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Anna Jonas: „Ich will nur auf Gefahren hinweisen“

■ Zwei Monate nach dem Bruch im Schriftstellerverband / Zwei Monate vor dem Gründungsgewerkschaftstag der IG Medien / Schwere Vorwürfe gegen die Führung der IG Druck und Papier: Zurück zur Agitprop-Kultur? / Ein Gespräch mit der ehemaligen Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS)

taz: Im Abstand von zwei Monaten: war euer Schritt richtig, jetzt den Bruch mit dem VS zu vollziehen?

Jonas: Es war die einzige Möglichkeit, etwas deutlich zu machen, was durch Gespräche, Verhandlungen, Mitarbeit in Gremien nicht mehr deutlich zu machen war. Die Konstruktion dieser Mediengewerkschaft, ein Konzept über Berufsgruppen zu stülpen, die damit kaum arbeiten können, ist meiner Ansicht nach sehr problematisch. Das ist für den VS und die künstlerischen Berufsgruppen, soweit sie Freiberufler organisieren, tödlich, weil Freiberufler derart stringenten Organisationsprinzipien einfach nicht unterzuordnen sind. Ich selbst war bereit, in der Zeit, als ich Vorsitzende war, mein Schreiben völlig beiseite zu lassen. Aber an sich ist das eine Zumutung für jemanden, der ehrenamtliche Funktionärsarbeit übernimmt. Man kann nicht erwarten, daß er in dieser Zeit seinen eigentlichen Beruf aufgibt.

Muß gewerkschaftliche Organisation von Schriftstellern prinzipiell an solchen Politikformen von Großorganisationen scheitern?

Ich glaube nicht, daß es grundsätzlich scheitern muß. Ich gehöre immer noch zu den von mir aus Unbelehrbaren, die für denkbar halten, daß ein kleiner Verband wie der VS in einer gewerkschaftlichen Großorganisation möglich sein kann. Ich gehe sogar weiter: möglich sein muß. Die Praxis hat gezeigt, daß es so, wie es angelegt war, nicht ging.

Welche Voraussetzungen müßten erfüllt sein?

Es muß genügend Bewegungsfreiheit für die einzelnen Gruppen geben. Der Kardinalfehler der jetzigen Satzung ist aber: wir brauchen angeblich eine gleichgerichtete Struktur für alle Fachgruppen. Man könnte stattdessen meinetwegen in einem 10 oder 15-Punkte-Programm gewisse Standards einer IG Medien formulieren. Und von da ausgehend sollten die einzelnen Fach - und Berufsgruppen ihre eigenen, für sie auch wirklich praktikablen Organisationsformen finden. Es ist doch völlig klar, daß die Drucker und Papierarbeiter, die Bildenden Künstler oder die Musiker von ihren Tätigkeiten her völlig unterschiedliche Bedingungen haben.

Der VS wollte immer auch ein literarischer Verband sein. Ist dieses Konzept mit euerm Austritt endgültig gescheitert?

Der VS hat niemals die Literatur organisieren wollen. Er hat sich durch seine Mitglieder, durch deren Bücher als literarisch präsentieren wollen. Das ist mehr oder weniger indirekt geschehen, weil immer gezählt hat, wer Mitglied ist. Von daher sind ja auch diese simplen Rechenexempel, die jetzt wieder gemacht werden, falsch. Es reicht einfach nicht, daß man sagt: wir haben so und so viel tausend Mitglieder. Da gibt es auch einen Sprung zwischen Quantität und Qualität. Das ist ein ganz sensibler, schwieriger Punkt gerade innerhalb eines Künstlerverbandes, wo einerseits selbstverständlich gleiche Rechte für alle gelten, wo es aber trotzdem darauf ankommt, wer bei uns Mitglied ist und wer nicht.

Du hast in diesem Zusammenhang mal von Beton gesprochen.

Mit Beton meine ich eine Unempfindlichkeit diesen Problemstellungen und den Ansprüchen und Bedürfnissen von VS -Kollegen gegenüber. Beton heißt auch, daß ganz bestimmte ideologische Ziele gemeint sind, die von einigen wenigen knallhart vertreten werden. Es ist von Kollegen in letzter Zeit auch geäußert worden, es müsse wieder Agitprop-Kultur gemacht werden. Ich habe an einem Seminar teilgenommen, wo es darum ging, daß Kultur und Kunst gesellschaftlich nützlich sein müssen und auch nur von daher in der IG Medien beurteilt und eingesetzt werden. Das kann ich nicht akzeptieren. Das bekämpfe ich ganz vehement, weil ich es als Autorin unerträglich finde - eine Zumutung. Ich finde diese Art von Kunst- und Kulturbegriff menschenverachtend, weil damit die Freiheit des Individuums zu wählen übergangen wird. Ich denke das geht vielen Kollegen so.

