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Seh'n oder Nichtseh'n

■ ARD: Radio-Bremen-Reihe „Kinder der Welt“ von Gordian Troeller: „Deutschländer“

„Deutschländer“ - so nennt man in der Türkei die Türken, die jahrelang in der Bundesrepublik gelebt und gearbeitet haben und dann in die Türkei zurückgekehrt sind. „Deutschländer“ drückt aus, daß diese Türken zwischen den Kulturen hängengeblieben sind: In der Bundesrepublik konnten sie nicht heimisch werden, in der Dorfgemeinschaft der Türken werden sie nicht mehr als zugehörig betrachtet, weil sie sich selbst, durch ihre Erfahrungen mit dem Leben in der Bundesrepublik, als „etwas Besseres“ betrachten, weil sie den Lebensstil - so ärmlich er hier gewesen sein mag - in ihre altneue Heimat übertragen, wo dieser Lebensstil vergleichsweise wohlhabend erscheint - und traditionelle Strukuren zerstört.

Dieses Leben in einer Art kulturellem Niemandsland trifft am härtesten die Kinder, die - wie die Frauen - zurückmußten, auch wenn sie gar nicht wollten. Und wer die zahllosen Filme über die „Dritte Welt“ kennt, die Gordian Troeller mit Marie Claude Deffarge zusammen für Radio Bremen (Elmar Hüglers Redaktion „Kultur und Gesellschaft“) gedreht hat - Marie Claude Deffarge lebt nicht mehr -, konnte gewiß sein, daß auch „Deutschländer“ ein parteinehmender und zugleich alle Aspekte des Problems von Kindern und Eltern analysierender Bericht sein würde.

Zuerst zeigt Troeller ein türkisches Touristenparadies: Weiße Körper aalen sich in grünleuchtendem Wasser. Hauptsächlich Deutsche. Dann sieht man ein armseliges Cafe, in dem türkische Männer sitzen: „Die meisten in diesem Dorf sind aus Deutschland zurückgekommen“, sagt Troeller, und schon beginnt man zu ahnen, welches Elend hinter dem für Touristen „pittoresken“ Anblick steckt. Für deutsche Touristen, die sich vermutlich sagen, es müsse doch für Türken am schönsten sein, wieder in ihrer Heimat zu leben. Doch selbst wenn man schon vermutet hat, daß das nicht stimmen kann - welche Dimensionen die Rückkehr für die Türken und für die türkische Kultur hat, erfährt man nur von Troeller. Er spricht mit Müttern und Jugendlichen, die erzählen, wie schwer ihnen das Leben hier wird. „In Deutschland war alles viel freier“, sagen fast alle Jugendlichen, denen hier im Dorf wieder 'die Flausen‘ ausgetrieben werden: ganz kurz geschorene Haare, Ohrringe verpönt, die Mädchen müssen in der Kreisstadt verschleiert gehen.

Und trotzdem - auch das macht Troeller sehr deutlich - kann man nicht einfach das patriarchalische System mit unseren Maßstäben verdammen. Der türkische Patriarch hatte in Deutschland nichts anderes, um seine Selbstachtung zu wahren, als kompromißlos seine Stellung in der Familie zu behaupten. Aber: „Der türkische Herrschaftsanspruch“, sagt Troeller, „ist nicht, wie bei uns, als Aufwertung des kleinen Ego zu verstehen, sondern als kulturelle Tradition, die in einer nicht-individualistischen Agrargesellschaft Sicherheit gibt.“ Die Frauen wiederum haben, bei aller Armut, in der Türkei die kulturelle Gemeinschaft, die sie trägt, die ihnen ermöglicht, „in Würde zu altern“. Doch grade dieses kulturelle Eingebundensein gibt es für „Deutschländer“ nicht mehr. Für sie gibt es kein Zurück und nur ein trügerisches Vorwärts, mit Hausbau a la deutsch, der Landschaften zersiedelt, Strukturen auflöst. Am Ende zeigt Troeller ein Theaterstück türkischer Jugendlicher, das damit endet, daß die Tochter nach Deutschland geht. In Wirklichkeit hat sich das Mädchen entschieden, in der Türkei zu bleiben. Wohin sie gehört, weiß sie nicht mehr.

Sybille Simon-Zülch

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