Im „Schießpulver-Prozeß“ erhält Schwedens Regierung eine Ohrfeige

Im ersten Bofors-Urteil wurden die Waffenhändler freigesprochen: Die Aufsichtsbehörden hätten besser nachforschen sollen / Staatsfirma gibt Waffenschmuggel nach Vietnam und Südafrika zu  ■  Von G. Pettersson u. R. Wolff

Stockholm (taz) - Champagner für den Angeklagten - Ohrfeige für den schwedischen Staat: Mit einem überraschenden Freispruch in wesentlichen Punkten endete am Dienstag in Karlskoga der „Schießpulver-Prozeß“ gegen Mats Lundberg und Karl-Erik Schmitz. Angeklagt waren der ehemalige Verkaufschef von Nobel-Chemie und der internationale Waffenhändler des Verschiebens von Munition in Länder, in die nach schwedischem Recht der Export von Kriegsmaterial verboten ist.

Die Richter rüttelten nicht an dem Fakt, daß ein 230 Tonnen schweres Sprengstoffpaket im Wert von 24 Millionen Mark von der Bofors-Tochter Nobel-Chemie über Drittländer in die Golfregion geschickt worden ist. Aber - so das Gericht dies allein sei noch nicht strafbar. Denn es sei nicht die Pflicht des Waffenexporteurs, die staatliche Genehmigungsstelle über das tatsächliche Zielland zu informieren. Vielmehr sei es Aufgabe der Behörde, von der Lieferfirma detaillierte Auskunft zu verlangen. Genau dies aber habe die schwedische Regierung in keinem der verhandelten Fälle unternommen.

Damit folgten die Richter von Karlskoga der Verteidigung und widersprachen den im Januar vernommenen vier amtierenden bzw. ehemaligen Ministern. Lundberg wurde zu 50 Tagessätzen zu je 35 Mark wegen erwiesener Lieferung einiger als „Warenproben“ deklarierter Kilo Sprengstoff an den Iran in zwei Fällen verurteilt, Schmitz zu 50 Tagessätzen a 90 Mark.

Die schwedische Friedensbewegung, die 1984 die gesamte Waffenschmuggel-Affäre um den Rüstungskonzern Bofors ins Rollen gebracht hatte, bedauerte in einer ersten Stellungnahme, daß das Gericht lediglich die Informationspflicht erörtert habe, ohne zu klären, inwieweit die Regierung stillschweigend einverstanden gewesen sei.

Während Schweden nun gespannt auf den „richtigen“ Bofors -Prozeß im Herbst gegen vier Vorstandsmitglieder wartet, wo stärkere Geschütze (wie illegal nach Dubai und Bahrein exportierte Luftabwehrraketen) verhandelt werden, platzte ein zweiter Skandal in der schwedischen Hauptstadt. Der Vorstand der staatlichen Waffenfirma FFV bestätigte am späten Montag abend die kurz zuvor bekanntgegebenen Ermittlungsergebnisse des Justizkanzlers: Hiernach wurden 29 Jahre lang Waffen „absichtlich und mit vollem Wissen der Ungesetzlichkeit“ in nach dem Waffengesetz „verbotene Länder“ wie Vietnam, Saudi-Arabien, Israel und vor allem Südafrika geliefert.

Die illegalen Geschäfte waren im März vergangenen Jahres enthüllt worden. Damals hatte der Staatskonzern FFV noch behauptet, die Lieferungen seien nach Großbritannien gegangen. Alles Lüge, wie sich aufgrund des bei FFV beschlagnahmten Materials ergab. Die tatsächlichen Bestimmungsländer waren dem Firmenvorstand bekannt: via Australien nach Indochina, Nahost und Südafrika. Ein Viertel des Materials ging an Südafrika: Gewehre, Granatwerfer und Munition im Wert von mehreren Millionen Kronen (1 Krone0,30 DM).

In den sechziger Jahren sprach man von „unerklärlichen Schmuggelgeschäften“ in Richtung Vietnam - ein Blick in die Geschäftspapiere des Staatsunternehmens hätte genügt, dem Unerklärlichen auf die Spur zu kommen. Wieviel wußte die Regierung tatsächlich? Diese Frage wurde, wie schon im Schießpulver-Prozeß, auch vom Justizkanzler nicht beantwortet. Die Ermittlungen hätten jedenfalls keinen Beweis für eine Mitwisserschaft des Verteidigungsministers ergeben. Allerdings auch keine „Hinweise auf das Gegenteil“.

Dennoch steht zumindest eines fest: Obwohl die schwedischen Waffenexport-Gesetze restriktiv gefaßt sind, gleichen sie wegen fehlender klarer Ausführungsbestimmungen mehr einem zahnlosen Löwen denn einem zupackenden Tiger. Die Tageszeitung 'Dagens Nyheter‘ wertete denn auch den Freispruch von Karlskoga als „harte Anklage gegen die für Waffenexportfragen zuständigen Regierungsmitglieder“.