Rot-grüne Krisenstimmung in Berlin

Senat kündigt Rücktritt an / SPD-Chef Momper auf Schlingerkurs / Nach Kritik an AL jetzt Rügen an Kohl und Waigel / Verhandlungen vor neuen Hürden/ Finanzierung für rote und grüne Projekte nicht gesichert  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

Der CDU/FDP-Senat in Berlin unter Führung des Regierenden Bürgermeisters Diepgen wird morgen zurücktreten. Eine entsprechende Erklärung gab Diepgen am Dienstag ab. Am Donnerstag findet die konstituierende Sitzung des Abgeordnetenhaus statt. Die Verhandlungen in Berlin zwischen SPD und Alternativer Liste (AL) haben indessen kaum Fortschritte gemacht.

Nachdem der Berliner SPD-Vorsitzende am Dienstag von Bonn aus seine grüne Verhandlungspartnerin um eine Regierungskoalition, die AL, zurechtgewiesen hatte, teilte er gestern Rügen an Kohl und den CSU-Vorsitzenden Theo Waigel aus. Beide hätten eine große Koalition für Berlin „gezielt torpediert“. Dies will Momper „zuverlässig“ wissen. Diepgen habe in den inzwischen abgebrochenen Gesprächen zwischen SPD und CDU jegliche Zugeständnisse bei den für die SPD wichtigen Punkten, Gesundheitsreform und Mietengesetzgebung, verweigert.

Inzwischen klemmt es auch zwischen SPD und AL. In der für den späten Dienstagabend kurzfristig angesetzten Krisenrunde der Verhandlungsdelegationen standen circa 30 Dissenspunkte auf der Liste. Einigung wurde bislang in nur zwei der zwölf Untergruppen erzielt. Im Bereich Wohnungsbau einigten sich SPD und AL, pro Jahr zusätzlich 7.000 Wohnungen zu bauen. Zufrieden äußerten sich beide Seiten über Ergebnis im Bereich Flüchtlinge und Asylpolitik.

Die rot-grüne Hochstimmung war am Wochenende umgeschlagen, als sich die SPD-Verhandler trafen, um Kassensturz zu machen, und feststellen mußten, daß selbst ihr eigenes Wahlprogramm mit dem bestehenden Haushalt nicht zu finanzieren ist. SPD-Schattenfinanzsenator Schneider entdeckte am Wochenende noch eine Deckungslücke von 1,3 Milliarden. Jetzt werden rote und grüne Begehrlichkeiten zurückgewiesen. Zu teuer wird die Forderung nach 5.000 zusätzlichen Kitaplätzen und zwei ErzieherInnen pro Gruppe eingestuft, und auch die 40 Millionen, die das von den AL -Frauen geforderten Nachttaxi kosten soll, will der Finanzexperte nicht rausrücken. Selbst das SPD-eigene Programm Arbeit und Umwelt wird nur ein Rumpfprogramm bleiben.

Aber auch bei für die AL wichtigen symbolischen Forderungen machen die Sozialdemokraten Rückzieher. Das Deutsche Historische Museum beispielsweise, das selbst im SPD -Wahlprogramm als überflüssig bezeichnet wird, soll nun doch gebaut werden. Die Gelegenheit, eine andere politische Kultur einzuführen, indem beispielsweise die Diäten der Abgeordneten eingefroren, die Wahlkampfkostenpauschale nicht erhöht oder die Dienstwagen für die Fraktionsvorsitzenden abgeschafft werden, will die SPD verschenken. Den seit Jahren von der AL bekämpften Vertrag über einen Stromverbund zwischen Berlin und Westdeutschland will die SPD in jedem Fall abschließen. Selbst der Verfassungsschutz wird nicht in dem Umfang abgespeckt, wie es die SPD noch vor den Wahlen gefordert hat. Und erst recht zögerlich zeigen sich die Sozialdemokraten bei der Polizei. Weder die Kennzeichnung der Beamten sei mit ihnen durchzusetzen noch ist die Partei bereit, die Sondereinheiten abzubauen.

Bei der Alternativen Liste bekommen indes selbst eingefleischte Realos Bauchschmerzen und fragen sich, wie sie beim Delegiertenrat heute abend das zu erwartende Programm den Mitgliedern als tragfähiges Regierungsprogramm anbieten sollen. Am kommenden Wochenende werden die letzten Kompromisse ausgehandelt. Die Verhandlungkommission tagt am Freitag und Sonntag.