Atempause für den Amazonaswald

■ Brasiliens gigantische Staudammpläne scheitern vorläufig an einer Absage der Weltbank

Darf sie sich nun freuen oder nicht, die Ökobewegung zur Rettung des Amazonaswaldes? Nachdem sie in den letzten Monaten so viel Druck auf Bundesregierung und Weltbank ausgeübt hatte, kommt zwar jetzt der „Energiesektorkredit“ für Brasilien nicht zustande. Aber - leider - nicht wegen der drohenden Urwaldzerstörung, sondern weil ein AKW, das ebenfalls zum Energieplan der Brasilianer gehört, seinen Strom zu teuer produzieren würde. Geliefert werden sollte das AKW „Angra III“ von Siemens.

Allzugern werden bisweilen die diversen „Mafia„-Abteilungen in einen Topf geworfen: Baumafia, Atommafia, IWF- und Weltbankmafia usw. Spätestens seit gestern ist nun klar, daß hier ein Topf nicht ausreicht, zumindest Teile der Atommafia dürften vor Wut kochen über die Weltbank - in ihrem eigenen Topf.

Ausgerechnet der geplante Bau eines Atomkraftwerkes durch die brasilianische Regierung ist der Grund dafür, daß die Weltbank jetzt einen Kredit in Höhe von 500 Millionen Dollar (gut 900 Millionen Mark) nicht bewilligt. Dies hat der grüne Bundestagsabgeordnete Ludger Volmer jetzt aus zwei „gutunterrichteten“, gleichwohl voneinander unabhängigen Quellen erfahren. Wäre dieser Kredit genehmigt worden, dann hätten private Geschäftsbanken ihrerseits einen Kreditbetrag von bis zu zwei Milliarden Dollar bereitstellen wollen. So aber gehen der brasilianischen Regierung bis zu 2,5 Milliarden Dollar durch die Lappen.

Bei den 500 Weltbank-Millionen handelt es sich um die zweite Tranche des „Energiesektorkredites“, mit dem Brasilia vor allem die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und seine Erschließung durch Straßen, Staudämme und Wasserkraftwerke finanzieren wollte - und eben das Atomkraftwerk „Angra III“. Der Siemens-Konzern dürfte seinen Milliardenauftrag vorerst abschreiben können.

Proteste auf der Weltbanktagung

Der Kredit ist das am breitesten jemals in der Öffentlichkeit diskutierte Projekt der Weltbank. Insbesondere auf der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und der Weltbank im vergangenen Herbst in Berlin war es Diskussionsgegenstand diverser Veranstaltungen, die „Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt“ startete Ende letzten Jahres eine Kampagne gegen die Staudammprojekte, erst vorige Woche führten Mitglieder bundesdeutscher Regenwald-Initiativen eine „Begehung“ der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt - die sich auch an dem Privatbanken-Konsortialkredit beteiligen wollte - durch und verschafften sich eine Anhörung durch Bankexperten.

Der Energiekredit sollte den brasilianischen „Plano 2010“ mitfinanzieren, nach dem rund 140 zusätzliche Staudämme eine Fläche von rund 26.000 Quadratkilometer tropischen Regenwaldes überfluten sollte - mit allen Konsequenzen für Mensch, Tier, Baum - und vor allem das Weltklima.

Ludger Volmer konnte sich gestern freuen, daß „die Ablehnung des zweiten Energiesektorkredites für Brasilien durch die Weltbank ein enormer Erfolg der internationalen Umweltbewegung und der Grünen ist, die deren Kampagne gegen die drohende Geldvergabe auf die parlamentarische Ebene gehoben haben“. Realistisch fügt er jedoch hinzu, daß für die Weltbank „leider“ nur der Aspekt mit dem Atomkraftwerk „wichtig war“.

In der Tat hat zwar die Diskussion um die Vernichtung der Regenwälder die Regierungen der potentesten Weltbanknationen gehörig unter Druck gesetzt. Bundeskanzler Kohl hatte auf dem letztjährigen Weltwirtschaftsgipfel quasi die Schirmherrschaft über den Schutz der Tropenwälder schlechthin übernommen, so daß er gegenüber Bundestagsabgeordneten im Januar schon signalisierte, er könne dem brasilianischen Kreditantrag nicht zustimmen, bevor nicht die Bundestag-Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ gegen Ende des Jahres ihren Abschlußbericht vorgelegt habe.

Intern erklärte er das Ganze zur „Chefsache“. Die US -Regierung hatte schon im vergangenen Jahr signalisiert, daß sie der zweiten Kredittranche (wie auch der ersten) aus Umweltgesichtspunkten nicht zustimmen könne - die US -Ökogruppen haben in dieser Hinsicht eine starke Lobby.

