Das Deutsche Historische Museum - ein Bruchpunkt?

■ Grundlegender Dissens über die Realisierung des Deutschen Historischen Museums zwischen AL und SPD / AL lehnt Kohl-Geschenk als verfassungswidrig und überdimensioniert ab / Die SPD, bis vor kurzem ebenfalls Gegner, ist auf Befehl aus Bonn umgeschwenkt und hat keine Einwände mehr gegen das Projekt

Bekanntlich werden die politischen Probleme von den rot -grünen Verhandlungsroutiniers in „Schnittmengen“ und „Dissensmassen“ getrennt. Das Deutsche Historische Museum, jene mit 400 Millionen Mark unterfütterte politische Geste Kohls, schien unter den Begriff der „Schnittmenge“ - dem Begriff für rot-grüne Gemeinsamkeiten - zu fallen. Eine SPD -AL-Absage an das Mausoleum deutscher Geschichtsbewältigung galt als wahrscheinlich. Für die AL ist das gigantische Projekt von Anfang eine Generalprovokation all dessen gewesen, was in der alternativen Kultur - von dezentral bis kieznah - als heilig gilt. Auch die SPD hatte im Wahlprogramm dem Projekt einen lakonischen Satz gewidmet und es schlicht als „überflüssig“ bezeichnet. Der feierliche Gründungsakt und die Enthüllung des „mobilen Grundsteins“ am 27. Oktober 1987 mußte in Abwesenheit der SPD inszeniert werden. Dietmar Staffelt, kulturpolitischer Sprecher, begründete den Widerstand in der folgenden Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses: Ein solches Projekt als „Geschenk“ der Regierung sei „unrepublikanisch“. Der Verdacht bestehe, hier würde eine „nationale Weihestätte“ geschaffen. Noch kurz nach der Wahl, am 5.2.89, machte der baupolitische Sprecher der SPD, Nagel, einen Vorstoß. Er wünschte, daß der neue Senat das Deutsche Historische Museum zurückstelle und statt dessen die Errichtung eines nationalen Holocaust -Mahnmals vorantreibe. Ein sichtbares Zeichen gegen den wiedererstarkten Rechtsradikalismus sei nötig. Der amtierende Generaldirektor Stölzl war entsprechend alarmiert und schrieb an Momper, daß eine „Konkurrenz dieser unterschiedlichen Erinnerungsideen“ besser vermieden werden solle. Aber nicht nur wegen derlei Äußerungen konnte sich die AL an der Koalitionsverhandlungsfront sicher fühlen. Bislang standen solche Äußerungen immerhin in einer Tradition der Kritik, die zwischen Ablehnung und Gegenkonzeption schwankte. Ein Museum für deutsche Geschichte würde die Stadt noch weiter spalten, meinte Momper im Mai 1985. Schließlich gebe es schon ein solches Museum Unter den Linden. „Ein Museum für Geschichte und Kultur“ sei erwünscht. Die SPD berief eine Expertenkommission für diese Idee, darunter die Historiker Mommsen und Rürup. Die Planung eines „demokratischen Forums“ rund um den Reichstag wurde vorgelegt, in der kein Platz für das DHM gewesen wäre. Dann favorisierte die SPD die Idee des „Forums für Vergangenheit und Gegenwart“, das heißt einen Ort für kontroverse Ausstellungen. Nicht zuletzt Jürgen Habermas war es, der auf einer Disputation, zu der der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Duve geladen hatte, die Kritik am Projekt zum grundsätzlichen Streit machte. Er brachte Neugründung in eine direkte Verbindung zum Geschichtsrevisionismus eines Ernst Nolte. Für ihn verbindet sich die leitende Gründungsidee des Museums, dem „Verlust an Geschichte“ entgegenzuarbeiten, mit dem neokonservativen Versuch, Auschwitz zu relativieren. Diese Intervention löste die Historikerdebatte aus, in deren Schatten weiter am Museum gewerkelt wurde. Gleichwohl, die SPD war festgelegt und hatte sich festgelegt.

