Beim Fußvolk der Contras macht sich Frust breit

Die Präsidenten Mittelamerikas haben sich darauf geeinigt, die Lager der Contras in Honduras aufzulösen / Doch wohin mit der gut bewaffneten Truppe? In den Lagern versuchen die Kommandanten mit Durchhalteparolen die Kampfmoral zu halten / Die Sandinisten bieten Land für Rückkehrer an  ■  Aus Yamales Ralf Leonhard

Der Abendwind weht Kampfgeschrei und trotzige Lieder von der Anhöhe herunter. Auf dem Steilhang, zu dem man sich durch stinkenden Morast, zerklüftetes Gelände und Kuhmist durchkämpfen muß, stehen an die 200 Hütten aus verwitterten Ästen, verkleidet mit schwarzen Plastikplanen, die vor dem Regen schützen sollen. Auf dem Exerzierplatz davor haben rund 300 Gestalten in Tarnuniformen in Kompanieformation Aufstellung genommen, laufen auf der Stelle, hüpfen, brüllen und singen auf Befehl. Das Regionalkommando Ismael Castillo Urbina hält sich warm für zukünftige Einsätze. Die Kommandanten in den Lagern der Contra im honduranischen Grenzgebiet zu Nicaragua versuchen die Truppenmoral hochzuhalten. Denn nachdem die fünf Präsidenten Zentralamerikas am 14.Februar in einer gemeinsamen Erklärung die „Demobilisierung, freiwillige Repatriierung oder Unterbringung in Drittländern“ der in Honduras lagernden Konterrevolutionäre beschlossen hatten, macht sich unter dem Fußvolk Heimkehrstimmung breit.

Jahrelang hatten die honduranische Regierung und Armee bestritten, daß die bewaffneten Nicaraguaner überhaupt auf ihrem Territorium lagern. Seit der Kongreß in Washington im Februar des Vorjahres Reagans Ansuchen um weitere Militärhilfe für seine Schützlinge niederstimmte, sind die Contras aber zunehmend zu einem Sicherheitsproblem geworden. Dies hat Honduras‘ Präsident Azcona schließlich dazu bewogen, einer Auflösung der Lager zuzustimmen. Die Armeeführung ihrerseits, die immer versucht hatte, ungebetene Zeugen aus dem Contra-Gebiet fernzuhalten, stellt jetzt ohne Zögern Erlaubnisscheine aus, „gewisse Orte an der Grenze zu Nicaragua“ zu besuchen. Ein Soldat hinter der Ortschaft Las Trojes prüft noch die Papiere, bevor er die Schranke hebt und gute Fahrt wünscht.

Nach dem letzten Kontrollposten der honduranischen Armee, kaum 150 Kilometer, aber fünf Autostunden südöstlich von Tegucigalpa, beginnt das Contra-Land. „Wir reparieren Waffen und Radios“, steht auf einem Schild vor einer der Hütten am Wegrand. Hier wohnen noch Honduraner. Hinter dem Stützpunkt Capire, beiderseits der etwa 20 Kilometer langen Straße nach Yamales, lagern die Contras, die hier rund 200 Quadratkilometer kontrollieren.

„...bis Nicaragua befreit ist“

In Capire wird gerade Essen verteilt. Die Familienangehörigen der Contra-Kämpfer, die hier in Notunterkünften leben, bekommen ihre Nahrungsmittelzuteilung für einen Monat. Den vorläufig letzten, denn Ende März läuft die humanitäre Hilfe der US-Regierung, die über die staatliche „Agency for International Development“ (AID) abgewickelt wird, aus. Je sechs Kilo Bohnen, Reis und Zucker, zwei Kilo Trockenmilch und ebensoviel Kochfett hat Catalina Orozco für sich und ihre beiden Kinder bekommen. Fleisch gibt es keines. Ihr Mann Edgar Montano, ein altgedienter Contra und ehemaliger Nationalgardist, wird in seinem Lager verpflegt. „Mit dem Essen kommen wir knapp durch“, erzählt Catalina, die das Lagerleben gründlich satt hat. Über das Abkommen der Präsidenten ist sie zwar nur sehr oberflächlich informiert, aber „wenn es stimmt, was man erzählt und die Sandinisten ihr Wort halten, dann möchte ich zurück nach Chinandega“.