Ausschlaggebend war jetzt jedoch das Beharren der brasilianischen Regierung auf dem von der Weltbank abgelehnten Atomkraftwerk Angra III. Seit Jahresbeginn ist die brasilianische Atombehörde Nuclebras in das staatliche Stromversorgungsunternehmen Eletrobras einverleibt, so daß nun davon auszugehen war, daß der Weltbankkredit-Empfänger Eletrobras das Geld in Angra III stecken würde.

Daß dies der Weltbank nicht paßte, dafür gibt es einen offiziellen und einen inoffiziellen Grund. Zum einen ist die Weltbank bei Projekten wie dem Energiesektorkredit dazu verpflichtet, die kostengünstigste Stromproduktion zu sichern. Sie geht aber davon aus, daß der brasilianische Atomstrom mindestens zwei- bis dreimal so teuer ist wie die Wasserkraft. Inoffiziell vermuten allerdings alle Beobachter, die US-Regierung habe Druck auf die Weltbank ausgeübt, damit nicht der Bau des Siemens-Reaktors finanziert werde - nachdem die Amerikanische Firma Westinghouse nicht zum Zug gekommen war - dies nicht ohne Grund: weil der Westighouse-Bau „Angra I“ firmiert gemeinhin als „Schrottreaktor“.

Drei gegen Kohl

Antikredit-Kampagne und skeptische Haltung des Bonner Regierungschefs hatten seit längerem die Protagonisten des Vorhabens auf den Plan gerufen. Johny Klein, Amtschef des (für Weltbank-Angelegenheiten zuständigen) Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), habe - so schreibt Thomas Fues, Entwicklungsreferent der Grünen im Bundestag in einer Studie - auf Druck von Siemens „Abstand genommen von einem im Parlament schon angekündigten Brief an Weltbank-Chef Conable, in dem die BMZ-Bedenken gegen den Energiesektorkredit aufgelistet werden sollte“. Fues weiß warum: „Klein möchte im Frühjahr 1990 Münchner Oberbürgermeister werden“ - am Sitz des Siemens-Konzerns.

Auch das Bundeswirtschaftsministerium trat inzwischen vorbehaltlos für den Kredit ein, die Grünen vermuten in ihrem Papier eine Kampagne des Siemens-Konzerns - mithilfe der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘. So seien „gezielt irreführende Informationen“ in die Öffentlichkeit gestreut worden: „Z.B. behauptet Siemens, daß Angra III zu 45 Prozent fertiggestellt sei“, während Weltbankexperten von fünf bis maximal 15 Prozent sprächen.

Die Politik der vollendeten Tatsachen ist es insbesondere, mit der Siemens seinen Milliardenauftrag sichern wollte. Der Bundeshaushalt müsse - über die Hamburger Exportversicherung Hermes - letztlich die Ausfallkosten tragen, wird argumentiert. Fues hält in seiner Expertise dagegen, daß die Bundesregierung „nur dann eine Hermes-Bürgschaft übernehme, wenn die Regierung des Empfängerlandes ebenfalls eine Bürgschaft für die einheimischen Kunden von bundesdeutschen Exporten übernimmt“. Also nur, falls Brasilien selbst zahlungsunfähig würde, müsse Hermes herhalten. Aufgrund des derzeit dritthöchsten Handelsüberschusses der Welt (der allerdings für den Schuldendienst verwendet wird) „könnte Siemens also durchaus auf die Zahlungsfähigkeit der brasilianischen Regierung vertrauen“, meinen die Grünen. Es gebe indes auch konkrete Hinweise, daß die brasilianische Seite eine vertragliche Konventionalstrafe von lediglich 180 Millionen Dollar beim Ausfall von Angra III zahlen müßte.

Welcher Grund auch immer für die Weltbank-Geschäftsleitung ausschlaggebend dafür gewesen sein mag, daß sie den Kreditantrag bereits in den Vorverhandlungen zwischen den Bankexperten und Brasilia haben scheitern lassen, so daß den Ländervertretern (Exekutivdirektoren) die eigentliche Entscheidung erspart blieb, sollte den Umweltgruppen letztlich egal sein - die Ablehnung eines AKW ist schließlich auch nicht etwas, was ihren Wünschen widerspricht. Die offenbar vollzogene Einigung zwischen dem Bank-Apparat und Brasilia in allen übrigen Punkten hätte ihnen jedenfalls Grund zu größtmöglicher Skepsis gegeben.

Einigung war fast perfekt

Die Zusagen in Sachen Umweltverträglichkeit seitens der brasilianischen Regierung sind äußerst dünn - ganz abgesehen davon, daß die Selbstverpflichtung Brasilias bei der ersten Kredittranche mehr als zu wünschen übrig ließ: Die Erstellung eines detaillierten Aktionsprogramms, systematische Beobachtung der sozialen und ökologischen Schäden, separate Erfassung der Ausgabenkategorien für soziale und ökologische Umsiedlungskosten, Aufstockung personeller Kapazitäten in den Umweltabteilungen, Einrichtung von Studien, Arbeitsgruppen usw. Trotzdem: Der Wald kann erstmal wieder tief Luft holen.

Ulli Kulke