Schewardnadse hält Khomeini die Stange

■ Audienz des Moskauer Außenministers beim iranischen Revolutionsführer Gruppen im Libanon wollen Rushdie töten / Demonstration in New York

Teheran/Berlin (ap/afp/taz) - Während der Aufruf zum Mord an dem britischen Autor Rushdie im Westen nach wie vor für Schlagzeilen sorgt, ist der sowjetische Außenminister Schewardnadse gestern von dem iranischen Revolutionsführer Khomeini höchstpersönlich empfangen worden. Anlaß der Audienz im Teheraner Nobelviertel Jamaran ist ein Brief, den Khomeini Anfang des Jahres an den sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow richtete.

In diesem ausführlichen Schreiben warnte Khomeini Gorbatschow vor der Orientierung an westlichen Gesellschaftsmodellen. Statt dessen forderte er ihn auf, sich ernsthaft mit dem Islam auseinanderzusetzen. Schewardnadse hatte nun die Antwort Gorbatschows in seinem Reisegepäck. Der Inhalt des Briefes wurde bisher noch nicht bekannt, dafür eine weitere Botschaft, die Khomeini dem sojwetischen Außenminister mit auf den Weg gab. Er, Khomeini, wolle mit seiner Mitteilung ein Fenster zu einer größeren Welt aufmachen, „der des Todes, welche die Ewigkeit ist, und das ist der Kern meiner Botschaft“. Khomeini spielt damit auf das Leben nach dem Tod an, für das in der offiziellen Ideologie der Sowjetunion kein Raum ist.

Bei dem ungewöhnlichen Treffen sprach sich Khomeini für „starke Beziehungen“ seines Landes mit der Sowjetunion aus, um den „teuflischen Taten des Westens“ entgegenzutreten. Vor zwei Tagen hatte Khomeini zu den Reaktionen auf seinen Mordaufruf an Rushdie erklärt, Iran brauche keine Beziehungen mit westlichen Ländern. In der iranischen Presse hatte es letzte Woche geheißen, die Reaktion des Westens nütze nur der Sowjetunion. Mit Schewardnadse besucht zum ersten Mal seit dem Sturz des Schahregimes ein sowjetischer Minister den Iran.

Radio Teheran sendete gestern den gesamten Text der Unterhaltung zwischen Khomeini und Schewardnadse. Der sowjetische Außenminister erklärte, die Zeit sei gekommen, auf allen Gebieten der Zusammenarbeit in eine neue Phase einzutreten. Moskau sei mit Teheran in vielen Fragen einer Meinung, und die Felder, in denen es unterschiedliche Standpunkte gebe, seien nicht wichtig. Ob der Streit um Rushdies Buch und den Mordbefehl zu diesen „Feldern“ zählt, ist nicht bekannt. Die Sowjetunion hat sich bisher in dieser Frage in Schweigen gehüllt.

Am morgigen Dienstag wird sich das iranische Parlament mit der Frage des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien beschäftigen, ein Schritt, der eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses zwischen der Islamischen Republik und der EG nach sich ziehen dürfte. Am Samstag hatte die iranische Führung bereits den für April geplanten Besuch ihres Bauministers in der Bundesrepublik abgesagt und einen „hohen westdeutschen Verantwortlichen“, offenbar LandwirtschaftsministerKiechle, ausgeladen.

Inzwischen ist der Aufruf Khomeinis, Rushdie wegen seines Buches zu verfolgen und zu töten, von Fundamantalistengruppen in verschiedenen Ländern wie im Libanon, in den USA, Indien, Pakistan und Bangladesch gutgeheißen worden. Die pro-iranische Organisation Hizballah gelobte am Samstag, Fortsetzung Seite 2

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Rushdie entsprechend dem Aufruf Khomeinis zu ermorden. Gestern teilte eine Gruppe namens „Revolutionäre moslemische Kräfte in der Welt“ in Beirut mit, Rushdie werde innerhalb von zwei Wochen hingerichtet. In New York demonstrierten am gleichen Tag mehrere Tausend moslemische US-Bürger für ein Verbot des Buches und die Ermordung seines Verfassers. In Indonesien, dem Land mit der größten Moslem-Bevölkerung der Welt, wurde die Veröffentlichung, Einfuhr und der Verkauf veboten.

In Nicaragua sprach sich Innenminister Tomas Borge gegen eine Veröffentlichung der Satanischen Verse aus. Borge begründete dies mit den

guten Beziehungen Nicaraguas zu Iran. Letzte Woche hatten sich nicaraguanische Intellektuelle in einem offenen Brief an Khomeini mit Rushdie solidarisiert. Die nationale Schweizer Organisation der Unesco, der Kulturorganisation der UNO, schlug demgegenüber vor, die Satanischen Verse in internationaler Zusammenarbeit herauszubringen. Rushdie, der seit dem Todesurteil untergetaucht ist, wandte sich am Sonntag in der Wochenzeitung 'The Observer‘ an die Öffentlichkeit. In einer Besprechung der Autobiographie des amerikanischen Schriftstellers Phillip Roth, der wegen seines 1959 veröffentlichten Romans Goodby, Columbus von jüdischer Seite heftig kritisiert und bedroht worden war, schrieb Rushdie: „Ich habe mich selbst in dieser seltsamen Lethargie wieder

erkannt... Ich erkenne auch diese dumme, erniedrigende Raserei wieder, die ihn ausrufen ließ: 'Ich schreibe nie wieder über Juden!'“

bs