„Wenn es eine friedliche Einigung gäbe, wäre es besser, denn dann müßten weder wir noch die Sandinisten Blut vergießen“, erklärt auch der 30jährige Juan Zeledon. „So denken hier die meisten.“ Er beeilt sich aber hinzuzufügen: „Wir sind aber bereit, unseren Führern zu folgen.“ Die Führer, also die Mitglieder des Contra-Generalstabs, sind wenige Tage nach dem Präsidentengipfel in El Salvador in die USA aufgebrochen, um von der Bush-Regierung, die zum Demobilisierungsplan bisher weder ausdrücklich ja noch nein gesagt hat, zu erfahren, wie es weitergehen soll. Die einzelnen Truppenkommandanten lassen ihre Leute währenddessen mehrmals täglich antreten, um ihnen die offizielle Linie einzutrichtern. „Die Sandinisten werden ihr Demokratisierungsversprechen nicht einlösen“, antworten daher die meisten. „Wir sind entschlossen weiterzukämpfen, bis Nicaragua befreit ist.“

„Die Gringos

haben uns verarscht“

Den Text des historischen Abkommens, welches das Schicksal der Konterrevolutionäre besiegeln soll, hat hier in den Lagern keiner zu Gesicht bekommen. Ihre Informationen, so bestätigen die einzelnen Buschkämpfer, hätten sie von ihren Kommandanten und über den Untergrundsender 15. September bekommen. Von den Angeboten der nicaraguanischen Regierung, allen Repatriierten ein Stück Land, Arbeitsgeräte und Saatgut zu verschaffen, nach und nach alle gefangenen Contras freizulassen und die Einhaltung der Verpflichtungen durch internationale Organisationen überwachen zu lassen, wissen sie nichts. Die monatelange Untätigkeit in den Lagern, wo von der thermogesteuerten Luftabwehrrakete bis zum Volleyballnetz alles von den USA geliefert wird, hat ihre Kampfmoral schon lange untergraben. Und dann noch der Stopp der Waffenhilfe. „Die Gringos haben uns verarscht“, wettert Rodolfo, der unumwunden zugibt, daß die Mehrheit hier keine Lust mehr hat weiterzukämpfen.

Selbst „Comandante Fünfzehn“, ein blonder Veteran, der schon in Somozas Nationalgarde gekämpft hat, ist von seinen Vorgesetzten nur bruchstückhaft informiert worden. Fragen über die Zukunft der militärisch erfolglosen Truppen machen ihn mißtrauisch. In ausgewaschenen Bluejeans und offenen Militärstiefeln, die Armeepistole lässig im Gürtel, kommt er aus seiner Unterkunft, sichtlich irritiert durch die unwillkommene Störung. Bisher sind nur Besucher mit Empfehlungsschreiben der Chefs bis zu seiner Einheit, dem Regionalkommando Ismael Castillo Urbina, vorgedrungen. „Wer an die Amnestie der Sandinisten glaubt, ist verrückt“, knurrt er und delegiert dann das Wort an einen 22jährigen Assistenten, der sich als „Teacher“ vorstellt. Auch „Teacher“, der einen Sermon abläßt, als hätte er ihn einstudiert, hält nicht viel von der Erklärung von El Salvador. Was die Willenserklärung von Präsident Azcona betreffe, die Contras zu entwaffnen, so handele es sich „um eine persönliche Meinung, die für uns weiter keine Auswirkungen hat“. Er glaubt nicht, daß die honduranische Armee, die all die Jahre willig kooperiert hat, plötzlich daran gehe, die Rechtsrebellen zu vertreiben. Die Gefahr besteht auch gar nicht. Oberst Suarez Benavides, der Presseoffizier der Armee, stellte eindeutig klar, die Streitkräfte würden keinesfalls einschreiten und womöglich Blut vergießen.