Was ist deine Nachbetrachtung, Dein Nachruf auf den VS in Aussicht auf die in zwei Monaten anstehende Gründung der IG Medien?

Dann lieber Nachbetrachtung und bitte um Himmels willen nicht Nachruf. Mich hat unglaublich erschreckt, was bereits auf dem Stuttgarter VS-Kongreß passiert ist, nachdem ich mein Mandat niedergelegt hatte. Da sind in ganz kurzer Zeit Dinge, die der letzte VS-Bundesvorstand im Geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Druck durchgesetzt hatte, zurückgenommen und anders abgestimmt worden. Schon in Stuttgart ging die Demontage von erkämpften Rechten los. Ich weiß nicht, ob die VS-Delegierten das überhaupt gemerkt haben, denn sie hatten ja vorher den Bundesvorstand unterstützt.

Ein Beispiel?

Im VS kann jemand, der beispielsweise als Lehrer bei der GEW organisiert ist, für fünf Mark Monatsbeitrag Anschlußmitglied werden. Auch innerhalb der IG Druck und Papier kann zum Beispiel ein Journalist Anschlußmitglied im VS werden, wenn er nicht nur journalistisch tätig ist, sondern auch mal ein Sachbuch geschrieben hat. Diese Anschlußmitgliedschaft beinhaltet Rechte wie etwa das aktive Wahlrecht. Wir sind im VS der Meinung gewesen, daß auch das aktive Wahlrecht an den normalen, höheren Mindestbeitrag gekoppelt sein sollte. Denn nicht zu Unrecht hatten ich und einige Kollegen die Befürchtung, daß durch diese Anschlußmitgliedschaften auch Möglichkeiten zur Wahlbeeinflussung bestehen. Diesen Punkt hatten wir mit dem Geschäftsführenden Hauptvorstand sehr hart durchgekämpft. Und der hatte sich schließlich damit einverstanden erklärt, daß Anschlußmitgliedschaften in diesem Sinne im VS nicht bestehen beziehungsweise der normalen Mitgliedschaft gleichkommen. Das ist in Stuttgart wieder rückgängig gemacht worden - und zwar von VS-Delegierten!

Glaubst du, daß die Führung der IG Druck die Schwelle deshalb so niedrig halten will, damit auf diese Weise unbequeme Vorstände leichter gekippt werden können?

Das ist denkbar. Die Beweise dafür sind immer sehr schwer zu erbringen. Außerdem spielt sicherlich eine Rolle, daß sich damit die Mitgliedszahl höher darstellt als sie in Wirklichkeit ist. Ich höre ja immer von steigenden Mitgliedszahlen und bin dann verwundert, wenn ich gleichzeitig weiß, daß die eigentlichen Berufsgruppen tagtäglich am Schwinden sind.

Ist es richtig, daß der Bruch mit der IG Medien zumindest bei einigen von euch ein Bruch mit dieser spezifischen Organisation, nicht aber mit den Gewerkschaften insgesamt ist?

Auf jeden Fall - das gilt vielleicht nicht für alle, aber für die meisten, mit denen ich auch danach noch gesprochen habe. Ich bin sehr erschrocken, wie wenig Reaktion über das, was in Stuttgart passiert ist, aus den anderen Gewerkschaften gekommen ist. Denn ich glaube, daß das, was im VS passiert ist, mehr ist als das Problem einer Einzelgewerkschaft. Hier geht es um ein anderes Politik- und Gewerkschaftsverständnis. Und davon, meine ich, sollten sich alle Gewerkschaften angesprochen fühlen. Die Mehrheit derer, die den VS verlassen haben, wollen ja alles andere als jetzt von irgendwelchen politisch Rechten umarmt zu werden. Für mich ist das eine Auseinandersetzung im linken Spektrum. Unsere Aussage war ja ganz klar: VS oder Schriftsteller beim DGB. Das ist ein Bekenntnis zur Gewerkschaft.

Schriftsteller brauchen einen Verband für ihre sozialen Interessen und um kulturpolitische Weichenstellungen auf der politischen Ebene zu beeinflussen. Sie könnten das genausogut außerhalb wie innerhalb der Gewerkschaft machen. Was ist dabei das spezifisch Gewerkschaftliche?

