Berlin läßt grünen Flügelstreit erlahmen

Grüne Bundesdelegiertenkonferenz in Duisburg / Ausschlußantrag gegen SPD-Berater Otto Schily  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Wenn heute die über sechshundert Delegierten der Grünen zu ihrem Parteitag in Duisburg zusammentreten, wird das in der Partei derzeit am heftigsten diskutierte Thema nicht einmal auf der Tagesordnung vertreten sein: die mit dem Berliner Wahlergebnis unverhofft aufgelebte rot-grüne Option. Dennoch bezweifelt niemand, daß darüber debattiert wird und das Thema wohl bis in die Vorstandsbesetzung Spuren hinterlassen wird.

Verblassen werden darüber die formal notwendigen Rechenschaftsberichte des auf dem letzten Parteitag in Karlsruhe überraschend gestürzten Fundi-Vorstands: Was vor Monaten die Partei an den Rand der Spaltung brachte, interessiert heute - dank Berliner Koalitionsmöglichkeiten nicht mehr. Flügelkämpfe alten Stils sind out, es „gibt das Bedürfnis, eine Regierung der nationalen Einheit zu wählen“, heißt es spöttisch im Partei apparat.

Als die „erziehende Wirkung der Realität“ hat Schily in seiner ätzend eloquenten Art vor wenigen Tagen diesen Prozeß bezeichnet, der seiner Gruppierung das Alleinvertretungsrecht auf Realpolitik genommen hat. Der Übervater der Realos muß wegen seiner Ratschläge für die SPD, bei den Essentials hart zu bleiben, einen Antrag auf Ausschluß hinnehmen.

Eine Reminisenz an die alte Vorstandsära ist lediglich der vorgelegte Finanzbericht, der das Haus Wittgenstein als enorme finanzielle Belastung für das Parteivermögen einstuft. Weil das Tagungshaus, dessen verschlungene Finanzierung zum Sturz des Vorstands beitrug, auch künftig ein Zuschußgeschäft bleiben wird, erwägt der kommissarische Schatzmeister gar den Verkauf des teuren Stücks.

Wohl unangefochten wird Ralf Fücks, Kandidat der Gruppe „Aufbruch“, in das dreiköpfige Sprechergremium gewählt werden; Gegenkandidat Jürgen Reents vom undogmatischen „Linken Forum“ werden wenig Chancen auf den einzigen für einen Mann vorgesehenen Sprecherplatz gegeben. Gerechnet wird mit der Wahl der von der realpolitisch orientierten Strömung nominierten niedersächsischen Landtagsabgeordneten Ruth Hammerbacher. Kurzfristig ins Sprecher-Rennen gegangen ist die Bundestagsabgeordnete Verena Krieger, die sich als zwischen den Stühlen der linken Fraktionen sitzend definiert und voraussichtlich gegen die einzige Fundi-Kandidatin und Ditfurth-Getreue Manon Tuckfeld antritt.

Neue Zeiten signalisieren auch die Anträge, Vorstandsmitglieder künftig zu bezahlen. Derzeit könnten sich die Arbeit nur berufs- und „wurzellose“ Menschen, „sozial Abkömmliche“ leisten, was eine „negative Auslese“ der KandidatInnen begünstige.