Bürgerkriegsstimmung im Kosovo

■ 800.000 Serben demonstrierten gegen den Rücktritt der Parteichefs von Kosovo / 10.000 Soldaten auf dem Weg ins Krisengebiet / Albanische Bergarbeiter brechen ihren Streik ab / Slowenischer Parteichef Kucan nimmt die Kosovo-Albaner in Schutz

Berlin (taz) - In Jugoslawien herrscht Bürgerkriegsstimmung. Das Oberkommando der Armee hat die Entsendung von 10.000 Soldaten in den mehrheitlich von Albanern besiedelten Kosovo angeordnet. In mehreren serbischen Städten wurden Reservisten „für unbestimmte Zeit“ mit Armeelastwagen abgeholt. Immer neue Panzerkolonnen rollen auf Pristina zu, die Hauptstadt der autonomen Provinz Kosovo. In der Nacht zum Dienstag schreckten über dem Stadtzentrum Tiefflieger die Leute aus dem Schlaf.

Die 1.200 albanischen Bergarbeiter der Blei- und Zinkmine von Trepca haben ihren Streik am Dienstag abgebrochen. Mit aufgesprungenen Lippen und blutunterlaufenen Augen traten die letzten 200 Kumpel, die sich in 700 Meter Tiefe verschanzt hatten, nach einem achttägigen Hungerstreik ans Tageslicht. Sie hatten ihre Hauptforderung durchgesetzt: Nach dem Parteichef von Pristina und dem Vertreter Kosovos in der Belgrader Parteizentrale ist jetzt auch Rahman Morina, der vor zwei Monaten auf Druck des serbischen Parteichefs Slobodan Milosevic eingesetzte Parteichef von Kosovo, zurückgetreten. Doch Rücktritte und Streikabbruch haben nicht für Ruhe gesorgt. Ganz im Gegenteil.

Während sich in der Mine von Leposavac im Kosovo, das der Teilrepublik Serbien unterstellt ist, etwa 800 Bergarbeiter der serbischen und montenegrinischen Minderheit der Provinz verbarrikadiert haben und bis zur Rücknahme der Rücktritte streiken wollen, protestierte am Dienstag vor dem Parlamentsgebäude in Belgrad eine Menge, die bei Redaktionsschluß auf 800.000 Personen angewachsen war, gegen den Rücktritt der proserbischen Politiker im Kosovo. Die Demonstration hatte am Montag abend begonnen. Die ganze Nacht durch harrten etwa 20.000 Serben, vorwiegend Studenten, vor dem Gebäude aus. Um vier Uhr morgens erschien schließlich der Präsident des serbischen Parlaments, Borislav Jovic, und wetterte gegen die Konterrevoluton im Kosovo. „Laßt uns nach Kosovo marschieren“, skandierten die Demonstranten. „Lang lebe die sozialistische Republik Jugoslawien!“ rief Jovic ihnen entgegen. Ein Versprecher? Nur unter Stalin, als der Vielvölkerstaat als „serbischer Vielvölkerkeller“ verschrieen war, war dies die offizielle Bezeichnung. Seither war immer von der „sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien“ die Rede.

Doch die jugoslawische Einheit ist brüchiger denn je, die zentrifugalen Kräfte setzten sich am Dienstag voll durch. In der Landeshauptstadt Belgrad, die zugleich Hauptstadt Serbiens ist, bekundeten 800.000 Demonstranten ihre Unterstützung für den serbischen Parteichef Milosevic. Er will die Verfassung von 1974 revidieren und die Rechte der albanischen Minderheit einschränken. Fortsetzung auf Seite 2

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Gleichzeitig versicherten 100.000 Bewohner Sloweniens, der reichsten und liberalsten Teilrepublik Jugoslawiens, in einer schriftlichen Petition den Albanern im Armenhaus Kosovo ihre Solidarität.

Der slowenische Parteichef Milan Kucan, der als „jugoslawischer Dubcek“ gehandelt wird, erklärte in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehrede: „Das ganze Drama von Trepca rührt daher, daß der albanischen Bevölkerung keine Möglichkeit zugestanden wird, ihre eigene politische Führung zu wählen.“ Die serbischen Genossen, stellte er weiter fest, würden einen militärischen Ausnahmezustand im

Kosovo dem Eingeständnis ihrer eigenen politischen Fehler vorziehen. Noch schärfer drückte sich Joze Skolc, Sekretär der slowenischen Parteijugend auf einer Demonstration in Ljubljana aus: „Im heutigen Jugoslawien leben Albaner in einer ähnlichen Situation wie einst die Juden. Man schimpft sie Vergewaltiger und Tierschänder. Jeder kann einen Albaner verunglimpfen, ohne daß er etwas zu befürchten hätte.“

Während slowenische Jungkommunisten nach Trepca reisten, um den Bergarbeitern ihre Solidarität zu übermitteln, trugen Demonstranten vor dem Belgrader Parlament Spruchbänder, auf denen Slowenien beschuldigt wird, mit Kosovo gemeinsame Sache zu machen. Doch handelt es sich nicht um eine gemeinsame Konterrevolution, wie natio

nalistisch aufgeputschte Serben behaupten, sondern eher um den gemeinsamen Versuch von Albanern und Slowenen, großserbische Ambitionen rechtzeitig abzuwehren.

Roland Hofwiler/thos