Zwischen Abtreibung und Sterilisation

■ taz-Gespräch mit der Ärztin Margret Heider, die tagtäglich bei Pro Familia Abtreibungen vornimmt / Ein normaler Arbeitstag im Beratungszentrum: Mittagspause zwischen 11 Abbrüchen und 5 Sterilisationen / „Ich kann sehr gut damit leben“

Margret Heider, 35 Jahre alt, arbeitet seit sechs Jahren als Ärztin bei der Pro Familia Bremen.

taz: Jetzt ist Mittagspause. Was hast Du heute vormittag gemacht?

11 oder 12 Schwangerschafts-Abbrüche.

Machst Du täglich nichts als Abbrüche?

Dr. Heider: Ich mache Schwangerschaftsabbrüche (keine 'Unterbrechungen‘, denn die Schwangerschaft geht ja nicht weiter), außerdem Sterilisationen bei Männern. Ich bin auch im Beratungsbereich tätig, zum Thema Schwangerschaftsabbruch, Kinderwunsch, zu gynäkologischen Fragen...

Es ist Dein Berufsalltag, Abtreibungen vorzunehmen - wie lebst Du damit?

Ich kann sehr gut damit leben. Die Voraussetzung für alle, die hier arbeiten, ist, die Entscheidung und auch die Verantwortung dafür voll den Frauen zu überlassen. Niemand anders kann das verantworten. Ich fühle mich dafür verantwortlich, den Eingriff so gut wie möglich zu machen, die Belastung der Frau möglichst klein zu halten.

Die selbsternannten Lebensschützer attakieren Euch als Töterinnen, Mörderinnen.

Ich habe kein schlechtes Gewissen, hier zu arbeiten. In Kontakt mit Freunden und Familien kommen natürlich immer Diskussionen zustande - aber ich bewege mich vorwiegend in Kreisen, die das akzeptieren.

Wir erfahren hier täglich 10 bis 20 Mal, daß die Frauen das eben nicht wie einen Spaziergang machen, und daß es nicht unterschiedliche, sondern eben die gleichen Frauen sind, die abtreiben und die Kinder kriegen.

Was mich eher stört: Wenn Frauen erst im letzten Moment,

wenn sie auf den Stuhl steigen, merken, daß sie die Verantwortung haben, nachdem der Weg über Instanzen und Ärzten, die ihnen ein schlechtes Gewissen gemacht haben, hinter ihnen liegt. Plötzlich bricht dann alles zusammen. Wir haben den Eindruck, daß das in letzter Zeit unter dem verschärften Klima mehr wird.

Kommt es auch vor, daß Frauen auf dem Stuhl ihre Meinung noch ändern?

Ja. Wenn wir merken, daß eine Frau so ambilavent ist, sprechen wir mit ihr und sind selber viel zufriedener, wenn sie das Zentrum noch mal verläßt und mit dem Partner oder Freunden redet und dann wiederkommt - oder auch nicht.

Wie schafft Ihr das, jedes einzelne Mal wieder so nett, aufmerksam, respektvoll und ruhig zu sein - bei rund 3.000 Abtreibungen im Jahr, oft über 20 am Tag, wie am Fließband?

Es gibt keinen Grund, unfreundlich zu sein, auch wenn in vielen Krankenhäusern und Arztpraxen bei einem Abbruch Unfreundlichkeit der übliche Ton ist. Wir kriegen natürlich auch massen

haft Bestätigung, wir merken, die Frau entspannt sich in unserem Beisein, sie sagt, es hat lange nicht so wehgetan, wie sie gedacht habe...

Ihr erklärt immer genau, was ihr gerade tut...

Die Frau muß wissen, ob es weh tut, warum es wehtun kann die Angst vor dem Unbekannten

muß weg. Wir sagen: Jetzt wird der Muttermund angefaßt, jetzt kann es ziehen...

Wie bewältigen die Frauen den Abbruch - und wie geht Ihr mit

Trauer um?

Wir werden gelassener. Wir denken nicht mehr, daß Frauen keinen Schmerz oder keine Trauer haben dürfen. Die Entscheidungen fallen auch ganz unterschiedlich. Einige entscheiden sich leicht, da ist das klar, andere sehr schwer, und natürlich erleben sie den Abbruch ganz unterschiedlich. Drei Viertel der Frauen kommen nicht aus Bremen. Ob sie zu Hause verständnisvoll aufgehoben sind oder anschließend 300 km mit der Bahn fahren, im elterlichen Betrieb weiterarbeiten müssen und keiner darf es wissen... Einer anderen, die von ihrer Wohngemeinschaft oder Familie versorgt wird, geht es wahrscheinlich besser.

Wohin kommt eigentlich das Gewebe?

Zum pathologischen Institut, das wird es verbrannt. Auf Anfrage wurde uns versichert, daß es nicht in der Kosmetik -oder Pharmaindustrie weiterverwendet wird.

Was machst Du heute nachmittag?

Da kommen fünf Männer, die sich sterilisieren lassen möchten. Fragen: Susanne Paa