Passantin tot, Krankenhaus unbeteiligt

■ Fünf Tage, nachdem eine ehemalige Schwester 150 Meter vom Rot-Kreuz-Krankenhaus entfernt ohne Hilfeleistung starb, gab das Klinik-Kuratorium eine Erklärung ab: „Das Optimale wurde veranlaßt“ / Pförtner habe sich im Zweifel richtig verhalten

In einer geschlossenen Verteidigungslinie setzten sich gestern sechs Vorstands-und Kuratoriumsmitglieder des Neustädter Rot-Kreuz-Krankenhauses den wartenden PressevertreterInnen gegenüber: Von der Pflegechefin Schwester Hildegard bis zum Vorsitzenden des Kuratoriums Walter Bremermann. Letzter erklärte: „Wir halten es für sachlich nicht gerechtfertigt, dem Krankenhaus Vorwürfe zu machen. Das, was veranlaßt worden ist, war das Optimale.“

Fünf Tage, bevor die Klinikleitung die Presse zu sich ins Sitzungszimmer lud, war eine pensionierte Schwester 150 Meter von der Klinik entfernt auf einem Spazierweg mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen - und gestorben. Die Umstände des Todes hatten eine Welle empörter Medienberichte ausgelöst. Aus der Sicht des Klinik-Kuratoriums stellen sich die letzten Minuten der ehemaligen Schwester so dar: Am vergangenen Sonntag informierte ein Passant den Pförtner der Klinik darüber, daß hinter dem Schwesternwohnheim eine Frau liege, die Hilfe benötige.

Um 14.49 Uhr - wie ein Ausdruck des Telefoncomputers der Klinik belegt - bat der Pförtner bei der Leitstelle der Feuerwehr für die alte Frau um einen Rettungstransportwagen (RTW). Etwa fünf bis sechs Minuten später kam ein weiterer Passant aufgeregt zum Pförtner gerannt, um zu sagen, daß die Frau in Lebensgefahr schwebe und sofort Hilfe benötige. Etwa zu diesem Zeitpunkt begann bei dem Pförtner, was der Kuratoriums-Vorsitzende Bremermann gestern einen „Abwägungsprozeß“ nannte. Der Pförtner entschied sich dafür, die Ankunft des Rettungswagens abzuwarten, um die Frau von den Sanitätern in den Aufnahmeraum der Klinik bringen zu lassen. Er entschied sich dagegen, parallel dazu eine Rettungsaktion aus der Klinik heraus zu veranlassen. Als die Signale des Krankenwagens um 14.59 ertönten, war die Frau bereits tot.

Der Pförtner des Krankenhauses, so stellte eine Pressevertreterin fest, habe offenbar gehandelt wie der Pförtner eines Pressehauses. Er habe den Rettungswagen alarmiert, und ganz außer acht ge

lassen, daß sich in einem Klinikum (im Gegensatz zu einem Pressehaus) doch wohl haufenweise Rettungs-SpezialistInnen befänden. Die Antwort des ärztlichen Direktors Prof. Gayer deutete daraufhin, daß in diesem Fall die Unterschiede zwischen Presse- und Krankenhaus relativ ge

ring sind. Prof. Gayer betonte mehrfach, an jenem Sonntag nachmittag habe innerhalb des Rot-Kreuz-Krankenhauses eine „ganz außergewöhnliche Situation“ vorgelegen, ein „hoch belasteter Sonntags- und Bereitschaftsdienst“. Drei diensthabende Ärzte seien mit 47 neu

eingelieferten PatientInnen vollauf beschäftigt gewesen, davon mehreren BeatmungspatientInnen in bedrohlichem Zustand. Die Phalanx der KuratoriumsvertreterInnen forderte jedoch gestern mit keinem Wort mehr Personal für den Sonntags- und Bereitschaftsdienst. Bremermann:

„Zukünftig würde man sich genauso verhalten wie in der Vergangenheit.“ Nur der Behördenvertreter im Kuratorium deutete die Bereitschaft an, Konsequenzen aus dem Vorfall für alle Kliniken zu diskutieren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen unterlassener Hilfeleistungen.

B.D.