Ermordet wegen Hexerei

■ In Tansania werden alte Frauen Opfer des Hexenglaubens

Zusammengekauert sitzt die 70jährige Holo Nyanda in einer Ecke des Bahnhofsamtes in der tansanischen Stadt Shinyanga. Vor sich hat sie ihren einzigen Besitz - ein altes Tablett, auf dem sie alles sammelt, was Passanten ihr geben. Kaum zu verstehen sind ihre leisen Worte, als sie ihre Not schildert. Sie mußte von zu Hause weglaufen, ein Jahr nachdem man sie erstmals beschuldigte, eine Hexe zu sein. „Meine Familie hätte mich beinahe umgebracht“, berichtet sie stockend.

Drei Enkelkinder von Holo Nyanda waren innerhalb weniger Monate gestorben. Gerüchte tauchten im Dorf auf: Nyanda habe ihre Enkel getötet. „Die eigenen Enkelkinder begannen mich zu hassen wie eine Ausgestoßene, riefen mir 'witch, witch, witch‘ ins Gesicht“, erzählt sie. Eine Chance, sich zu verteidigen, gab ihr die Familie nicht, und Nyanda wußte von anderen Fällen, was sie zu erwarten hatte. „Ich habe oft gesehen, wie Frauen, denen man Hexerei vorwarf, von den eigenen Familien getötet wurden.“ Eines Tages erzählte ihr das eigene Enkelkind, die Familie plane, sie umzubringen.

Nyanda verließ das Dorf. „Ich habe keine Wärme mehr, kein Essen, ich bin zu einer Bettlerin geworden, das Schlimmste, was einem passieren kann“, erklärt sie. Hunderte alte Frauen sind in den letzten Jahren in die Städte geflohen, aus den gleichen Gründen wie Holo Nyanda. Vor allem Albino-Frauen werden nicht selten nur aufgrund ihrer roten Augen der Hexerei verdächtigt. Und viele haben diesen Verdacht mit ihrem Leben bezahlt. Offizielle Zahlen über das Ausmaß dieser Verbrechen sind nicht bekannt. Vor allem in den Provinzen Shinyanga und Mwanza sind die grausamen Morde wieder im Ansteigen begriffen, erklären Regierungsvertreter.

Der Regionalkommissär Charles Masanja berichtet von 20 Fällen, wo Frauen aufgrund des Verdachts der Hexerei ermordet wurden - allein im letzten Mai. Manche der Frauen wurden von angeheuerten Mördern getötet, die ungefähr 80 Dollar dafür kassierten, wie die Polizei erklärt. Obwohl mehrere Personen inhaftiert und vor Gericht gestellt wurden, sind die Morde weitergegangen.

Die regierende Revolutionspartei CCM setzte schon 1985 einen eigenen Untersuchungsausschuß für die Provinzen Mwanza, Shinyanga und Tabora ein. Unter Vorsitz eines Mitglieds des Zentralkomitees der Partei besuchten die Mitglieder des Ausschusses die betroffenen Regionen und führten zahlreiche Gespräche mit lokalen und regionalen Behörden. Ein Bericht des Ausschusses gelangte jedoch nie an die Öffentlichkeit. Auch die Frauenorganisation der Partei hat wiederholt die Morde verurteilt und schwere Bestrafung der Verantwortlichen gefordert.

ips