„Das Wahlprogramm der SPD müssen wir durchsetzen“

■ Interview mit Christian Ströbele, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der AL und Verhandler, zum jetzigen Stand der Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten / Bekommt die SPD plötzlich Angst vorm eigenen Wahlprogramm oder ist die Alternative Liste naiv beim Verhandeln?

taz:Was ist für dich ein politischer Kompromiß?

Christian Ströbele: Eine Vereinbarung, mit der beide Seiten leben können. Dabei dürfen nicht die Forderungen der einen Seite insgesamt durchsetzt werden und auch nicht die der anderen. Als Ergebnis muß auch etwas praktisch Umsetzbares dabei herauskommen. Man muß mit viel Verständnis für die jeweils andere Seite versuchen, dort nachzugeben, wo man weiß, daß für Wähler und Mitglieder der jeweils anderen Seite sehr viel davon abhängt.

Momper wirft euch fehlende Prioritätensetzung, mangelnde Professionalität vor. Er sagte in Bonn, ihr hättet lediglich Forderungen addiert. Stimmt das?

Die letzte Presseäußerung Mompers, wie ich sie gerade im Radio gehört habe, finde ich nicht in Ordnung. Intern sagt er, wir würden in allen Bereichen möglichst weitgehend jetzt schon auch in Details Einigung erzielen wollen. Das geht so weit, daß heute bei der Verhandlung einer von der SPD sagte, wir brauchen nachher keine Senatoren mehr, weil die Politik in allen wesentlichen Punkten bereits ausgehandelt und vereinbart ist. Wir wollen viele Streitpunkte tatsächlich jetzt klären, weil wir meinen, die Verhandlungen sind der richtige Ort dafür. Das kann man uns vorwerfen.

Und was ist mit seinem Vorwurf, ihr würdet keine Prioritäten setzen und Einzelforderungen addieren?

Das ist nicht richtig. Wir gehen jeweils in den einzelnen Fachgesprächen die politischen Punkte durch, wo Übereinstimmung besteht, wo keine Probleme sind, wo schon nach dem Wahlprogramm Übereinstimmung besteht. Dann halten wir jeweils Punkte fest, wo die eine oder andere Seite sagt, das können wir nicht machen. Soweit ich das überblicke, sind es entweder gar keine oder ein oder zwei Punkte in den jeweiligen Unterkommissionen. Aber es sind sehr wesentliche Differenzen dabei, wo wir, wenn wir aus den Verhandlungen rausgehen und das mit unserer Mitgliedervollversammlung besprechen wollen uns fragen, wie wir da noch argumentieren sollen.

Es knirscht doch vor allem in der Innenpolitik, Stichwort Polizei, Verfassungsschutz. Sind da die Differenzen, die Unvereinbarkeiten so groß?

Ein Dollpunkt, mit dem die AL und auch andere Parteien in den Wahlkampf gegangen sind, ist beispielsweise so etwas Selbstverständliches wie die Kennzeichnung der Polizei. Keine Polizeigewerkschaft, niemand konnte einen driftigen Grund nennen, warum die Kennzeichnung nicht eingeführt werden soll.

Ihr habt es bei der Polizei mit einem Apparat zu tun, wo es nicht mehr nur um eure numerische Mehrheit im Parlament geht, sondern auch darum, daß ihr euch in diesem Apparat Polizei durchsetzen müsst. Wenn die SPD jetzt sinngemäß sagt, ihr AL, stellt nur schöne Forderungen und wir SPD sollen dann die Schmutzarbeit machen, dann ist doch was dran. Mit anderen Worten, wir sind wieder bei meinem Lieblingsthema, der stellvertretenden alternativen Polizeipräsidentin. Ihr sagt doch einfach Kennzeichnung und überlasst der SPD die Frage der Durchsetzung in der Praxis.

Nee. Da sind einfach unterschiedliche Konzepte, wie man eine Änderung im Sicherheitsapparat durchsetzen kann und wie weit die gehen soll. Während einerseits die SPD aus vielen verständlichen Gründen argumentiert, wir müssen diese Reformen möglichst im Konsens auch mit der Polizei und den verschiedenen anderen Sicherheitsapparaten hinkriegen, kann ich nur dazu sagen: ich kann mir das eigentlich gar nicht vorstellen, daß das geht. Wenn man an dieser Polizei, so wie sie sich in den vergangenen Jahren dargestellt hat, etwas ändern will, dann wird es zwangsläufig zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und auch einzelnen Protagonisten der Sicherheitsapparate kommen müssen. Wenn die SPD sagt, wir müssen alles vermeiden um Reibungspunkte und öffentliche Angriffsflächen zu bieten, dann meien ich, man kann das gar nicht vermeiden. Da gibt es einfach eine ganz unterschiedliche Herangehensweise und deshalb kann ich mir nicht vorstellen, was ich früher durchaus gar nicht ausgeschlossen habe, daß etwa ein AL-Mitglied oder gar ich Innensenator werde.