Ich glaube nicht, daß Schriftsteller für die Dinge, die du genannt hast, unbedingt einen Verband brauchen. Das könnten sie unter Umständen viel leichter erreichen, indem sie sich zu kleinen, spontanen Gruppen zusammenschließen. Wenn 20 Autoren sich für eine bestimmte Sache zusammentun, dann möchte ich doch mal erleben, daß sie auf Dauer nicht gehört werden. Gewerkschaftliche Organisation ist für mich ein politisches Bekenntnis. Und davon will ich nicht abrücken. Das hat für mich was mit Aufklärung und Fortschritt zu tun. Ich will es nur nicht so verstanden wissen, wie nach meiner Ansicht der VS degeneriert ist. Dieses kanalisierte Gewerkschaftsverständnis, wo Solidarität eine Sprechblase ist und vor allem im verbalen Schulterschluß besteht - das interessiert mich nicht.

In zwei Monaten wird die Mediengewerkschaft gegründet. Glaubst du, daß der VS darin jetzt, nach eurem Austritt, für Schriftsteller noch eine attraktive Rolle spielen kann?

Er kann es jetzt weniger als zuvor. Vor kurzem hat der provisorische Bundesvorstand getagt. Nach meinen spärlichen Informationen ist die Stimmung darin so: um Gottes willen keine Konflikte mit der Gewerkschaft. Insofern ist da wenig Spielraum für die immer noch zahlenmäßig recht vielen VS -Mitglieder. Ich weiß nicht, was sie da noch erreichen wollen. Auf dem Stuttgarter Kongreß sind ja nicht einmal mehr die VS-Delegierten für den Gewerkschaftstag gewählt worden. Die drei Delegierten plus Vorsitzendem beziehungsweise jetzt Sprecher, die der VS auf dem ersten Gewerkschaftstag der IG Medien haben wird, sind in den Landesbezirken der IG Druck gewählt worden. Die Befürchtung des letzten VS-Bundesvorstandes war ja, daß damit dann der Drupa genehme Kollegen gewählt werden können, die mehr die Drupa- beziehungsweise IG-Medien-Interessen vertreten als die VS-Interessen. Ich will jetzt niemandem was anhängen oder nachsagen. Aber diese Interessen können unter Umständen kollidieren. Jetzt sind sie also gewählt. Insofern wird dort nicht die peinliche Lücke auf den drei Plätzen klaffen. Dennoch sind schon in ganz kurzer Zeit zwei und mehr unserer Befürchtungen eingetroffen. Ich schätze, das wird so weitergehen.

Welche Befürchtungen hast du noch?

Das für den VS zuständige Vorstandsmitglied ist Hajo Frenzel. Aber sowohl in Stuttgart als auch seit Stuttgart äußert sich immer nur Detlef Hensche (stellvertretender IG -Druck-Vorsitzender, d. Red.) zum VS. Er hat interessanterweise vorgeschlagen, daß der VS sich wieder mehr um Literatur kümmern müsse. Das hat mich natürlich stutzig gemacht. Denn zum einen ist ein solcher Ratschlag an den jetzigen VS einfach absurd. Zum andern wird er beinahe lächerlich, wenn sehr viele literarisch wichtige Autoren im Laufe der letzten Jahre aus dem VS vertrieben wurden. Aber dann habe ich gedacht: ja - vielleicht ist es jetzt auch leichter, dem VS beziehungsweise seinen Mitgliedern zu sagen, wo es literarisch langgehen soll...

Die renitenten, sperrigen Schriftsteller sind draußen...

Ich hoffe: nicht alle, aber ich fürchte, die meisten. Und vielleicht war das ja auch gewünscht...

Du glaubst, die renitenten Schriftsteller will man nicht, aber das schmückende Federchen eines literarischen Verbandes will man sich trotzdem ans Hütchen stecken?

Den Titel VS will man behalten. Das scheint einigen Leuten wichtig zu sein - fast egal, wer oder was sich dahinter verbirgt. Aber man muß ja auch sehen, daß der Zugriff auf Medien über Redakteure und Schriftsteller ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung bestimmter gesellschaftlicher Vorstellungen ist.

Willst du der Führung der IG Druck und Papier unterstellen, sie würde doch entgegen allen Dementis die Schriftsteller, die ganzen Medienschaffenden in ihrem Organisationsbereich ideologisch instrumentalisieren wollen?

Ich kann nicht sagen, daß sie das wollen. Ich sage, es gibt einige Leute, die das ganz gern möchten.

Welche?