Vor zwei Wochen, beim ersten Treffen der Unterkommission Kultur, erwartete die kulturpolitische Sprecherin der AL, Sabine Weißler, einen sicheren Verhandlungserfolg. In der Tat nickten die SPD-Unterhändler Staffelt, Ristock und Löffler zum Punkt Ablehnung des Deutschen Historischen Museum. Sie wollten sich in Bonn rückversichern. Aber in einer Fernsehrunde erklärte, zur offensichtlichen Erschütterung von Weißler, derselbe Staffelt, der zwei Jahre zuvor das „unrepublikanische“ Projekt verurteilte, daß man an den Fakten nicht rütteln wolle. Über Standort und Konzeption könne man streiten. Bei der nächsten Verhandlungsrunde konnte man auch darüber nicht mehr streiten. Lakonisch und argumentationsunwillig verkündete Staffelt, auch der umstrittene Ort - am Platz der Republik bzw. am Schlieffenufer - und der noch umstrittenere Entwurf stehe nicht zur Diskussion. Und diskutieren wollten die SPD -Unterhändler auch nicht mehr. Aus Bonn hörte man vom Rat, an diesem Punkt solle bloß keine Kontroverse eröffnet werden. Der amtierende Generaldirektor Stölzl sieht inzwischen in der rot-grünen Koalition selbst keine Gefahr für das DHM. Er habe zwar an Momper geschrieben, daß er das Projekt von links bedroht sehe, und warte noch auf positive Antwort. Denn gerade die SPD-Länder Saarland und Bremen wären initiativ gewesen für die Gründung einer Stiftung, die im Vertragswerk für 1990 vorgesehen ist. In dieses Bild der Lage paßt, daß Momper am Montag auf einer Pressekonferenz in Bonn das Deutsche Historische Museum ausdrücklich als „Dissensmasse“ zitierte und seine Zweifel an der rot-grünen Koalition damit begründete.

In einem präzisen Timing dazu hat gestern, unmittelbar vor der Krisensitzung der SPD-AL-Verhandlungskommission, der noch amtierende Senat eine „Zustimmung zur Konzeption für das Deutsche Historische Museum“ veröffentlicht. Ein vierseitiges Papier, das nichts Neues bringt, aber das bisherige als Faktizität darstellt. Die Konzeption, von der Stölzl beschwörend erklärt, daß sie aller Kritik und allen Vorschlägen offen sei, wird für abgeschlossen erklärt. Ein Zitat zum Nachschmecken: „Es (das DHM) darf weder 'Weihestätte‘ oder 'Identifikationsfabrik‘ sein noch darf es sich in Problematisierung erschöpfen.“ Als Fakten werden genannt: der Entwurf von Aldo Rossi („zur Ausführung kommen lassen“); die Unterbringung des Aufbaustabes in der Windscheidtstraße 18; der Amtsantritt des Generaldirektors; die vorläufige Trägerorganisation (die 1990 ausläuft, wie es das Papier nicht erwähnt); die Beteiligung Berlins an dem Erwerb von Realien (1 Million Mark pro anno) und die Vorverhandlungen zur künftigen Trägerorganisation, einer Stiftung der Länder, spätestens zu gründen am 1. Januar 1991.

Unwiderrufliche Fakten? Schon in dem Senatspapier wird elegant weggelassen, daß das für Berlin entscheidende Problem der Folgekosten bislang überhaupt noch nicht geklärt ist. Dennoch, die Senatsverwaltung, die Bundesregierung und der amtierende Generaldirektor gehen von der Unwiderruflichkeit des Vertragswerkes aus. Eine glatte Ablehnung durch die Rot-Grünen wäre für Stölzl schlicht „Vertragsbruch“, und er erwartet, daß für den Parteivorstand gilt - „pacta sunt servanda“.

Aber so einfach ist es nicht, zumindest nicht für die AL -Rechtsexpertin Giese. Der GmbH-Vertrag läuft 1990 aus. Eine Auflösungsklage überdies wäre aussichtsreich, da Regierungswechsel als hinreichender Grund gilt. Der vorgesehene Beitritt Berlins für die Stiftung, die die GmbH ablösen soll, geht nicht ohne Zustimmung des Abgeordnetenhauses. Die angeblich unwiderruflichen Fakten bezeichnet Sabine Weißler geradezu als „mickrig“. Was gebe es denn, die GmbH in der Wielandstraße und die dürftigen Ankäufe. Doch die Alternativen können ein weit gewichtigeres Argument ins Feld führen. Juli 1987 veröffentlichte der wissenschaftliche Dienst des Berliner Parlaments ein Gutachten, wonach das Projekt verfassungswidrig sei. Die Verfassungswidrigkeit entspringt den Gutachten aus dem „Geschenk„-Charakter durch die Bundesregierung. Dies greife zentral in die Kulturhoheit der Länder ein, denn die Bundesregierung rechtfertige die Initiative aus „der Natur der Sache“, die die Bundeszuständigkeit rechtfertige: nämlich „nationale Repräsentanz nach innen“ und Pflege der „kontinuitätsbewahrenden Tradition“. Am 14. März 1986 beschwor der Bundeskanzler vollmundig gerade diese Absicht mit dem Deutschen Historischen Museum: „Die Menschen wollen wissen, wer wir Deutschen sind und wo wir in der Kontinuität unserer Geschichte stehen.“ Das geht aber dem Grundgesetz zufolge den Bund gar nichts an. Auch eine geplante Überführung in eine Länderstiftung ändere an der Verfassungswidrigkeit gar nichts. Nur, zu einer Normenkontrollklage sind - wegen der besonderen Lage Berlins - allein die Bundesregierung, die Länder oder ein Drittel der Bundestagsabgeordneten berechtigt. Also im Zweifelsfall die SPD. Aber die rechtliche Seite wollen die SPD -Unterhändler nun gerade nicht diskutieren.

