„Sie kennen keine Scham“

■ Der spanische Hit kommt jetzt auch hier ins Kino: Pedro Almodovars schrille Komödie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“

Pressevorführung. Ein Blick ins Presseheft belehrt uns über den Regisseur: „Spätestens seit Das Gesetz der Begierde wird er in Frankreich, England, der Bundesrepublik und auch in den USA als Spaniens Enfant terrible und als Antwort auf Bunuel und Saura gefeiert. Aber auch mit Fassbinder und Billy Wilder vergleichen ihn die Kritiker.“

Viel auf einmal. Und deja vu, kaum daß der Film beginnt: Carmen Maura sieht aus wie Isabelle Adjani mit dem Gesicht von Annie Girardot und rast über die Leinwand wie weiland Katherine Hepburn in Leoparden küßt man nicht. Hauptschauplatz ist (wie in vielen Hollywood-Komödien seit den Fünfzigern) eine Penthouse-Wohnung, die im Laufe der 88 Minuten Filmdauer immer mehr beschädigt und immer mehr bevölkert wird. Es klingelt an der Tür, es klingelt das Telefon, aber es sind immer die Nichterwarteten, die mit neuen Anliegen um Aufmerksamkeit heischen und so die Handlung verwirren. Schließlich als Variante zum in den Achtzigern nicht mehr so populären Alkohol: ein mit Schlafmitteln versetzter Gaspacho (spanische Gemüsemixtur) setzt die für den Rest der Handlung nicht mehr benötigten Figuren außer Gefecht.

Drei Frauen stehen am Rande des Nervenzusammenbruchs und damit im Mittelpunkt des Geschehens. Pepa (Carmen Maura), eine Serienschauspielerin und Synchronsprecherin, jagt ihrem Kollgen und Geliebten hinterher, nachdem er ihr eine Abschiedsfloskel auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hat. Lucia bekam vor 21 Jahren einen Sohn von Ivan, wurde verlassen und verbrachte 20 Jahre in der Klapse. Diese hat sie nun in einem Akt von Selbstheilung verlassen; sie hat Ivans Sychronstimme im Fernsehen erkannt, wie sie dieselben Liebesschwüre flüsterte, die er ihr einst live ins Ohr sprach. Nun will sie Ivan als Ursache ihrer Nervenkrankheit beseitigen. Candela, Freundin und Kollegin von Pepa, sucht Zuflucht im Penthouse der Freundin, weil sie im Fernsehen unter drei als Terroristen gesuchten Schiiten den Mann ausmacht, mit dem sie ihr erstes befriedigendes Liebeserlebnis hatte. Die Männer, obschon Auslöser der nervlichen Ausnahmezustände, sind nicht präsent. Ivan sieht man am Anfang und am Ende nur als Heuchler. Andere Männer wie Ivans Sohn Carlos, ein blondgefärbter Taxifahrer oder ein Motorradrocker, sind den Frauen zu Diensten in Verfolgung ihrer Ziele.

„Frauen sind die einzigen, die wissen, wie man sich zu verhalten hat, wenn ihr Freund sie Knall auf Fall verläßt (Wer denn sonst? I.B.). Sie kennen keine Scham, sie wissen nicht, was es heißt, einen Narren aus sich zu machen oder was so eine merkwürdige Vokabel wie Selbstachtung bedeuten soll. Sie lassen ihren Reaktionen vollen Lauf - die ganze Tonleiter rauf und runter.“ Sagt Almodovar.

Auch er kennt keine Scham und macht die Darstellerinnen zu Narren. Lucia trägt schauderhaft toupierte Frisuren und Kleider, die andeuten sollen, daß die 20 Jahre in der Klapse sie die neuere Mode haben versäumen lassen. Candela dagegen ist in allerneuestes Disco-Outfit gewandet und hat als Ohrclips kleine Expresso-Kännchen. Pepa stakst in engen Miniröcken und Pumps durch die Gegend, was übrigens Susan Sontag in 'Elle‘ moniert haben soll.

Nun sollte man einen Filmemacher nicht nach seinen Äußerungen beurteilen, sondern nach seinem Produkt. In Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs kann man lachen wie in den Komödien, die er so frech und gekonnt kopiert und mit modernen Geräten wie Anrufbeantworter und Fernseher ausstattet. Wer die Marx-Brothers, Jerry Lewis, Jack Lemmon und Walter Matthau mag, muß auch die Komödiantinnen Carmen Maura, Julieta Serrano und Maria Barranco mögen. Oder ist das bei Frauen etwas anderes? Diejenigen, die (wie ich) sich unter den Filmkomikern einen größeren Frauenanteil wünschen, ohne gleich eine Quote zu fordern, kommen auf ihre Kosten.

Ingeborg Braunert

Pedro Almodovar: Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Mit Carmen Maura, Julieta Serrano, Maria Barranco, Spanien 1988, 88 Minuten