Zweierlei Maß

■ Rushdie und die Hinrichtungen im Iran

Die EG erlebt jetzt im Verhältnis zum Iran ihre Geisel -Affäre. Damals, in den Jahren 1979/80, schugen die Wogen der Empörung in den USA hoch über den anmaßenden Mullah in Teheran, der die Supermacht in die Knie zwang; gelbe Schleifen zierten Bäume zur Erinnerung an die 52 Geiseln in der besetzten Botschaft; Khomeini galt als das personifizierte Böse. Heute, nach der Morddrohung gegen Salman Rushdie, geht der Aufschrei durch Westeuropa, ein Aufschrei, der berechtigt ist und den man sich manchmal noch deutlicher wünscht. Doch die Front gegen Khomeini ist zu schön, um wahr zu sein.

Weit weg vom Teheraner Evin-Gefängnis werden nun Solidarität mit dem bedrohten Schriftsteller und persönlicher Mut demonstriert. Regierungen beschließen Gegenmaßnahmen. Aber wo waren alle diese Aufrechten, diese Verteidiger der Menschenrechte und der Freiheit mit ihren Worten, Gesten und Taten, als im Iran während des letzten halben Jahres Tausende von politischen Gefangenen massakriert wurden? Menschen, die persönlichen Mut an den Tag legten und sich weigerten, „Reue“ zu zeigen, wohl wissend, daß ihnen der Tod sicher war. Aber das interessierte kaum jemanden in unserer ach so zivilisierten Welt. Schließlich ist Rushdie (wie die Geiseln im Falle der Botschaftsbesetzung) quasi „einer von uns“.

Beate Seel