Christoph Stölzl seinerseits hofft darauf, daß die Koalition nicht den formalrechtlichen Weg wählt, um das Projekt sterben zu lassen. Er erwartet und wünscht vielmehr „eine dramatische Kontroverse„; so begrüßt er geradezu die Tatsache, daß sich die AL sich „nun konkret mit dem Museum“ auseinandersetzen müsse.

Haben die Auseinandersetzungen überhaupt noch eine Chance, oder hat die SPD mit dem Gedanken an die Arbeitsplätze der Rossi-Gigantomachie längst das Grundsätzliche abgehakt? Bei allen Hearings, Kommissionsberichten, Dokumentationen ist die Literatur zum Deutschen Historischen Museum schon so uferlos geworden, daß die Grundlinien des Streits im Grunde wieder erarbeitet werden müssen. Der Vorwurf des Ex -Bundestagsabgeordneten Ströbele, wonach mit diesem Museum der „Verdrängung und Beschönigung der NS-Geschichte“ Vorschub geleistet werde, hat sicher wenig zu tun mit der tatsächlichen Konzeption. Diese ist weitgehend sozialgeschichtlich-kritisch orientiert. Ein nationalgeschichtlicher Identifikationsbau ist, dem Papier nach und auch den ersten Anschaffungen zufolge, nicht zu erwarten. In der Tat setzt die Kritik von Sabine Weißler beispielsweise eher bei der Dimension des Projektes an. Durch seine Größe werde es automatisch zur „Überinstitution über alle deutschen historischen Museen“. Dafür stehe überhaupt keine deutsche Tradition. Denn alle repräsentativen Museen seien dezentral. Erhebliche und schlimme Auswirkungen erwartet Frau Weißler insbesondere für die Museumslandschaft in Berlin. Die Aufkäuferei treibt die Preise für die anderen Museen hoch. Außerdem: „Nichts, was das DHM anschaffen und ausstellen will, rechtfertigt das Projekt; denn all dies könnte ohne weiteres von den bestehenden Museen ausgestellt werden.“ Aber es gibt schon Fakten: Generaldirektor Stölzl hat nun Sitz in der Berliner Museumsdirektorenkonferenz, in der finanzielle Rückflüsse und Überschüsse aus den Etats verteilt werden, um die Anschaffungsetats aufzubessern. In diesem Kreis versteht sich der Vertreter des DHM inzwischen auch als antragsberechtigt.

Aber die Größe des Projektes ist noch auf ganz andere Weise ein Problem: Seit Jahren gibt es immer wieder frustrierte Ansätze zu einem Museum über den Nationalsozialismus. In der ganzen Bundesrepublik gibt es keinen adäquaten Austellungs und Forschungsort, keine entsprechende Adresse wie das Yad Vashem in Jerusalem oder das Holocaust Memorial in Washington, keinen Ort, an den Ausstellungen über den Nationalsozialismus anderer Länder selbstverständlich adressiert werden könnten. Es gibt keinen Ort, an dem zentral und einfach die Dokumente des NS-Machtapparates gesammelt und einsehbar sind. Die ehemalige Reichshauptstadt des Tausendjährigen Reiches ist eigentlich seit Jahrzehnten hier in der Pflicht. Sollte das Rossi-Ensemble gebaut werden, dann wäre das Mißverhältnis unerträglich. Im Schatten des Deutschen Historischen Museums ständen dann ein Museum über den Widerstand, die räumlich beschränkte und provisorische Einführungsausstellung am Gestapogelände („Topographie des Terrors“) und die Wannsee-Villa. Bedauerlicherweise muß die AL das DHM zum Bruchpunkt der Koalitionsverhandlungen machen, ohne eine Auffangposition zu haben. Ein Schwerpunkt Nationalsozialismus (Forschung und Ausstellung) könnte es sein. Es ist jedenfalls nicht so sehr das Problem, daß sich das Kohlsche Geschichtsbild durchsetzt (es hat sich nicht als durchsetzbar erwiesen), sondern daß dieses Mißverhältnis verewigt wird. Im übrigen, sollte die SPD auf dem DHM bestehen, hat keineswegs der Identitätstifter Kohl gesiegt, wohl aber der Politiker Kohl

-er hatte Berlin rechtzeitig das Geschenk gemacht, an dem die rot-grüne Koalition scheitert.

K.H.