„Er hatte den 'Tatort‘ life...“

■ Ein Agent aus persönlicher Neigung vor dem Bremer Amtsgericht / 55 Kilo Kokain zwischen Bahnhof und Remberti und ein Bremer Arbeitsloser ist immer dabei / Ein Fall mit einem unausgesprochenen „ganz anderen Hintergrund“

Auf dem Tisch des Einzelrichters Peter Mertens steht ein Sekt-Karton voller Elektronik: zwei billige Kassetten -Rekorder, wie sie in bundesdeutschen Kinderzimmern inzwischen üblich sind, ein grauer Telefonapparat, einige schwarze Plastik-Boxen mit bunten Tasten und einigen Strippen - später sollte über sie als „Scanner“ geredet werden.

Für die Öffentlichkeit begann der Prozeß mit einer großen Enttäuschung: Irgend etwas von Verfassungsschutz hatte in der Mitteilung an die Presse gestanden, sofort kam auch der Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit. Der Richter fragt, ob der Angeklagte - der sonst zu schweigen androhte - zu all dem stehe, was er in seiner Vernehmung bei der Kripo ausgesagt hatte. Der Anwalt ist begeistert - „um dies mit der Öffentlichkeit zu umgehen“ - Nicken vorn in der Runde. „Ein volles Geständnis“, urteilte der Staatsanwalt zufrieden. Immerhin Bagatellen im Vergleich zu dem Vorwurf „geheimdienstlicher Aktivitäten“, die dem Angeklagten in einem Ermittlungsverfahren des Oberlandesgericht Celle gemacht werde, meinte der Anwalt und verlangte die vorläufige Einstellung des Verfahrens. Das aber will der Staatsanwalt

nicht. Die Begutachtung der aufgebauten Tatwerkzeuge zieht sich fast über eine Stunde hin. „Das Tonbandgerät ist nicht Gegenstand der Anklage“, behauptet der Verteidiger. Mehrfach muß der Richter anregen, doch zwischen Cassetten-Gerät und Tonband zu unterscheiden. „Eine Kassette ist doch auch ein Tonband oder was?“ fragt der Verteidiger schnippisch.

Das Geplänkel ist vorbei, die vernehmung zur Sache zu Ende

-aber die Sache muß jedem unbeteiligten Zuhörer unklar sein. Aber da sitzen hinter den paar JournalistInnen ein Richter und einige Herren der politischen Polizei zwischen der spärlich vertretenen Öffentlichkeit und interessieren sich für den Fall. Die Plädoyers beginnen. Staatsanwalt von Bock sieht die Anklage, die sich ja auf das Geständnis bei der Kripo stützt, voll bestätigt - der Angeklagte hat Funksprüche „der Polizei und anderer Behörden“ - in der Pressemitteilung war hier vom Verfassungsschutz die Rede gewesen - angehört und diese weitergegeben. Das sei ein Verstoß gegen das Fernmeldegesetz. Da der Angeklagte aber in vier Fällen versucht habe, Personen, die von der Polizei verfolgt wurden, zu warnen, in einem Fall

sogar Geld dafür verlangt habe, sei dies der Versuch der Strafvereitelung. In zwei Fällen habe der Angeklagte Kokainhändler warnen wollen, 55 Kilo und 300.000 Mark seien im Spiel gewesen - „Das sind verbrecherische Handlungen.“ Der Angeklagte habe „nicht als Agentenverschnitt,

sondern um sich zu bereichern“ gehandelt. Der Strafantrag kam scharf: Elf Monate und kein Anlaß für „Bewährung“.

Dieses Plädoyer verführt den Verteidiger dazu, den wenigen Uninformierten im Saal, zu denen er offenbar auch den Richter zählt, endlich einmal reinen Wein

einzuschenken: Sein Mandant sei „wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen worden“ worden von gewissen Behörden, das sei der wahre Hintergrund der Geschichte, und diesen „ganz anderen Hintergrund“ könne er hier leider nicht ausführen. Früher habe der Herr Staatsanwalt sehr

wohl Interesse gehabt, mit seinem Mandanten zu reden, ...

Verwerflich habe der dabei in keinem Fall gehandelt: Das Geld in dem einen Falle habe er freiwillig angeboten bekommen, und immerhin sei der betroffene Mann, den der Angeklagte gewarnt habe, unschuldig bespitzelt worden. Bei dem anderen Falle habe er nicht warnen wollen, sondern stellen Sie sich vor, Sie hören per Funk: Es geht um 55 Kilo Kokain, die Südamerikaner sitzen im Hotel in der Hohenlohestraße, das Mobile Einsatz-Kommando im Zimmer nebenan einquartiert, die Kunden sind im Hotel Ibis abgestiegen - wer könne da der Versuchung widerstehen, hinzugehen... Schon gar nicht, meint der Verteidiger, „wenn man früher selbst am Ball war, hingehen und observieren mußte...“ und das damals legitim war. Sein Mandant habe aus detektivischer Neugier in alter Gewohnheit gehandelt - „er hatte den 'Tatort‘ nicht im Krimi, sondern er hatte den 'Tatort‘ live“. Und schließlich sei er schon genug bestraft: „Sein ganzes Hobby ist weg.“

Der Richter hinter dem vollen Sekt-Karton will sich zur Beratung des Urteils zwei Wochen Zeit nehmen.

K.W.