Bergarbeiter kämpfen für die Kohle

Stimmung auf den Zechen vor dem Siedepunkt / Bundeswirtschaftsministerium stellt Verlängerung des Jahrhundertvertrags nach 1995 in Frage / 18 Milliarden Mark mehr seit 1956 für Kernenergie als Steinkohle  ■  Aus Bochum Walter Jakobs

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) Heinz-Werner Meyer hat die Bundesregierung gestern aufgefordert, „unmißverständlich zu ihrem Wort“ zu stehen und schleunigst den Jahrhundertvertrag bis 1995 zu sichern. Die Stimmung bei den Bergleuten sei kurz vor dem Siedepunkt. „Inzwischen ist so viel Druck im Kessel, daß dieser in die Luft fliegen kann, wenn weiter geheizt wird“, sagte Meyer.

In den vergangenen Tagen gab es auf mehreren Zechen im Ruhrgebiet Demonstrationen und Warnstreiks. Betriebliche Interessensvertreter kündigten eine „schärfere Gangart“ an. Die Bergleute seien gewillt, „wie noch nie für die Kohle (zu) kämpfen“. Auch mit Straßenbesetzungen sei zu rechnen. Die Gewerkschaft will in den nächsten Tagen mit acht Millionen Zeitungen die Bevölkerung informieren. Der Gewerkschaftsvorsitzende Meyer erklärte, daß von seiner Organisation gegenwärtig noch keine Kampfmaßnahmen geplant seien.

Auslöser für die jüngsten Demonstrationen war ein Papier des Bundeswirtschaftsministeriums, in dem das bisherige Mengengerüst des Jahrhundertvertrages und das System der Belegschaftsanpassung über die Frühverrentung nach 1995 in Frage gestellt wird. Mit dem bis 1995 geltenden Jahrhundertvertrag wird die Verstromung der deutschen Steinkohle geregelt. Derzeit werden etwa 41 Millionen Jahrestonnen in den Kraftwerken verfeuert. Weil die Importkohle wesentlich billiger ist als die deutsche Steinkohle, bekommen die Kraftwerke einen Ausgleich für die Preisdifferenz, den sogenannten Kohlepfennig, der von allen Stromkunden aufgebracht wird. Im letzten Jahr summierte sich dieser Aufwand auf etwa 5,5 Milliarden Mark. Während der Chef der Ruhrkohle AG, Heinz Horn, davon ausgeht, daß aufgrund des internationalen Preisgefälles in sechs Jahren nicht mehr verstromt werden kann als heute, hält Meyer an dem vertraglich vereinbarten Anstieg von 44 Millionen Jahrestonnen bis 1995 fest.

Die Subvention für die Verstromung der Steinkohle falle im übrigen weit geringer aus als für die Kernenergie, sagte IGBE-Chef Meyer, dessen Gewerkschaft früher zu den entschiedensten Kernkraftbefürwortern zählte. Von 1956 bis heute haben Bund und Länder 18,2 Milliarden Mark mehr an öffentlichen Hilfen für die Kernenergie aufgebracht.