Das Beratungsgesetz ist in weiter Ferne

Nach der Ankündigung der CSU, gegen den Paragraphen 218 zu klagen, ist ein Kompromiß in der Koalition unwahrscheinlich / Graf Lambsdorff macht Spekulationen um einen Deal mit den Liberalen ein Ende  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

In den Bonner Koalitionsparteien ist eine komplizierte Gemenge-Lage entstanden, nachdem die CSU ankündigte, sie wolle in Karlsruhe gegen den Paragraphen 218 klagen. Vorerst ist nur eines klar: Das Schwangerenberatungsgesetz, das seit einem halben Jahr auf Eis liegt, ist von einer Verabschiedung jetzt weiter entfernt denn je.

Seit dem 6.Juni vergangenen Jahres liegt der mittlerweile dritte Entwurf vor, und seitdem hatte es im entscheidenden Streitpunkt zwischen CSU und FDP keine Annäherung gegeben: Die Bayern beharren darauf, die in ihrem Bundesland bereits praktizierte „räumliche Trennung“ von Beratung und Indikationsstellung beizubehalten, während die FDP nur eine „personelle Trennung“ will. Die Liberalen pochen dabei auf den Wortlaut der Koalitionsvereinbarung, die eine bundeseinheitliche Regelung vorsieht und damit keine Bestandsgarantie für Bayern-Recht deckt. Außerdem drängen CSU und Lebensschützer innerhalb wie außerhalb der Union auf die Festschreibung eines Beratungsziels, das eindeutig für die Fortsetzung der Schwangerschaft plädiert und damit jene Beratungsstellen um ihre Anerkennung fürchten lassen muß, die sich - wie Pro Familia - an der Entscheidungsfreiheit der Frau orientieren.

Mit der CSU-Ankündigung, den „rechtsfreien Raum“ der Abtreibungspaxis in Karlruhe untersuchen zu lassen, erscheinen die erstarrten Fronten nun in neuem Licht. Während Regierungssprecher Ost und das Familienministerium sofort beteuerten, die Beratungen des Beratungsgesetzes würden fortgesetzt, konnten die FDP-Frauen eine klammheimliche Freude kaum verhehlen: Generalsekretärin Cornelia Schmalz-Jacobsen, die schon früher aus ihrer Ablehnung dieses „Hürdenlaufs durch die Instanzen“ keinen Hehl gemacht hatte, registrierte sofort, nun könne man „die Arbeit am Beratungsgesetz ruhen lassen“.

Die FDP-Frauenpolitikerin Uta Würfel will nicht einmal ausschließen, daß die Verfassungsrichter heute - wie 1976 bereits eine Minderheit - eine Fristenlösung für zulässig halten könnten: „Die CSU soll das ruhig versuchen - denn der Schuß kann auch nach hinten losgehen.“ Da die CSU nach ihrer Sicht mit einer Klage die Koalitionsvereinbarung - den geltenden Paragraphen nicht anzutasten - in Frage stellt, fühlen sich die liberalen Frauen nun von der Last befreit, ein Gesetz verfechten zu müssen, das sie selbst gar nicht wollen. „Still ruht der See“, frohlockte eine FDP -Frauenrunde in der vergangenen Woche.

Die CSU, die mit ihrer Klageabsicht einen stramm-rechten Kurs signalisiert hat, kann ihrerseits jetzt erst recht keine Zugeständnisse beim Beratungsgesetz machen, ohne den Terraingewinn im Lager der militanten AbtreibungsgegnerInnen sofort wieder zu verspielen. Auch wenn der Beschluß auf dem kleinen Parteitag der CSU letztlich durch eine gewisse Eigendynamik der Delegiertenstimmung zustande kam: Die Linie, nicht mehr auf den Koalitionspoker um eine kleine Lösung zu setzen, sondern lieber aufs Ganze zu gehen, deutete sich bereits vorher an, nachzulesen in einem Kommentar der 'Katholischen Nachrichtenagentur‘: „Was die Bischöfe wollen“, heißt es dort ultimativ, „ist kein Beratungsgesetz um jeden Preis: Ein Wischi-Waschi-Gesetz nutzt niemandem.“

Die Schwesterpartei CDU ist damit nun in die schwierigste Lage manövriert worden. Mit sprachlichen Pirouetten um die Vokabeln „respektieren“, „akzeptieren“ und „in der Zielsetzung begrüßen“ reagierten UnionspolitikerInnen in der vergangenen Woche auf den überraschenden CSU-Vorstoß. Wenn es deswegen nun in dieser Legislaturperiode kein Beratungsgesetz gebe, dann hätten sowohl CSU als auch FDP „gesiegt“, heißt es an der Spitze der Frauen-Union bedauernd. Die Lebensschützer in der Fraktion, wie der familienpolitische Sprecher Hoffacker, begrüßen hingegen eine CSU-Klage rückhaltlos; trotzdem soll „mit großer Energie“ über das Beratungsgesetz weiter verhandelt werden, so die verbale Bekundung auf der letzten Fraktionssitzung.

Familienministerin Lehr, die die Klage zunächst „nicht begrüßen“ wollte, wurde von ihrem Pressesprecher korrigiert, flüchtet sich aber beim Thema Beratungsgesetz ohnehin seit Amtsantritt in die Abstinenz nichtssagender Formulierungen.

In dieser desolaten Situation ist der Union nun auch der letzte Hoffnungsfunke zerstoben: Da zumindest einige Männer in der FDP - etwa der Vorsitzende der Kommission „Liberalismus und Kirchen“, Brunner - vehemente Befürworter des Beratungsgesetzes sind, war in den vergangenen Monaten immer wieder spekuliert worden, ob die Zustimmung der Liberalen zu den Bayern-Forderungen nicht doch mit einem „Deal“ erkauft werden könnte. Der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff hat diesen Spekulationen jetzt ein Ende gemacht: „Eine Bestandsgarantie für Bayern wird es mit uns nicht geben. Es macht mir keine schlaflosen Nächte, wenn das Beratungsgesetz nicht kommt.“