Wenn ein rot-grünes Regierungsbündnis in einer Situation beginnt, in der es keine gesellschaftliche, sondern nur eine parlamentarische Mehrheit für rot-grün gibt, dann wäre es doch eigentlich angebracht hauptsächlich über Forderungen zu verhandeln, die gesellschaftlich bereits mehrheitsfähig sind. Die Themen Polizei und Verfassungsschutz gehen doch an der Berliner Bevölkerung ziemlich vorbei. Ist das Problem jetzt vielleicht so richtig umschrieben, daß ihr zu sehr aus Betroffenen - und Advokatenperspektive heraus in den Verhandlungen agiert?

Ich empfinde es als Lob uns gegenüber, wenn gesagt wird, wir argumentierten aus Betroffenenperpektive und aus Advokatenperspektive heraus.

Aber ihr wollt doch eine Zwei-Millionen-Stadt regieren. Da geht es doch auch um Interessen, Bedürfnisse und Ängste von gesellschaftlichen Mehrheiten, die ihr berücksichtigen, vertreten müßt.

Das versuchen wir ja, und das haben wir auch schon im Wahlkampf deutlich gemacht. Wir sind ja dazu bereit uns mit solchen Argumenten auseinanderzusetzen und sie auch zu berücksichtigen. Nur, nimm das Beispiel Verfassungsschutz: beim Verfassungsschutz würde es sicherlich außer bei den tatsächlich Betroffenen paar hundert, die da arbeiten, in der Stadt keinen mehr geben, ich würde sagen, bis in die CDU hinein, der ernsthaft ein solches Konstrukt, einen solchen Geheimdienst heute noch verteidigt.

Für die Spionageabwehr gäbe es sofort eine Mehrheit...

Über die Spionageabwehr können wir ja auch durchaus reden. Aber in diesem Bereich, der jetzt so skandalträchtig gewesen ist, Beobachtung, Bespitzelung, von Rechts- und im Wesentlichen ja Linksextremismus, da gäbe es sicherlich jetzt eine breite gesellschaftliche Mehrheit dafür, etwas zu ändern. Das müssen wir doch angehen.

Nochmal zur Polizeireform. Glaubst Du wirklich, es interessiert die Mehrheit der Berliner Innen ob der Polizist gekennzeichnet ist oder nicht?

Nein, aber für den, der Polizeimaßnahmen betroffen wird, für den ist es ungeheuer interessant, ob er jemanden finden kann, oder ob er, wie es so häufig bisher der Fall war, nicht feststellen kann, wer den Schlag gegen ihn ausgeführt hat. Im übrigen bin ich realtiv sicher, daß auch die zwei Millionen Berliner einsehen, daß Polizisten gekennzeichnet werden, genauso wie Mitarbeiter in Privatfirmen ja auch mit Schildchen rumlaufen im Betrieb. Sicher muß man sich über die Frage, wie die Polizei umstrukturiert werden soll, und in welchen Zeitabständen, mit welchen Prioritäten das gehen soll, lange unterhalten. Das kann man auch in einer Koalitionsvereinbarung nicht festlegen.

Habt ihr denn ein aktives Konzept für die Innere Sicherheit in der Stadt, ein Deeskalationsprogramm? Oder habt ihr nur andere Ausbildungsprogramme für die Polizei?

Nein, die haben wir gerade nicht. Wir haben ein Bild von Sicherheitapparaten in der Stadt vor Augen, wie wir meinen, wie in Zukunft Situationen gar nicht mehr eintreten, wie das im letzten halben Jahr passiert ist. Deeskalation in ganz weiten Bereichen und nicht nur unbedingt auf die berühmten Straßenauseinandersetzungen hin orientiert. Warum muß es zum Beispiel ein Polizist sein, der Nachts zu einer Familienstreitigkeit gerufen wird? Warum kann man da nicht Sozialarbeiter-Stellen einrichten.

Du warst doch so euphorisch am Anfang der Verhandlungen, wie kommt jetzt dein Stimmungsumschwung zustande?

Ganz offensichtlich ist, daß nun auch die Sozialdemokraten damit rechnen müssen, daß das, was sie sagen oder was sie andeuten, jetzt zu Papier gebracht wird und möglicherweise umgesetzt und der Öffentlichkeit präsentiert werden muß. Deshalb sind sie sehr viel zurückhaltender und vorsichtiger geworden. Wenn wir zu Beginn Forderungen aufstellten, etwa zum VS, dann vermittelten die Sozialdemokraten einen zustimmenden Eindruck. Es wurde zwar nicht explizit gesagt, ok, wir machen das so, aber der Eindruck war vorherrschend, über die wesentlichen Fragen könne mit dem Ziel von Änderungen geredet werden. Jetzt, wo es ans Eingemachte geht und alles aufgeschrieben werden muß, wird immer klarer, daß das, was wir uns da vorstellen, nichts werden soll.

Wird das Historische Museum unter einem rot-grünen Senat nun gebaut oder nicht?

Wir haben ja schon vor der Wahl gesagt, das mindeste, was wir durchsetzen müssen ist die Wahlprogrammatik der SPD. Im Wahlprogramm der SPD steht, es besteht kein Bedarf an diesem Museum. Mit etwas anderer Begründung steht das auch in unserem Wahlprogramm. Das müsste man doch einfach abhaken können. Aber offenbar ist das nicht möglich, denn die SPD will auf einmal, daß das Ding doch gebaut wird.

mtm