Marlowe. Privatdetektiv

■ Chandler-Retrospektive der ARD startet mit Humprey Bogart um 23.45 Uhr

Am 26.März 1989 jährt sich zum 30.Mal der Tod des Kriminalschriftstellers Raymond Chandler. Aus diesem Anlaß startet die ARD eine Reihe mit Filmen, die nach Romanen oder Originaldrehbüchern des Autors gedreht wurden.

Neben Dashiell Hammett gilt Chandler als bedeutendster Vertreter des „hard-boiled„-Krimis. Diese Gattung holte den Mord aus viktorianischen Bel Etagen zurück in die Straßenschluchten amerikanischer Großstädte. Sie ersetzte die feinsinnigen Detektive mit Hang zur feinen Lebensart der klassischen Kriminalliteratur durch illusionslose Schnüffler, die ihre Fälle statt durch Gedankenspiele durch eher unelegante Methoden lösten. Chandler begann erst spät, im Alter von 45 Jahren, zu schreiben, nachdem eine bürgerliche Karriere unter anderem an Alkoholexzessen gescheitert war. Seine frühen Stories wurden im Kriminalmagazin Black Mask veröffentlicht, der „Schule“ des hard-boiled-Romans, die auch Hammett durchlaufen hatte. 1939 erschien mit The Big Sleep Chandlers erster Roman.

Die Verfilmung von The Big Sleep (Tote schlafen fest) steht auch am Anfang der Filmreihe, obwohl diesem Film fünf andere, an denen Chandler direkt oder indirekt beteiligt war, vorausgingen. The Big Sleep ist immerhin eine der populärsten Chandler-Bearbeitungen, nicht zuletzt wegen des Hauptdarstellers Humphrey Bogart. Der allerdings entsprach eigentlich gar nicht Chandlers Vorstellungen seines Helden Phil Marlowe, den er 1951 in einem Brief so beschrieb: „Er ist knapp über sechs Fuß groß und wiegt etwa dreizehn Stone acht (Anmerkung: knapp 90 Kilo). Er hat dunkelbaunes Haar, braune Augen, und mit der Beschreibung 'ganz passables Aussehen‘ wäre er nicht im mindesten zufrieden. Ich glaube nicht, daß er hart aussieht. Er kann's nur sein. Wenn ich je Gelegenheit hätte, mir einen Filmschauspieler auszusuchen, so wäre das, glaube ich, Cary Grant.“ Dennoch scheint Chandler, der aus Erfahrung nicht viel von Hollywood hielt, mit The Big Sleep ganz zufrieden gewesen zu sein. 1946 schrieb er an einem Brief an Hamish Hamilton: „Wenn du dir den Film (...) ansiehst (die erste Hälfte jedenfalls), wirst du merken, was ein Regisseur, der ein Gespür für die Atmosphäre und den erforderlichen unterschwelligen Sadismus hat, aus so einer Geschichte alles machen kann.“ Der Regisseur, der auch künftig durch außergewöhnliche Regiearbeit auffiel, war Howard Hawks. In einem anderen Brief berichtete Chandler, daß Hawks und Bogart in Streit gerieten über die Frage, ob eine der Nebenfiguren nun ermordet worden sei oder Selbstmord begangen habe. Um den Streit zu schlichten, richteten sie eine telegrafische Anfrage an den Verfasser der Vorlage. Chandlers lakonischer Kommentar: „(...) verdammtnochmal, ich wußte's selber nicht ...“

Am 10.März folgt der 1944, zwei Jahre vor The Big Sleep entstandene Film Murder, My Sweet (Mord, mein Liebling). Er basiert auf dem Roman Farewell, My Lovely von 1940, dessen Geschichte Chandler selbst für seine beste hielt, und wurde von Edward Dmytryk in Szene gesetzt. Marlowe wird hier gespielt von Dick Powell, einem Star der Musical-Bühnen, der Chandlers Vorstellungen von seiner Figur wohl näher kam als Bogart mit seinem rauhen Charme. Berühmt wurde dieser Film, weil er, obwohl im Studio gedreht, eine sehr authentische Atmosphäre entwickelt.

Aufgrund des großen Publikumserfolges von Murder, My Sweet rissen sich die Studios fortan um Chandlers Stoffe. Die folgenden Filme waren Schnellschüsse der B-Film -Kategorie, auch The Big Sleep. Die ARD läßt zwei Filme aus und setzt im Jahr 1947 wieder ein mit der Verfilmung von The Lady In The Lake (Die Dame im See), die am 27.März auf dem Programm steht. Regisseur Robert Montgomery wagte mit diesem Film ein ambitioniertes künstlerisches Experiment, indem er durchweg mit subjektiver Kamera arbeitete, die den Standpunkt Marlowes markiert. Der Protagonist ist, von Montgomery selbst dargestellt, nur gelegentlich in Spiegeln zu sehen.

