Nazi-Verteidiger bezweifelt Juden-Vergasung

Im Verfahren gegen den ehemaligen KZ-Adjutanten von Majdanek, Höcker, möchte Rechtsanwalt Eggert klären lassen, ob Zyklon B nicht lediglich zur Desinfektion der Kleidung verwendet wurde / Mindestens 250.000 Menschen wurden in Majdanek vergast  ■  Von Bettina Markmeyer

Bielefeld (taz) - Die Verteidigung des ehemaligen KZ -Adjutanten Karl-Friedrich Höcker bezweifelt, daß im Konzentrationslager Majdanek Menschen vergast worden sind. Dies geht aus einem Schriftsatz hervor, den der Frankfurter Anwalt des Angeklagten, Dr.Rainer Eggert, am vergangenen Montag dem Bielefelder Gericht überreichte. Bereits zum Jahreswechsel hatte die Verteidigung wegen vermeintlicher Widersprüche in den ZeugInnenaussagen über die Lage und Beschaffenheit der Gaskammern solche Zweifel angemeldet. Es bestehe die Gefahr, so Eggert jetzt, daß das Wissen um die Vorgänge in anderen Konzentrationslagern, wie zum Beispiel Auschwitz, von den Prozeßbeteiligten auf die Verhältnisse in Majdanek nur übertragen werde.

Dem Gericht müsse es „gedanklich möglich sein, die Frage, ob in Majdanek Vergasungen von Häftlingen stattgefunden haben, zu stellen“. Eggert regte an, die weitere Beweisaufnahme auf diese Frage zu konzentrieren und nannte dazu Namen möglicher weiterer Zeugen, darunter etliche der Verurteilten aus dem Düsseldorfer Majdanek-Prozeß. Vor allem will der Frankfurter Advokat klären lassen, ob das Giftgas Zyklon B nicht lediglich zur Desinfektion von Kleidung und Gebäuden eingesetzt wurde.

Mit diesem Vorstoß, der der allgemeinen Verteidigungslinie im Bielefelder Majdanek-Verfahren entspricht, stellt Eggert nicht nur sämtliche Erkenntnisse über das Grauen in Majdanek aus dem großen Düsseldorfer Majdanek-Prozeß (1975-1981) in Frage, sondern verlangt praktisch auch, daß die Beweisführung des ersten Majdanek-Prozesses neu aufgerollt wird. Das würde zu einer unabsehbaren Verschleppung des Bielefelder Prozesses führen.

Seit einem halben Jahr verhandelt das Bielefelder Schwurgericht gegen den 77jährigen Karl-Friedrich Höcker aus Lübbecke (Kreis Minden-Lübbecke), der vom Mai 1943 bis April 1944 Adjutant im Konzentrationslager Majdanek (Lublin, Polen) war. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer ist wegen Beihilfe zum Mord an einer großen Zahl von Menschen angeklagt. Außerdem hat er sich für einen Meineid zu verantworten, den er als Zeuge im Düsseldorfer Majdanek -Prozeß geschworen haben soll. Im Vernichtungslager Majdanek wurden zwischen 1942 und 1944 mindestens 250.000 Menschen von den Nazis ermordet.

Anhand von Dokumenten und Zeugenaussagen hat die Staatsanwaltschaft im Verlaufe des Prozesses einen zeitlichen Zusammenhang rekonstruiert zwischen Zyklon-B -Bestellungen im Frühsommer 1943, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Höcker abgezeichnet wurden, und Vergasungen bis in den Winter desselben Jahres, bei denen dieses Gas verwendet worden sein muß. Auf Zyklon-Vorräte, die aus der Zeit vor Höckers Versetzung nach Majdanek hätten stammen können, konnte die SS-Lagermannschaft Mitte 1943 nicht zurückgreifen.

Am 8.Juni 1943 hatte die KZ-Leitung 3.000 Büchsen Zyklon-B a 1.500 Gramm bei ihrer Hamburger Lieferfirma Tesch & Stabenow, Internationale Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH, kurz „Testa“, bestellt. Testa jedoch hatte Lieferschwierigkeiten, da die Herstellerfirma, die Dessauer Werke für Zucker und Chemische Industrie, ein Tochterunternehmen der IG Farben, mit der Produktion nicht nachkam. Die Dessauer Werke, so Testa-Geschäftsführer Tesch in einem Schreiben an die KZ-Kommandantur vom 2.Juli 1943, hätten „Lieferungen von ganz außergewöhnlichem Umfang auszuführen“. Daraufhin drängte die KZ-Leitung auf kleinere Vorablieferungen des Giftgases, da, wie aus einer Notiz vom 6.Juli 1943 - „Eilt. Bestand ist verbraucht“ - hervorgeht, die Vergasungen nicht unterbrochen werden sollten.

Der ausführliche Schriftwechsel zwischen Testa und der KZ -Kommandantur wurde dem Bielefelder Schwurgericht im November von der Archivleiterin der Gedenkstätte in Majdanek, Henryka Telesz, vorgelegt. Soweit es sich um Schreiben von Testa handelt, tragen die meisten im Eingangsstempel des „KL Lublin“ Höckers Paraphe. Als Adjutant des Kommandanten hat Höcker sowohl die Schreiben gelesen als auch entsprechende Antwortschreiben verfaßt und abgeschickt, sagt die Staatsanwaltschaft.

Der Schriftwechsel, der zu den wichtigsten Beweismitteln gegen Höcker gehört, wurde 1944 in einem zerstörten deutschen Auto in Lublin gefunden. Die Dokumente waren bereits seit 1959 im Archiv des Museums Majdanek zugänglich.