Kalaschnikow und Volleyball

„Comandante Ganso II“, der dem strategischen Kommando zugeteilt ist und schon in der von Somoza Junior geleiteten Elitetruppe EEBI gedient hat, hält diese Möglichkeit zwar auch für „absurd“, meint aber, „in dem Fall müßten wir die Waffen abgeben, denn wir sind hier in einem fremden Land“. Er fügt aber schnell hinzu: „Das wäre gegen unseren Willen.“ Die Alternative für die vertriebene Freischärlerarmee wäre die bewaffnete Rückkehr ins Heimatland, die Fortsetzung des Kampfes. Seit bei den Verhandlungen mit der Regierung im März des Vorjahres eine befristete Waffenruhe ausgehandelt wurde, ist der Krieg praktisch zu Ende. Die Sandinisten verlängern Monat für Monat den einseitigen Verzicht auf Offensivaktionen um weitere 30 Tage, und die wenigen in den nicaraguanischen Bergen verbliebenen Contras beschränken sich auf gelegentliche Überfälle auf Bauerngenossenschaften oder Transporte.

Derzeit werden zwar immer wieder einzelne Einheiten über die Grenze geschickt, aber in der Regel nur für Missionen von wenigen Tagen. Über deren Charakter wollen die Contra -Kämpfer keine Auskunft geben. Einer berichtet aber, daß er ein paar Verletzte bergen mußte. „Wenn wir über die Grenze gehen, müssen wir kämpfen“, erzählt Joel, ein Truppenkommandant vom Regionalkommando Pedro Joaquin Gonzalez, „denn da ist alles vermint und voll mit Piricuacos“ (sandinistischen Soldaten). Joel ist gerade dabei, einen Sack Maismehl auf seine Schultern zu laden, den er mehrere Kilometer über die steinige, mit Schlammlöchern übersäte Straße in sein Lager transportieren muß. In den Lagern links und rechts der Straße wird die militärische Organisationsstruktur beibehalten. Jedes Regionalkommando, das einem Bataillon, also 400 bis 500 Soldaten, entspricht, ist separat untergebracht. Die Gesamtstärke der in Honduras lagernden Truppen ist schwer zu schätzen, da einzelne Lager hinter den Hügeln verborgen liegen. Die von den Regierungen von Nicaragua und Honduras genannte Zahl von 4.000 dürfte der Wahrheit jedoch näher liegen als die 11.000, von denen die Contra-Führung spricht.

Vor dem Regionalkommando Jorge Salazar II schiebt der zwölfjährige Alexis mit der Kalaschnikow über der Schulter Wache. Im Jorge Salazar III wird Volleyball gespielt. Sonst vertreiben sich die arbeitslosen „Freiheitskämpfer“ die Zeit mit Gymnastik, dem Absingen von genauso pathetischen wie holprigen Liedern und politischen Ansprachen, die das Ziel haben, den Glauben an die längst verlorene Sache wachzuhalten.

Journalisten, die das Vertrauen der Antisandinisten genießen und daher bis zum strategischen Kommando vordringen konnten, berichten, daß man währenddessen bereits begonnen hat, die gebildeteren Contras auf ein baldiges Zivilleben vorzubereiten. Ein „Comandante Papillon“ soll einen mit einer Million Dollar dotierten Computerkurs leiten. Und laut 'Newsweek‘ ist kürzlich ein mit „humanitärer“ Hilfe finanziertes Ausbildungsprogramm für handwerkliche Berufe angelaufen.

