Märchen aus weiblicher Sicht

■ In einem Bauernhaus bei Bassum hält das Kulturforum „Die Quecke“ seit einem Dreivierteljahr einen Teil seiner Veranstaltungen ab: Am Sonnabend erzählten Majanne Behrens und Trude Redecker Märchen

Man hat ein bißchen das Gefühl, in der Guten Stube des Besitzers Platz zu nehmen, wenn man den Veranstaltungsraum in Bünte betritt. So etwas wie Schwellenangst vor der intimen Atmosphäre überkommt den (erstmaligen) Besucher, wo, bitte, darf man sich setzen? Etwa 20 Klappstühle füllen den vorderen Teil des Dielenraums, der hintere wird eingenommen von einer mit bunten Tüchern umhängten

Guckkastenbühne. In der Küche wird Tee und Gebäck gereicht, zwei freundliche Schauspielerinnen plaudern mit Veranstaltern und ersten Besuchern, ein paar Kinder wuseln, alles wirkt familiär und miteinander vertraut, man kennt sich.

Hier, in einem gemütlichen Bauernhaus am Stadtrand von Bassum, hält das Kulturforum „Die Quecke“ seit einem Dreivierteljahr einen Teil seiner Ver

anstaltungen ab, Musik, Lesungen, Vorträge, Kleinkunst. Am Sonnabend paßte die Wohnzimmeratmosphäre besonders gut, denn Majanne Behrens und Trude Redecker sind Märchenerzählerinnen, stehen mithin in der Tradition einer Gattung, die den Menschen die Abenteuer auf die Plätze und auch in die Häuser brachte, als es das Fernsehen noch nicht gab. Die beiden Bremer Schauspielerinnen haben

sich zudem einer besonderen Variante verschrieben; sie erzählen orientalische Märchen aus weiblicher Sicht, Geschichten also, in denen List und Klugheit der Frauen über die Kraft der Männer siegt.

So in der Erzählung von der Prinzessin Sherifa, die als Prinz Sherif verkleidet Vertraute des biestigen Scheichs Hammati wird, der alle Frauen aus seinem Reich vertrieben hat. Doch der Fürst verliebt sich in den vermeintlichen Mann, sein verwirrter Seelenzustand läßt ihn ahnen, einer Frau aufgesessen zu sein, und bis sich, wie in allen Märchen, am Schluß alles in Harmonie auflöst, muß die Prinzessin viele Prüfungen und Heimtücken des Prinzen überstehen.

Auch in der Beschreibung von Mohammed, dem Prinzen, und Aischa, der Tocher des Schreiners, geht es um die uralte Frage „Wer ist der Mächtigere, der Mann oder die Frau?“. Der mächtige Mohammed sperrt seine Aischa gar in eine Grube ob dieser Frage, und die muß vor allem ihre erotischen Register ziehen, um ihrem Gatten zunächst Hörner aufzusetzen und dann die Augen zu öffnen.

Beide Märchen werden als Solovorträge dargeboten, von Majanne Behrens das erste, von Trude Redecker das zweite. Beide bedienen sich zwar zeitgenössischer Sprache, aber der tra

ditionellen Erzählweise: Sitzend untermalen sie den Vortrag durch wenige eindeutige Gesten und heben die verschiedenen Rollen durch leicht überbetonte Intonation hervor. Die Spannung, der Spaß, entsteht, weil die szenischen Andeutungen dort aufhören, wo die Phantasie der Zuschauer einsetzt. Trude Redecker erweist sich hier als die Erfahrene: Ihr Spiel ist facettenreicher, sie setzt ihre Akzente abgestufter als die stets mit voller Power agierende Majanne Behrens. Die allerdings beeindruckt zwischendurch mit Liedern zum Akkordeon.

Nach der Teepause ein drittes Märchen: „Das Kristallschiff“ wird von den beiden szenisch ausgespielt, mit verteilten Rollen und sparsamen Requisiten. Die Spannung fällt etwas ab, nach den so aufregend-reduzierten Vorträgen fühlt man sich fast abgelenkt von den Tüchern, die jetzt das Meer darstellen, ein Segelschiff oder zwei auf dem Baum sitzende Tauben. Märchen scheinen tatsächlich am besten zu wirken, wenn sie gut erzählt werden.

Majanne Behrens ist übrigens in dieser Woche in Bremen zu sehen. Von Mittwoch bis Freitag spielt sie im Institut Francais zusammen mit Ivan Pokorny und Malte Jaspersen in dem Dreipersonenstück „Nachricht an einen Herrn, dem niemand mehr schreibt“.

Rainer Köster