Bundesweiter Streik der Zivildienstleistenden

Die Aktion von 2.000 ZDLern in mehr als 30 Städten richtet sich gegen die Nato-Übung „Wintex-Cimex“ / „Dienstflucht“ in Lörrach  ■  Von Charlotte Wiedemann

Bonn (taz) - In mehr als 30 Städten streikten Zivildienstleistende, um am vierten Tag der Nato-weiten Übung „Wintex-Cimex“ gegen ihre Einplanung in Notstands- und Kriegsszenarien zu protestieren. Nach Angaben der „Selbstorganisation der Zivildienstleistenden“ beteiligten sich etwa 2.000 ZdLer am Streik, weitere 5.000 an anderen Aktionen. An den Zivildienstschulen in Buchholz und Trier wurde spontan der Unterricht boykottiert. In Nürnberg marschierten ZdLer mit Unterstützung andererer Gruppen zur örtlichen Gustav-Adolf-Kaserne, um dort öffentlich zu erklären, daß sie ihrer unbefristeten Einberufung zum Zivildienst im Kriegsfall nicht Folge leisten werden.

In Frankfurt forderten Sprecher der Selbstorganisation ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, „das sich auch auf den Einsatz im Kriegsgesundheitswesen, bei der Aufstandsbekämpfung und beim Blindgängerentschärfen bezieht“. Zwar dürfen Zivildienstleistende zur Teilnahme an der Wintex-Übung nicht direkt herangezogen werden, doch im Ernstfall wird das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht viel mehr als ein Fetzen Papier sein: Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts schützt dieses Grundrecht „nur vor solchen Tätigkeiten, die in einem nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik unmittelbaren Zusammenhang zum Einsatz von Kriegswaffen stehen“. Selbst gegen die Ausrüstung mit Pistolen und Gewehren zu „Notwehrzwecken“ können sich Pazifisten nur wehren, wenn sie den Kriegsdienst total verweigern.

Das Bundesamt für Zivildienst dementierte gestern, selbst an der Wintex-Übung teilzunehmen. In der Kölner Behörde läuft der zivil-militärische Datenfluß aus den Kreiswehrersatzämtern, der Bundeswehr und den Meldebehörden zusammen, der am Tag X die schnelle Mobilmachung der Zivilarmee gewährleisten soll. Obwohl ein Ausklinken des Kölner Amts eine arge Lücke in die diesjährige Notstandstrockenübung reißen würde, beteuerte ein Sprecher: „Wir sind mit keinem Federstrich und keinem Mitarbeiter beteiligt.“

Die streikenden Zivildienstleistenden müssen mit einem Disziplinarverfahren rechnen, das nach früheren Erfahrungen mit einer geringen Geldbuße endet. In einigen Städten, zum Beispiel in Lörrach, soll der Streik allerdings mehr als drei Tage dauern: Dann kann er als „Dienstflucht“ gelten und mit Fortsetzung Seite 2

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Gefängnis bestraft werden - nach Angaben des Bundesamts aber nur eine „theoretische“ Sanktionsdrohung. Die Protestaktionen sollen am 1.Juni, wenn die Zivildienst -Verlängerung auf zwei Jahre in Kraft tritt, fortgesetzt werden. „Der Zivildienst ist keineswegs entpolisiert“, hieß es gestern stolz in der Frankfurter Streikzentrale. Gegen die Wintex-Übung wird seit Freitag vielerorts phantasievoll agitiert. In Köln beschwerten sich entrüstete Autobesitzer bei der Polizei, weil

morgens auf dem guten Stück ein Aufkleber prangte: „Dieses Fahrzeug ist beschlagnahmt! Bitte halten Sie es zur ständigen Verfügung...“