Für eine Arbeiterselbstverwaltung wie in den USA

Stefan Bratkowski, Vorsitzender des 1983 aufgelösten polnischen Journalistenverbandes, Solidarnosc-Delegierter am runden Tisch  ■ I N T E R V I E W

taz: Geht es bei den Gesprächen eigentlich noch um die Legalisierung von Solidarnosc?

Stefan Bratkowski: Das Problem der Legalisierung von Solidarnosc gibt es nicht mehr, das Problem heißt jetzt: Legitimiert man die Staatsmacht durch Wahlen? Für die Opposition ist das schwer zu schlucken, weil wir es eher hinnehmen würden, den derzeitigen Zustand noch etwas beizubehalten, als die Staatsmacht en bloc zu legitimieren. Der derzeitige Vorschlag der Regierung geht dahin, daß ein Teil der Parlamentssitze der Staatsmacht reserviert wird, während über den anderen Teil freie Wahlen entscheiden. 1979 war das ein ultraradikaler Vorschlag der Gruppe „Erfahrung und Zukunft“ (einer innerparteilichen Oppositionsgruppe von Intellektuellen, der auch Bratkowski angehörte), heute dagegen ist das zu wenig. Denn die Opposition will nicht auf der gleichen Liste wie die Vertreter der Staatsmacht kandidieren.

Laut Walesa will die Opposition schlicht und einfach demokratische Wahlen statt einer Wahlprozedur mit Einheitsliste und vorausbestimmtem Proporz. Der gleiche Walesa will aber auch die Staatsmacht nicht stürzen. Ist das nicht die Quadratur des Kreises?

Das Endziel ist die Demokratie. Es ist aber schwierig, vom Totalitarismus sofort in einem Satz zur Demokratie zu springen. Noch dazu in einer Situation, in der die Staatsmacht darauf nicht vorbereitet ist. Sie hat ihre Gegner in den eigenen Reihen und außerdem 700.000 Mann unter Waffen. Die Pressesprecher des Innen- und Verteidigungsministeriums haben ja schon erklärt, daß sie gegen jegliche Budgetkürzungen im Bereich dieser Ministerien sind.

Haben Sie denn den Eindruck, daß sie am runden Tisch mit der Staatsmacht sprechen oder nur mit einem Teil davon?

In meiner Unterkommission über gesellschaftliche Vereinigungen und Massenmedien habe ich überhaupt nicht den Eindruck, daß ich mit der Staatsmacht rede. Weil dort nur Juristen und Leute ohne Entscheidungskompetenz sitzen. Kwasniewski, der einzige Minister, der zu uns delegiert wurde, war während der Verhandlungen gar nicht anwesend. Natürlich gab es auch bisher keinerlei konkrete Ergebnisse. Zugleich verschlechtert sich aber die Wirtschaftslage, die Spannung steigt durch die ständigen Streiks, und ein Teil der Staatsmacht scheint auf weitere Preiserhöhungen zu setzen, was die Lage noch explosiver macht und letztlich in eine Katastrophe führen kann.

Wie stehen denn die Chancen, daß der Journalistenverband, dessen Vorsitzender Sie waren, wieder zugelassen wird?

Wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir schlicht weiterbestehen. Regierungssprecher Urban hat dagegen erklärt, alle Entscheidungen der Regierung nach Verhängung des Kriegsrechts seien geltendes Recht, also auch die Auflösung des Journalistenverbandes. Tatsächlich existiert der Verband weiterhin illegal. Was ihn hindert, legal zu werden, ist das sogenannte „Gesetz gegen Vereinigungen“ aus dem Jahr 1982. Wir wollen dieses Gesetz abschaffen, aber dabei sind wir noch am Anfang.

Mehr Gemeinsamkeiten gib es anscheind in Fragen der Wirtschaft.

Hier zeigt sich aber vor allem, daß es in einigen Bereichen überhaupt keine Fachleute gibt. Stellen Sie sich vor: Das letzte ordentliche Handbuch über Finanzverwaltung wurde in Polen zwei Jahre, bevor der derzeitige Finanzminister auf die Welt kam, gedruckt. Und das führt dann zu Absurditäten, die einfach durch Unwissenheit zustande kommen. Nehmen wir ein Beispiel: Seit dem ersten Januar gibt es neun Handelsbanken, die aus der Nationalbank ausgegliedert wurden. Aber vorher hat man kein Bankengesetz verabschiedet, so daß die neun jetzt sozusagen im rechtsfreien Raum existieren. Man hat auch kein einziges westliches Bankfachbuch übersetzt. Das jüngste, das man den Leuten an die Hand geben kann, stammt aus den zwanziger Jahren. Geschrieben hat es ein Autor, der seine Erfahrungen in der Donaumonarchie gesammelt hatte. Man müßte entweder Auslandspolen, die damit Erfahrung haben, oder ausländische Fachleute herbeiholen. In Südkorea, dessen Werften gerade dabei sind, die japanische Konkurrenz aus dem Rennen zu schlagen, beträgt der Anteil der Löhne an den Produktionskosten 30 Prozent, in den polnischen Werften bis vier Prozent. Das zeigt, was hier möglich wäre.

In Ungarn und der CSSR beruft man sich gerne auf das Beispiel des Prager Frühlings, wenn es um Wirtschaftsreformen geht. In Polen scheint das keine Rolle zu spielen.

Kaum. Wir hatten diese Diskussion 1956, sie wurde dann abgeblockt, und heute sind wir dreißig Jahre weiter. Im Grunde haben wir dreißig Jahre verloren. Und viele Leute, die damals noch mit Erfahrungen aus der Vorkriegszeit hätten helfen können, sind heute tot.

In der polnischen Wirtschaftsdiskussion hat man gelegentlich den Eindruck, von Minister Wilczek bis Professor Kurowski, der Vertreter der Neoliberalen in der Opposition, wollen alle nur möglichst schnell und schmerzlos weg von der Zentralverwaltungswirtschaft und hin zum Kapitalismus. Wird dabei nicht vergessen, daß es in Polen eine Arbeiterselbstverwaltung gibt, die im Grunde niemand in Frage stellt und die mit dem westlichen Kapitalismusmodell nur schwer in Einklang zu bringen ist?

Aber klar läßt sich das vereinbaren. In den USA befinden sich bereits zwanzig Prozent des amerikanischen Aktienkapitals in den Händen von Arbeitern, und es ist vorgesehen, das bis zum Jahr 2000 auszudehnen.

In Polen wählen die Arbeiter in der Selbstverwaltung aber beispielsweise die Direktoren.

Wenn sie in den USA Vorzugsaktien haben und im Aufsichtsrat vertreten sind, tun sie das auch. Arbeiter sind die besten Aktionäre, sie kennen die Firma, und als Eigentümer streiken sie auch nicht. Das ist eine weltweite Tendenz im Moment. Ist Finnland ein kapitalistisches oder ein sozialistisches Land? Das verschwimmt doch alles. Man muß sich da nichts Neues ausdenken, man muß sich nur etwas hernehmen, das es schon gibt, das sich bewährt hat, und es den eigenen Bedürfnissen anpassen.