Musterschuldnerland ist pleite

Unruhen in Venezuela sind Folgen der eklatanten Devisenarmut des Landes / Ölpreisverfall macht Tilgungs- und Zinszahlungen unmöglich / Frühere pünktliche Bedienung der Kredite hatte keine Entlastung gebracht  ■  Von Ulli Kulke

Noch vor seinem Amtsantritt am 2. Februar sprach der neue venezolanische Präsident Carlos Andres Perez ganz im Jargon der autonomen Berliner Protestbewegung über den Internationalen Währungsfonds: Der IWF sei eine Einrichtung, die „nichts anderes tut, als Leute umzubringen“. Inzwischen schießt sein Militär auf die Bevölkerung, die dagegen protestiert, daß Perez eine Politik a la IWF betreibt, und es gibt viele Tote auf der Straße. Hintergrund der Unruhen ist ein Sparprogramm der Regierung, das einschneidende Auswirkungen auf die Menschen im Lande hat. Insbesondere die Erhöhung der Bustarife um 30 Prozent und der Preise für Benzin - im reichsten südamerikanischen Ölland - um 83 Prozent lösten die Proteste aus.

Dabei wird noch erheblich mehr auf die Venezolaner zukommen. Bislang eingefrorene Preise werden freigegeben, und die Regierung wird auch keine billigen Devisen mehr zur Verfügung stellen für die Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten. Die Folge: Die Nahrungsmittelpreise werden deutlich anziehen und infolgedessen mengenmäßig wohl auch abnehmen. Bereits vor einigen Wochen hatte die Regierung Perez Zölle eingeführt für Luxus- und Konsumgüter. Dadurch sollen die Einfuhren verringert werden, um Devisen einzusparen.

Das ist momentan die dringlichste Aufgabe, die sich die Regierung gestellt hat. Das einstmals als Vorzeige -Schuldnerland fungierende Land Südamerikas ist in eine Pleite reingerutscht, die sich jeder an fünf Fingern abzählen kann. Handelsüberschuß 1988: etwas über eine Milliarde Dollar. Zins- und Tilgungsverpflichtungen im selben Jahr: 5,1 Milliarden. Als einziges der hochverschuldeten Länder Lateinamerikas ist es diesen Verpflichtungen stets nachgekommen. Inzwischen war nichts mehr drin, der zum Jahresbeginn erklärte Stopp der meisten Tilgungs- und Zinszahlungen war zwingend. Seit 1985 sind die Devisenreserven von 16,1 auf sieben Milliarden Dollar gesunken.

Die früheren vorschriftsmäßigen Zahlungen hatten Venezuela freilich kaum einen Schritt voran gebracht. Während der fünfjährigen Wahlperiode von Perez-Vorgänger Lusinchi ging der Schuldenstand lediglich von 35 auf jetzt 32 Milliarden Dollar herunter, obwohl in derselben Zeit die sagenhafte Summe von 25 Milliarden Dollar Tilgung und Zins an die Gläubiger flossen.

Solange die Einnahmen aus dem Erdölexport noch reichlich flossen, waren diese Zahlungen für die Regierung offenbar kein Problem, obwohl mit dem Geld für die Menschen im Lande sicherlich sinnvolleres hätte bewerkstelligt werden können. 20 Milliarden Dollar konnten zu Beginn der 80er Jahre noch jährlich für das Erdöl ins Land geholt werden, heute kommen gerade mal noch gut acht Milliarden herein. Venezuela ist damit jüngstes Opfer des dramatischen Preissturzes auf den Welt-Rohölmärkten. Unmittelbar nach der zweiten „Ölpreisexplosion“ 1978/79 gab es teilweise Öl-Notierungen von über 40 Dollar je Barrel (159l). Nunmehr krebst der Preis bei runden 15 Dollar herum, 1986 und auch im vergangenen Jahr konnte man ein Barrel sogar für unter zehn Dollar einkaufen. Bei einem Export Venezuelas von täglich knapp 1,6 Millionen Barrel schlägt der Preisrutsch durchaus zu Buche. Kein Wunder also, daß die internationalen Gläubigerbanken nun Druck auf Venezuela ausüben, seinen Export zu diversifizieren.

In der vergangenen Woche ist eine Delegation der Regierung aus Caracas unter der Leitung von Witschaftsminister Egle Iturbe nach Washington zum IWF gereist, um über einen Kredit des Fonds zu verhandeln. Da der Musterschuldner bisher ohne IWF-Kredite ausgekommen ist, könnte er im Rahmen eines ersten Standby-Kredites ein Viertel seiner Quote beim Fonds „ziehen“, ohne damit irgendwelche wirtschaftspolitische Auflagen hinnehmen zu müssen. Die dadurch zu erzielenden 400 Millionen würden jedoch kaum weiterhelfen. Sollte ein regulärer Standby oder eine Ziehung aus der dreijährigen „Erweiterten Fonds-Fazilität“ jeweils mit möglicherweise harten wirtschaftspolitischen Auflagen in Anspruch genommen werden, kämen noch einmal 1,5 Milliarden Dollar hinzu. Die Regierung in Caracas hat sich indes zum Ziel gesetzt, von IWF, Weltbank und privaten Geschäftsbanken insgesamt 10,5 Milliarden Dollar Kredite zu erhalten.