KEIN KUSS IN DER HASENHEIDE

■ „Der Kuß der Spinnenfrau“ beim Ensemble am Südstern

Ein einfaches Stück hat sich Gabriele Gysi nicht gerade ausgesucht, als sie mit dem neuformierten „Ensemble am Südstern“ Manuel Puigs „Beso de la mujer arana“ in Szene setzte. Übrigens war es nicht nur die Premiere der Inszenierung und der Gruppe, sondern auch die Spielstätte in der Hasenheide 54 wurde als feste Bleibe eingeweiht. Als „Spiegel der Gesellschaft“ will der argentinische Autor die Gefängniszelle verstanden wissen, in der er einen homosexuellen Minderjährigenverführer und einen politischen Häftling aufeinanderprallen läßt. 1976 als Roman verlegt, dramatisierte Puig den Stoff 1981 für ein Theater in Valencia, Spanien.

Molina, die Tunte, erzählt mit Unterbrechungen einen Liebesfilm, in dem eine Frau zur Pantherin wird. Er macht sein eigenes Werk daraus, teilt Valentin über dieses Hilfsmittel etwas von sich selbst mit. Der Film als Kommunikationsebene, bildet das Leitmotiv in dieser faszinierend intensiven Wechselbeziehung zwischen Stärke und Schwäche. Natürlich hat sich Molina in Valentin verliebt. Und natürlich wurde er, als der angreifbare Weiche, von der Gefängnisleitung darauf angesetzt, den Freiheitskämpfer auszuhorchen. Doch statt irgendwelcher Geheimnisse bringt Valentin Molina Würde bei und lernt selbst, sich fallenzulassen. „Du bist die Spinnenfrau, du fängst die Männer in deinem Netz“, sagt der hartgesottene Kommunist und gibt Molina den sehnlich erhofften Kuß auf den Mund. Geschlafen haben sie auch schon miteinander, natürlich, im echten Sinne des Wortes.

Ganz anders stellt sich die Beziehung der beiden in der Inszenierung von Gabriele Gysi dar. Valentin und Molina verlieren zwar des öfteren die Contenance, doch niemals die unüberbrückbare Distanz zueinander. Die Ausstattung (Marc Haltmeyer) besteht sehr wirkungsvoll in schwarzgestrichenen Wänden, einigen Büchern, einem Klavier und einer Ansammlung glatter, weißer Steine, die abwechselnd als Ruhestätte, Wurfobjekte oder Bodybuilding-Accessoires verwendet werden. Peter Lüchinger als Valentin ist durchweg stark, ein Macho. Wenn er Schwäche zeigen muß, zum Beispiel während einer Magen- und Darmkolik, dann geschieht das überraschend verwandlungswillig. Exzessiv und unmittelbar wirft er sich auf den Boden, ächzt und stöhnt, um gleich wieder heroisch eines der Bücher zu ergreifen und sich lesend seinen Genossen nahezufühlen. Lüchinger spielt, sichtbar. Michael Gräwes Molina hingegen hätte die alberne Maskerade mit Straßohrring, kariertem Jackett und lila Brille nicht nötig. Nach anfänglicher Steifheit spielt er sich in die Rolle hinein, füllt sie bald vollkommen aus und bewegt sich sicher als Tunte, als Mutter, als Freundin, liebevoll devot, verletzt, stets nahe am Nervenzusammenbruch. Doch auch ihm gesteht die Regisseurin nur eine Entwicklung innerhalb seiner Grenzen zu. Valentin und Molina nehmen nichts voneinander an, trennen sich am Ende so, wie sich begegnet sind, als Fremde.

Inszenierungstragendes Mittel ist die Musik. Annette Wiegand als Klavierspielerin, Gefängnisdirektorin und visionäre Circe huscht ständig über die Bühne, in immer neuem Outfit, vom kleinen Mädchen bis zur Domina und ermüdet durch ihre belanglose Anwesenheit, wenn sie nicht zufällig Klavier spielt. Dann allerdings kommt es zu spannend dichten Momenten: Molina singt aus voller Kehle „Davon geht die Welt nicht unter“, Valentin steigert sich in hysterisch angriffslustiges Lautlesen und zu alledem, gleichmäßig unberührt - die Musik. Stimmungen werden geschaffen, gebrochen, untermalt durch das Klavier, werden, leider, auch häufig dadurch ersetzt.

Michael Gräwe braucht das nicht. Sein Schweigen ist stets tragikomisch, Peter Lüchingers explosive Körpersprache allerdings ist bereits nach einer halben Stunde nicht mehr bühnenfüllend und wird durch die Musik wohltuend in den Hintergrund gerückt.

Gabriele Gysis „Kuß der Spinnenfrau“ ist vollkommen clean. Die Andeutung eines Koitus vollzieht sich nur zwischen Valentin und der Circe, Molina muß sich mit einem abschließenden Ringkampf begnügen, währenddem übrigens das Klavier geöffnet wird, die Saiten liegen frei, damit nur ja keiner übersieht, daß hier jetzt alle seelischen Hüllen und Hemmungen fallen.

Santa Fe, 2475, Molina läßt sich kurz vor der Entlassung Valentins Kontaktnummer geben, dann sinken sie beide zusammen. Nur das unvermeidliche Klavierspiel klingt noch eine Weile nach. Puigs Stück wurde gezähmt und skelettiert, und trotzdem: noch immer ist da ein Funken der Spannung, vor allem sprachlich, Sadomasochismus auf engstem Raum, Beklemmung, bis daß der Tod sie scheidet. Die Stückwahl bleibt mutig. Und wegen Michael Gräwe ist die Inszenierung sehenswert.

Petra Kohse

„Der Kuß der Spinnenfrau“ von Manuel Puig. R.: Gabriele Gysi, mit Michael Gräwe, Annette Wiegand und Peter Lüchinger, Ensemble am Südstern, Hasenheide 54, 1-61, noch bis zum 24. April, Do-So (außer 16. und 27.3.), 20.30 Uhr.