Chinesischer Frühling

■ ZDF-Spielfilmreihe „Neue Welle“ im chinesichen Film startet mit „Das Dorf meiner frühen Liebe“

Mit immer neuen Spielfilmreihen weiß das ZDF zu überraschen. Nach der Serie deutscher und amerikanischer Produktionen antinationalsozialistischer Filme werden von heute an fünf Werke der sogenannten „Neuen Welle“ des chinesischen Filmschaffens zu sehen sein, darunter Produktionen aus Taiwan, aus der Volksrepublik China und aus Hongkong. Anlaß ist der 40.Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China am 1.Oktober. Den Auftakt bildet eine Koproduktion von Hongkong und der Volksrepublik China.

Schon seit einiger Zeit sind sol che Gemeinschaftsunternehmungen keine Seltenheit mehr. Seit Maos Witwe 1976 gestürzt wurde, setzte nach außen eine Liberalisierung und nach innen eine Rückbesinnung auf die gesamtchinesischen Traditionen ein. Dadurch entstand, trotz tiefgreifender politischer Meinungsverschiedenheiten der vier chinesischen Länder (zu den obengenannten kommt noch Singapur hinzu, welches aber keine eigene Filmproduktion hat), eine künstlerische Zusammenarbeit, die auf der jahrtausendealten Kultur aufbaut und für die Zukunft gemeinsame Perspektiven sucht.

1978 nahm die Filmakademie Beijing (Peking) nach 13jähriger Pause ihre Arbeit wieder auf. 1982 hatte die erste Klasse ihre Ausbildung abgeschlossen. Aus diesen Reihen rekrutiert sich der harte Kern der Filmemacher der Neuen Welle, die sich nicht nur dadurch charakterisieren läßt, daß sie die künstlerische Verarmung während der Kulturrevolution zu kompensieren sucht.

Das Dorf meiner frühen Liebe, 1984 gedreht, mit der das ZDF die chinesische Filmreihe beginnt, wurde auf zahlreichen Festivals gezeigt, so zum Beispiel in Hongkong, London, New York und auch in Berlin vor zwei Jahren im internationalen Forum des jungen Films im Rahmen der Berlinale. 1985 erhielt der Film sechs Auszeichnungen der Hongkong Film Awards: für den besten Film, die beste Regie, das beste Drehbuch und zwei Darstellerpreise.

Yim Ho, der Regisseur, 1952 in Hongkong geboren, studierte von 1973 bis 1975 an der London Film School, kehrte dann nach Hongkong zurück, arbeitete als Drehbuchautor, als Regisseur und Produzent für das Fernsehen. Seit 1978 ist er unabhängiger Filmemacher. Als er für Das Dorf meiner frühen Liebe eine Darstellerin suchte und in der Zeitung annoncierte, meldete sich Josephine Koo, die bisher keinerlei Schauspielerfahrung gehabt hatte. „Als sie einige Dialogzeilen zu lesen begann“, berichtete Yim Ho von den Probeaufnahmen, „wußte ich, daß ich meine Hauptdarstellerin gefunden hatte. Sie war vollkommen natürlich, selbstsicher und reif, mit einem Gesichtsausdruck, der mehr sagte als Worte.“

Der Film erzählt die Geschichte einer Grafikerin aus Hongkong, die in ihr Heimatdorf nach Südchina zurückkehrt, um das Grab ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter zu besuchen. Sie trifft ihre frühere Freundin Al Zhen, die mittlerweile Schuldirektorin geworden ist und den liebenswerten Bauern Xiao Song geheiratet hat. Zwischen Shan Shan, der Großstädterin, und dem Ehepaar entstehen bald Reibereien und Mißverständnisse. Auch in der Beziehung des Paares beginnt es zu kriseln. Shan Shan versucht ihren Freunden ihr in Hongkong geprägtes Weltbild nahezubringen und stößt auf Befremden. Ihre freizügige, emanzipierte Lebensweise kann von der Freundin nicht verstanden werden, gleichzeitig sehnt sich diese aber auch manchmal nach einem freieren und selbstbestimmten Leben. Gegen Ende des Films gelingt den dreien dennoch eine Annäherung. Das unterschiedliche kulturelle Umfeld konnte das Denken verändern, nicht aber ihre Gefühle zueinander und zu ihrer Heimat. Beim Abschied verspricht Shan Shan wiederzukommen.

Die Rückkehr der Grafikerin in ihr Dorf kann als Anspielung auf die zukünftige Vereinigung der britischen Kronkolonie Hongkong mit der Volksrepublik China verstanden werden, welche sich 1997 vollziehen wird.

Petra Kohse

Das Dorf meiner frühen Liebe. Regie: Yim Ho. Hongkong-VR China, 1984, 22.40 Uhr, ZDF