Schon ab 1943 hatte Chandler für die Paramount als Drehbuchautor gearbeitet. Unter anderem schrieb er Billy Wilders Double Indemnity (Zeugin der Anklage). Leider fehlt auch dieser Film in der ARD-Reihe, die Chandlers Drehbucharbeit dafür mit Strangers On A Train (Der Fremde im Zug) dokumentiert. Hier mußte der Romancier seinerseits eine fremde Vorlage bearbeiten, die von Patricia Highsmith stammte. Dies empfand Chandler als „rechte Plage“, freute sich aber über die Zusammenarbeit mit Alfred Hitchcock und verstand sich anscheinend auch gut mit dem korpulenten Briten. Chandler war in Großbritannien aufgewachsen und hatte Zeit seines Lebens ein Faible für das Inselreich und sein „elementär anständiges“ (Chandler) Volk.

Bei der Arbeit an Strangers On A Train hatte Chandler erstmals weitgehende Freiheit; ihm wurden nicht, wie gewohnt, die fertigen Seiten zwecks Kontrolle aus der Maschine gerissen. Zu den Prinzipien der kalifornischen Filmmetropole gehörte unumstößlich das der Arbeitsteilung, was zumeist Eingriffe ins Originaldrehbuch seitens der Produzenten, der Studiobosse oder der Regisseure nach sich zog. Diese Verfälschung seiner Arbeit hatten Chandler verbittert und für ein eher zynisches Verhältnis zu Hollywood gesorgt. „Zu viele Leute“, so schrieb er, „haben dem Schriftsteller zuviel dreinzureden in seine Arbeit. (...) Wer klug genug ist als Drehbuchschreiber, trägt künstlerisch gesprochen - seinen zweitbesten Anzug und nimmt sich die Dinge nicht allzusehr zu Herzen.“

Zwei von zahlreichen posthumen Chandler-Adaptionen zeigt das 1.Programm am 17.und am 25.März, nämlich Robert Altmans The Long Goodbye (Der Tod kennt keine Wiederkehr) von 1972 und Paul Bogarts Marlowe (Der Dritte im Hinterhalt) von 1969. Marlowe entstand nach dem Buch The Little Sister. Der Film war Bestandteil einer Detektivfilm -Renaissance, die Mitte bis Ende der Sechziger nach dem kommerziellen Erfolg der Filme Harper (mit Paul Newman) und Tony Rome (mit Frank Sinatra) einsetzte. Marlowe besticht zwar durch liebevolle Inszenierung, erleichtert aber nicht gerade das Verständnis des Geschehens. Der Titelheld wird verkörpert von Rockford James Garner, der Marlowe weniger zynisch und abgebrüht erscheinen läßt als die meisten seiner Vorgänger.

Chandlers komplexester und bester Roman, The Long Goodbye, wurde 1972 von Robert Altman mit Elliott Gould in der Rolle des Schnüfflers verfilmt. Der M.A.S.H. -Regisseur krempelte die Story völlig um, verlegte sie in die Gegenwart und erfremdete Marlowes Charakter bis zur Unkenntlichkeit. Als Begründung für sein schändliches Tun gab Altman an, einen Mythos demontieren zu wollen - das Ergebnis war überkandideltes und weiten Teilen des Publikums unverständliches Kunstgewerbe, das auch von Kritikerseite größenteils negativ beurteilt wurde.

Leider beschränkt sich die ARD-Filmredaktion in ihrer kleinen Chandler-Reihe vorwiegend auf Bekanntes und oft Gesehenes. Ausgrabungen fehlen ebenso wie eine der zutreffendsten Adaptionen überhaupt, Dick Richards Farewell, My Lovely (Fahr zur Hölle, Liebling), über die Wiglaf Droste überaus treffend schrieb: „Eine genaue Umsetzung Chandlers visueller, bildlicher Romansprache in die Sprache des Films fand nur in Dick Richards 'Farewell, My Lovely'-Adaption von 1975 statt. Robert Mitchums Darstellung eines todmüden Marlowe, ohne Illusionen, aber mit zuviel Mumm in den Knochen, um einfach alles hinzuschmeißen, trifft die Atmosphäre des Romans im Kern.“

Bleibt also, auf einen zweiten Teil der Retrospektive zu hoffen; vielleicht zum 101.Geburtstag Chandlers am 23.Juli 1989.

Harald Keller