Rot-grüner Endspurt mit Hindernissen

■ In Berlin drehen SPD und Alternative Liste noch einige Schleifen bei der Koalitionsbildung

Dienstag mittag waren noch alle „skeptisch“, von „Krisensitzung“ der Verhandlungskommissionen war die Rede. Am Abend war daraus bei SPD-Chef Momper eine „gesunde Skepsis“ geworden. Bei 80 Prozent der Themen sei man sich schon einig. Die rot -grünen Wechselbäder werden wohl noch weitergehen. Denn Momper muß dem AL-feindlichen Teil seiner Basis am Ende der Verhandlungen weis machen, er habe der AL - nach zähem Ringen sozialdemokratische Zügel angelegt.

„So ein Quatsch wie die autofreie Stadt ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen!“ Der Berliner SPD-Chef Walter Momper führt zum zweiten Mal in diesem Jahr Wahlkampf. Für sich, für eine „andere“ Politik und notgedrungen - für Rot-Grün. Seit er die Koalitionsverhandlungen mit den Christdemokraten abgebrochen hat, wird er von den Leuten zur Rede gestellt. „Wortbruch“ heißt der von CDU-Generalsekretär Landowsky erfundene Vorwurf an den Sozialdemokraten. „Vor der Wahl haben Sie gesagt, Sie machen's nicht mit den Grünen, und jetzt hüpfense denen ins Bett.“

Ähnlich die SPD-Wähler, denen sich der SPD-Chef vor einem Neuköllner Kaufhaus stellt: „Der kann doch jetzt nicht einfach mit den Chaoten zusammengehen“, erregt sich ein älteres Ehepaar unisono. Kaum zu zählen, wie oft Momper sich das in den letzten zwei Wochen angehört hat. Mit fast hanseatischer Geduld antwortet der Wahlkreuzberger immer dasselbe. Er habe als Bedingung immer die drei Essentials genannt, die habe die AL jetzt unterzeichnet. Jeden Samstag zieht der Regierende in spe mit seinem Schattenkabinett durch die Stadt und erklärt dem „beunruhigten Bürger draußen“ die Alternative Liste auf seine Weise: „Ach wissen Sie, was bei denen im Wahlprogramm steht, ist nicht alles so ernst gemeint.“

Daß die AL darauf nicht mit einem beleidigten Aufschrei reagiert, ist ihrem eigenen schlechten Gewissen geschuldet. Sie weiß genau, daß Momper auch für sie die Kohlen aus dem Feuer holt. Der Sozialdemokrat ist es, der für die Akzeptanz von Rot-Grün in der Stadt werben muß, nicht die Alternative Liste. Er kriegt die Prügel von seiner Basis, von Wirtschaft und Gewerkschaft. Die Alternative Liste dagegen ist seit den Wahlen aus dem Straßenbild verschwunden. Sie läßt sich lieber in rot-grünen Insider-Veranstaltungen Mut machen.

Dennoch, Momper braucht einem ob seiner kalten Füße nicht leid zu tun, denn sein Problem ist zumindest teilweise hausgemacht. Daß er die AL nicht leiden kann, ist stadtbekannt. Hat er doch in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, bei den Genossen gegen die Alternativen zu polemisieren. Jetzt wird er eben beim Wort genommen.

Die oft beschworene Stimmungsmache der Springer-Medien ist allerdings ausgeblieben. Für ihre Verhältnisse moderat titelt die 'BZ‘ über die anstehende „Verlobung“, fast sachlich kühl bleibt 'Bild‘. Die Mobilisierung auf der rechten Seite kommt von unten. Unter der Überschrift „Berlins Zukunft nicht gefährden“ riefen einzelne CDU -Mitglieder und Funktionsträger für gestern abend zu einer Demonstration gegen Rot-Grün auf. Erstunterzeichner des Aufrufs ist Exinnensenator Heinrich Lummer, bekannt für seine guten Kontakte zu den rechtsradikalen „Republikanern“, die heute erstmals ihre Plätze im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Bezirksparlamenten einnehmen werden.

Die Hochs und Tiefs des rot-grünen Stimmungsbarometers der letzten vier Wochen sind aber nur teilweise dem Klima in der Stadt geschuldet. Auch Unterschiede in den Positionen der beiden Parteien spielen dabei kaum eine Rolle. Es ist eher der übliche Verhandlungspoker - und Momper bestimmt die Regeln. Er will und muß in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, er habe der AL Zügel angelegt, sie gezähmt. Er muß am Ende als Sieger im Kampf um das Koalitionsprogramm dastehen, und zwar nach „hartem Ringen“. Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, Rot und Grün seien sich ohne Zögern in die Arme gefallen.

So mußte nach den ersten konkreten Verhandlungsergebnissen fast zwangläufig der euphorischen Stimmung im Delegiertenrat der Alternativen Liste in der letzten Woche („Berlin wird unheimlich ökologisch“) ein Dämpfer aufgesetzt werden: Momper äußerte aus dem fernen Bonn und mit der Autorität der SPD-Baracke im Rücken „Skepsis“, ob eine Koalition mit den Alternativen zustande kommen würde. Und weil es so gut ins Klischee paßt, übte er gleich noch Kritik an den finanziellen Begehrlichkeiten der AL. Die Sozialdemokraten gaben nocn eins drauf, sagten am Montag dieser Woche eine Pressekonferenz ab und beriefen eine Krisensitzung ein. Die AL war verschreckt, die Stimmung sank auf den Null punkt.

In Wahrheit stellen die Sozialdemokraten das rot-grüne Bündnis nicht mehr ernsthaft in Frage. Doch sie wollen ein feste Koalitionsvereinbarung über vier Jahre. Momper akzeptiert keinen Minderheitssenat, er will sich nicht von der AL tolerieren lassen. Der Rat kam aus Hamburg und wohl auch aus Bonn. Denn wie zögerlich sich die Mutterpartei anfangs dem rot-grünen Projekt gegenüber verhalten haben mag: inzwischen unterstützt Hans-Jochen Vogel die Berliner Entwicklung. Und Momper beruft sich darauf: „Bisher habe ich alle seine Ratschläge befolgt.“

Brigitte Fehrle