: Dem 'Vorwärts‘ droht ein langer Tod
■ SPD-Parteivorstand gewährt eine Galgenfrist von sechs Wochen / Sanierungsvorschläge der Belegschaft abgelehnt / Parteikommission soll Rettungsmaßnahmen beraten / Erfolg der Parteibasis
Berlin (taz) - Mit einer „gewissen Erleichterung“ und „wenig Furcht vor einem Sterben auf Raten“ reagierte gestern die Belegschaft des 'Vorwärts‘ auf die dem Blatt vom SPD -Parteivorstand eingeräumte Galgenfrist bis zum 10.April. Nach einer mehrstündigen Debatte widerrief das Gremium am Montagmorgen einen Beschluß vom 30.Januar, die hochdefizitäre Parteizeitung einzustellen. Während die Beschäftigten noch sechs weitere Ausgaben des 'Vorwärts‘ produzieren, wird eine Kommission über das Schicksal des Blattes palavern.
Zur Debatte stehen jetzt die Zusammenlegung des 'Vorwärts‘ mit dem Mitgliederorgan 'Sozialdemokrat‘ oder die Fortführung des vor allem wegen seines Alters - 113 Jahre gerühmten 'Vorwärts‘ auf Basis eines neuen Verlags- und Zeitungskonzeptes. Sanierungsvorschläge der Belegschaft für das Blatt, das im letzten Jahr Verluste von 4,9 Millionen Mark erwirtschaftete, lehnte der Parteivorstand ab. Statt dessen soll die von Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs und SPD-Kassenwart Hans-Ulrich Klose geleitete Kommission folgende Maßnahmen prüfen: veränderte Rolle der Herausgeber, Kriterien für ein klares Kostenmanagement, Umstellung der Anzeigenakqusition, Entwicklung einer Werbekampagne zur Vermehrung der 42.000 AbonnentInnen (SPD-Famlien- statt Zeitungspolitik? d. säzzerin), Steigerung der redaktionellen Qualität sowie eine mögliche Umstellung des Formats. Nach Angaben des stellvertretenden Chefredakteurs Gode Japs gehört zwar kein Mitglied der Belegschaft dieser Kommission an, aber „wir gehen davon aus, daß unser Sachverstand einbezogen wird“. Für die Mitarbeit an einer Lösung der verlegerischen Probleme des 'Vorwärts‘ hat die SPD den Verleger der 'Westdeutschen Allgemeinen Zeitung‘ (WAZ) als Mitglied der Kommission gewonnen. Die 'WAZ‘ ist die größte Familienzeitung der BRD.
Ausschlaggebend für die neue, sechswöchige Zukunft des 'Vorwärts‘ waren Proteste von der Parteibasis. Noch unmittelbar vor der Vorstandssitzung hatten sich 150 Mitglieder des „Frankfurter Kreises“ - ein Zusammenschluß führender, dem linken Parteiflügel zugerechnete SozialdemokratInnen - für den Erhalt des Blattes ausgesprochen. Sie hielten es für angebracht, dem 'Vorwärts‘ von der zahlenden Öffentlichkeit bislang wenig bekannte Qualitäten zuzuschreiben. Er sei eine unverzichtbare Informationsquelle, Argumentationshilfe und ein Dokumentationsort für alle, die wissen wollten, wie sich Themen und Probleme der Gegenwart in einer großen sozialen Bewegung wie der SPD widerspiegelten.
peb
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