Koalition - die ungünstigste Form für rot-grün

■ Es gibt keine gesellschaftliche Mehrheit für ein gemeinsames rot-grünes Projekt mit substanziellen Forderungen der AL

Harald Wolf

Vorbemerkung aus aktuellem Anlaß: „Optimismus des Willens Pessimismus des Intellekts“ so formulierte Antonio Gramsci die Maxime einer Politik radikaler Veränderung. Das reine Wollen reicht also noch nicht zur Veränderung der Wirklichkeit. Erst bei Reflektion der Schwieirgkeiten und Widerstände, denen sich eine rot-grüne Regierungskonstellation gegenübersieht - also einer gehörigen Portion „Pessimismus“ - wird die in Teilen der SPD und im alternativen Lager existierende rot-grüne Begeisterung zur Triebkraft einer politischen Strategie zur Überwindung dieser Hindernisse werden. Wenn also im folgenden viel Skeptisches über die Möglichkeiten eines rot -grünen Bündnisses formuliert wird, dann nicht mit dem Ziel, dieses in Frage zu stellen, sondern indem man bereits jetzt darüber nachdenkt, wie die auftretenden Probleme überwunden werden können.

„Rot-Grün hat die Mehrheit“ - diese Aussage gilt nur so lange man die Wahlprozente von AL und SPD addiert. Sie stimmt nicht mehr, sobald man sie unter dem Gesichtspunkt politischer Orientierungen und Kräfteverhältnisse betrachtet. Das Wahlergebnis vom 29. Januar war zwar eine Stimmabgabe gegen die CDU/FDP-Koalition, aber keine eindeutige Stimmabgabe für Rot-Grün. Folgt man den Meinungsumfragen, so ist rund ein Viertel der SPD -Wählerschaft gegen eine rot-grüne Koalition. Von der politischen und gesellschaftlichen Mehrheit kann also keine Rede sein.

Dies ist nicht nur das Resultat des mit der Ablehnung eines rot-grünen Bündnisses geführten SPD-Wahlkampfes, sondern auch Ausdruck der Tatsache, daß das Für und Wider einer offensiven Reformpolitik quer durch die Reihen der SPD geht. Es gibt keine Mehrheit für eine gemeinsame rot-grüne Politik, verstanden als ein Projekt, in das substantielle Vorstellungen der AL eingehen, sondern bestensfalls für „sozialdemokratische Politik mit grünen Einsprengseln“. Ein ernstgemeintes „rot-grünes“ Programm wäre nur gegen die Macht der Gewohnheit und die Wertorientierungen relevanter Teile der SPD-Anhängerschaft, gegen die Wirtschaft, den überwiegenden Teil der Bürokratie und gegen Widerstände in den Gewerkschaften umzusetzen. Dafür gibt es nicht mal eine Mehrheit der SPD, geschweige denn eine aktive gesellschaftliche Basis.

Stimmt die Einschätzung, daß in der rot-grünen Koalition nicht viel mehr drin ist, als die Umsetzung sozialdemokratischer Politik - in einzelnen Punkten vielleicht noch nicht mal das - so bedeutet die Regierungsbeteiligung in der Koalition, daß sich die AL den „Sachzwängen“ sozialdemokratischer Politik unterordnen und zu deren Legitimierung herhalten muß. Die Anforderungen seitens der SPD sind in der Erklärung Walter Mompers vom 27.2. klar definiert: „Es kann (...) nicht so sein, daß die SPD in einer rot-grünen Regierung das Element der Vernunft und der Machbarkeit spielt und unpopuläre Entscheidungen treffen muß, während die AL (...) außerhalb des Parlaments popüuläre, aber nicht finanzierbare Forderungen unterstützt. Deshalb wollen wir die klare gemeinsame Verantwortung beider Parteien für das Ganze, für die Koalition.“ Das ist nichts anderes als die Forderung nach der bedingungslosen Unterordnung der Partei unter das Regierungshandeln.

All dies führt mich zu der Schlußfolgerung, daß die Koalition die ungünstigste und instabilste Form einer rot -grünen Zusammanarbeit ist. Während die SPD unter anderem aus Gründen der politischen Akzeptanz an ihrem „rechten Rand“ viel mehr als sozialdemokratische Politik nicht zulassen wird, bringt die Form der Koalition andererseits mit sich, daß diese Politik öffentlich als gemeinsame Politik von SPD und AL präsentiert wird. Jede auch noch so bescheidene Reform wird von Springer, Landowsky und Co. als auf den Einfluß der AL zurückgehend diffamiert werden und die Akzeptanz der SPD-Poltik zur Mitte hin gefährden. In diesem Mechanismus liegt auch der wesentliche Grund dafür, daß die hessische rot-grüne Koalition in den Landtagswahlen 198? aufgrund der Verluste der SPD nach rechts nicht bestätigt wurde. Dieses Integrationsproblem der SPD hin zur Mitte wird ihre Reformspielräume einengen. Gleichzeitig wird sie den Druck auf die AL erhöhen, sich diesem engen Spielraum unterzuordnen und alle „Ungebührlichkeiten“ zu unterlassen. Dies wäre nur um den Preis des Identitätsverlustes der AL zu haben. Diese zentrifugalen Tendenzen - der Druck der SPD zu einer Unterordnung der AL unter das auf der Regierungsebene „Machbare“ einerseits und das Bestreben der AL andererseits ihre Eigensztändigkeit zu wahren, birgt die Gefahr in sich des permanenten taktischen Gerangels am Senatstisch bis hin zur Koaltionskrise und dem Bruch.

Dies würde bedeuten, daß die Option Rot-Grün auf Jahre hinaus sowohl in Berlin als auch für die Bundestagswahlen 1990 erledigt ist. Mein Vorschglag ist deshalb, nach einer Form der Kooperation von SPD und AL zu suchen, die es ermöglicht, das, was gemeinsam machbar ist, umzusetzen und gleichzeitig eine Austragung der Differenzen beider Parteien zu ermöglichen, ohne daß dies unmittelbar als bündnisgefährdend erscheint. Mit der Duldung eines sozialdemokratischen Minderheitssenats könnte von Seiten der AL klargestellt werden, daß die SPD, und nur die SPD, Regierungspolitik betreibt. Daß die Unterstützung allein aus der Tatsache resultiert, daß die Umsetzung sozialdemokratischer Programmatik eine Verbesserung gegenüber der schwarz-gelben Koalition bedeutet, und nicht darauf, daß substantielle AL-Forderungen Eingang in die Regierungstätigkeit gefunden hätten. Die SPD hätte gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Distanz zur AL deutlich zu machen - das heißt auch, sich von den radikalen Forderungen der AL abzusetzen, zur Mitte hin mit ihrer Politik überzeugend zu sein, um so gleichzeitig die möglichen gemeinsamen Schritte gehen zu können. Die AL wiederum hätte größere Freiheit der Kritik an sozialdemokratischer Regierungspoltik und die Möglichkeit sich als weitertreibender und gesellschaftlichen Druck ausübender Faktor zu profilieren, ohne damit die Umsetzung gemeinsamer politischer Schritte mit der SPD zu gefährden.