Die Kriminalität

der bewaffneten Armut

Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge und eine im Vorjahr gegründete nationale Flüchtlingskommission, die wie alle wichtigen Institutionen des Landes den Militärs untersteht, haben schon vor Monaten eine Studie über die nicht registrierten Flüchtlinge in Auftrag gegeben. Darin werden Vorschläge gemacht, jene Contras, die nicht nach Nicaragua zurück wollen, in Honduras in das Wirtschaftsleben einzugliedern. Denn es ist kein Geheimnis, daß das sprunghafte Ansteigen der Kriminalität in direktem Zusammenhang mit der Anwesenheit unbeschäftigter Contras steht. An den meisten Delikten gegen Gut und Leben, die in den letzten Monaten aufgeklärt wurden, sind Nicaraguaner beteiligt gewesen.

Der Kaffeebauer Eduardo Tercero ist vor vier Jahren schon von seinem Grund und Boden vertrieben worden. Seine kleine Kaffeeplantage und sein Weideland liegen im Contragebiet. „Ich weiß nicht, ob sie den Kaffee geerntet haben oder ob er verfault ist“, seufzt Tercero, der im einzig offenen Wirtshaus von Las Trojes sein Abendessen zu sich nimmt. Er weiß von Contra-Chefs, die in der Grenzzone sogar Land gekauft haben sollen: „Andere haben es einfach besetzt.“

Unweit der nicaraguanischen Grenze unterscheidet sich das sanfte, pinienbestandene Hügelland nicht von der Landschaft auf der anderen Seite. Die Bewaldung ist allerdings spärlich geworden. Mit steinzeitlicher Brandrodungstechnik haben sich die Nicaraguaner Platz geschaffen. Verkohlte Baumstümpfe am Wegrand zeugen von ökologischem Raubbau. Uniformierte Contras mit Motorsägen rücken auch den Edelhölzern zu Leibe. Die nationale Forstverwaltung vermutet, daß die wertvollen Stämme über honduranische Mittelsleute an Sägewerke in Danli, der nächstgelegenen Stadt, verkauft werden. Sicher ist, daß Holz aus dem Grenzgebiet in Danli gelandet ist.

Entwaffnungspläne

Wenn es nach dem Willen der zentralamerikanischen Präsidenten geht, ist der Spuk in wenigen Monaten vorbei. Bis zum nächsten Gipfeltreffen, das Mitte Mai in Honduras stattfinden wird, soll ein konkreter Plan vorliegen, wie die Entwaffnung und Repatriierung der Contras oder ihre Unterbringung in Drittländern vonstatten gehen soll. Nach einem nicaraguanischen Vorschlag, der von der honduranischen Armee und Regierung in Grundzügen bereits akzeptiert wurde, im Detail aber noch ausgefeilt werden muß, wird die Abwicklung in die Hände der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) und des Internationalen Komitees des Roten Kreuz‘ (IKRK) gelegt. Diese Organisationen werden von der honduranischen Regierung Zugang zu den Lagern der „irregulären Truppen“ erhalten und binnen 45 Tagen „die Waffen und alles weitere Gerät in Empfang nehmen“. Die honduranische Regierung darf nach dem jüngsten nicaraguanischen Entwurf entscheiden, ob sie die Waffen behalten will oder der aus den obengenannten Organisationen gebildeten Kommission überläßt. Die nicaraguanische Regierung verpflichtet sich nicht nur, den Rückkehrwilligen Land und Werkzeug zu verschaffen, sondern auch allen Staatsbürgern, die in Drittländer ausreisen wollen, Pässe auszustellen.

Von diesen Vereinbarungen weiß man bisher in den Lagern von Yamales so gut wie nichts. Doch während die Contra-Chefs in Washington versuchen, noch einmal die Kriegsmaschinerie in Gang zu bekommen, beten die meisten Kämpfer in den sumpfigen Lagern, daß dieser Krieg bald zu Ende gehe.