Ich denke, daß Hensche eine ganz klare Position hat, was seine gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen betrifft. Ich glaube nicht einmal, daß er sich persönlich groß um Kunst und Kultur kümmert. Aber was die Durchsetzung dessen angeht, was er sich gesamtgesellschaftlich vorstellt, ist er ein sehr harter Stratege.

Im Sinne von Indienstnahme von Kultur?

Ganz genau. Es gibt auch einige andere Leute, die ein ähnliches Kulturverständnis haben und ich denke, sie wollen sich auch durchsetzen. Soweit sie das mit Leuten nicht machen können, ist es ihnen fast lieber, die sind draußen. Man darf doch einfach nicht übersehen, daß viele Journalisten, die in der dju (Deutsche Journalisten Union in der IG Druck, d. Red.) oder RFFU (Rundfunk-, Film- und Fernseh-Union, demnächst Teil der Mediengewerkschaft) sind, auch gewisse Einflußmöglichkeiten haben.

Ich habe derartige Beeinflussungsversuche der Gewerkschaft bisher in relevanter Weise nicht wahrgenommen. Ich sehe, daß Journalisten eher von rechts her bedrängt werden.

Ich bin journalistisch nicht tätig. Insofern kann ich das weder bestätigen noch dementieren. Ich will Befürchtungen artikulieren und gewisse Erfahrungen in meinem Bereich, dem VS. In ihren traditionellen Einflußbereichen, in den Betrieben, hat die IG Druck und Papier an Einfluß verloren. Der Mitgliederschwund war so stark, daß sie eine relativ bedeutungslose Gewerkschaft zu werden drohte. Darauf hat man reagiert und gesagt: wir müssen die IG Medien machen, weil es uns sonst bald gar nicht mehr gibt. Und natürlich hat eine IG Medien, so wie sie jetzt geplant ist, über Sender, über Journalisten privilegierte Zugänge zur Öffentlichkeit. Meine Aufgabe ist, davor zu warnen, daß diese Zugänge in einer bestimmten Richtung benutzt werden können. Ich möchte die Kollegen vom berufspolitischen Verständis her warnen, darauf zu achten. Ich will auch nicht mal was Böses unterstellen. Ich will auf Gefahren hinweisen.

Es kommen aber doch jetzt viele Leute aus den Kulturbereichen, aus dem Intellektuellenmilieu in die IG Medien rein. Eigentlich wäre das doch eine Chance, das alte, zentralistische Politikverständnis der Gewerkschaften, das undifferenzierte Herangehen an Kultur usw. aufzuknacken oder wenigstens aufzulockern.

Diese Chance haben ja auch viele in der IG Medien gesehen fast alle, die jetzt ausgetreten sind, ich auch. Die Praxis hat mich eines Schlechteren belehrt. Da spielt die Tradition dieser Gewerkschaft, der Gewerkschaften überhaupt, eine Rolle. Ich habe oft das Gefühl gehabt, daß die Gewerkschaften nach 45 sehr stark von gewissen Wehrmachtsmethoden beeinflußt waren, beziehungsweise von Männern, die einen bestimmten Drill hinter sich hatten, die Männergesellschaft und Männerfreundschaft sehr schätzen gelernt hatten. Erschreckenderweise setzen einige der Nachgerückten diese Tradition relativ ungebrochen fort. Das ist eine Art Corpsgeist, obwohl immer alles als fortschrittlich ausgegeben wird. Daher kommen dann auch diese Geschlossenheitsappelle und verbalen Kraftakte, die für einen denkenden Menschen, für jedes denkende, phantasievolle Mitglied eine Beleidigung sind.

Wird es bald eine Konkurrenz zum VS außerhalb der IG Medien geben?

Ich halte es für einen politischen Fehler, jetzt schnell einen simplen Konkurrenzverband zum VS gründen zu wollen. Ich halte mehr davon, die Erfahrungen nachwirken zu lassen, aus den Fehlern zu lernen, die im und mit dem VS gemacht wurden. Ich finde es richtig, daß ausgetretene Autoren sich punktuell für eine bestimmte Sache oder spontan aus einem besonderen Anlaß zusammenschließen. Auf längere oder mittelfristige Sicht sollten wir darüber nachdenken, ob und wie ein anderer, auch von den Inhalten her neu bestimmter Verband nötig und möglich ist. Aber ich halte überhaupt nichts davon, jetzt aus Enttäuschung, Konkurrenz oder gar Vergeltung einen neuen Verband von Schriftstellern zu gründen.

Interview: Martin Kempe

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