber, so Parr weiter, „das Verfahren ist am Laufen“. Es gebe „keinen rechtlichen Grund, die Kurden nicht zum Weggehen aus Friedland zu veranlassen“. Höhere Belange, „die Belange der Bundesrepublik Deutschland“ nämlich, „müssen gewahrt bleiben“. Die Anwendung von Zwangsmitteln schloß Parr nicht aus.

Die Kurden sehen sich als gegen ihren Willen verpflichtete Akteure des bundesweit inszenierten Stückes Wie spiele ich verschiedene Ausländergruppen gegeneinander aus?, das in Friedland auf kleiner kommunaler Bühne nachgespielt wird. Eine Sichtweise, von der die Behördenvertreter überhaupt nichts halten. Gemeindedirektor Voigt: „Das können Sie abhaken.“