Chronik eines angekündigten Staatsstreichs

Im Sudan, dem größten Land Afrikas, verlangt die kriegsmüde Armee ultimativen Frieden / Premierminister Saddik el-Mahdi droht mit seinem Rücktritt am Wochenende, falls eine Kabinettsumbildung scheitert  ■  Aus Khartum Knut Pedersen

Unter den schattigen Mangobäumen des „Stuff-Club“, nahe der Universität von Sudans Hauptstadt Khartum, werden erneut Pläne für die „Volksfront“ geschmiedet. Kaum vier Jahr nach dem Sturz Gaafar Numeiris schwenken Armee, Gewerkschaften und die politische Opposition erneut auf Kollisionskurs. Diesmal geht es freilich nicht um den Umsturz einer 16jährigen Militärdiktatur, sondern um Krieg oder Frieden, den die parlamentarische Demokratie entweder entschlossen führen bzw. rasch schließen soll. Seit drei Jahren scheint Sudans Premierminister Saddik el-Mahdi weder zum einen fähig noch zum anderen willens zu sein.

Während im Süden die Rebellen John Garangs militärische Erfolge erringen, verlangt die kriegsmüde Armee in Khartum Waffen oder Frieden. Der ultimative Schlagabtausch mit dem isolierten Regierungschef hat vor zehn Tagen mit dem Rücktritt des Verteidigungsministers begonnen. General Abdel Khalil nahm seinen Hut aus Protest gegen die „Kriegstreiber“ der Nationalen Islamischen Front, der nunmehr einzigen Koalitionspartnerin Saddik el-Mahdis. Die „islamische Allianz“, so ließ der Verteidigungsminister wissen, habe auch das diplomatische Prestige des Landes ruiniert. Seitdem Sudans Außenpolitik zunehmend auf die extremen Positionen Tripolis und Teherans einschwenkt, sind die Geberländer aus dem arabischen und persischen Golf vorsichtiger geworden.

Mit leeren Händen lassen sich im umkämpften Süden freilich auch die letzten Garnisionsstädte nicht mehr halten. Im sechsten Jahr des zweiten Bürgerkriegs - der mehrheitlich islamische Norden und der überwiegend christlich -animistische Süden hatten sich zuvor bereits 17 Jahre lang bekämpft - kontrollieren die Rebellen der „Sudanese People's Liberation Army“ (SPLA) praktisch die gesamte Equatorialprovinz. Ende Januar ist am Oberlauf des Nils Nasir gefallen. Und am vergangenen Sonntag die Garnision von Torit, 135 Kilometer süd-östlich von Juba. In Nasir waren der Regierungstruppe nach 147 Tagen vergeblichen Wartens auf Nachschub Waffen, Munition und Nahrung ausgegangen. In Torit haben rund 2.000 ebenso demoralisierte Soldaten kampflos die Stadt geräumt.

„Die politische Führung des Landes gibt uns weder die Mittel, den Krieg im Süden mit Aussicht auf Erfolg fortzusetzen, noch ist sie bereit, mit den Rebellen einen ehrenhaften Frieden zu schließen.“ Der Satz steht im 20 Punkte umfassenden „Memorandum“, das der Oberbefehlshaber der sudanesischen Armee, General El Fatih Ahmed Ali, vor zehn Tagen Premierminister Saddik el-Mahdi ins Haus schickte. Im Klartext handelt es sich um ein Ultimatum. Saddik el-Mahdi wird aufgefordert, bis zum Wochenende eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Um Zeit zu gewinnen, hat el-Mahdi am Montag die unterschwellige Putschdrohung thematisiert. Bis kommenden Sonntag hat er von der Armee eine „formelle Verpflichtung“ verlangt, „keinen Staatsstreich auszuführen“.

Die sudanesischen Offiziere haben mit militärischem Schneid reagiert: In Sachen Demokratie hätten sie keine Lektionen zu empfangen, ließ ein knappes Kommunique am Dienstag abend wissen. Und ansonsten kein Wort über die Henkersfrist, die sich el-Mahdi selbst gesetzt hat. Am Donnerstag nämlich hat der Regierungschef angekündigt, bis zum Wochenende eine Kabinettsumbildung vorzunehmen. Sollte dies nicht gelingen, wolle er, so ließ Mahdi verlauten, am Wochenende zurücktreten. Wenn er am Sonntag tatsächlich aufgeben sollte, könnte er der Armee lediglich unterlassene Hilfeleistung vorwerfen. Dazu freilich dürfte es kaum kommen. Der Neffe jenes „großen Mahdi“, der Ende des vergangenen Jahrhunderts den Volkszorn gegen die ägyptisch -britische Vormundschaft und die Herrschaft „pascha Gordons“ entfesselte, hält sich seit drei Jahren mit faszinierender Ruchlosigkeit an der Macht.

Am vergangenen Montag haben 37 sudanesische Parteien, Gewerkschaften und Verbände den Regierungschef zum Rücktritt oder zur Annahme des bereits im November ausgehandelten Friedensabkommens mit der SPLA aufgefordert. Die breite parlamentarische und außerparlamentarische Koalition hat sich um die „Demokratische Unions-Partei“ (DUP) gruppiert, die Ende vergangenen Jahres den Friedenspakt mit Widerstandsführer John Garang im Alleingang geschlossen hatte. Nach langwierigen Verhandlungen in der äthiopischen Hauptstadt Addis-Abeba waren ein sofortiger Waffenstillstand, die „Aussetzung“ der islamischen Strafgesetzgebung (Scharia) und eine alle politischen Kräfte einschließende „Verfassungskonferenz“ als Bedingungen für das Ende des Bürgerkriegs im Süden festgeschrieben worden.

Saddik el-Mahdi wollte von solchem Frieden nichts wissen. Während die Bevölkerung dem DUP-Führer Mohammed Osman el -Mirghani bei seiner Rückkehr von Addis-Abeba einen triumphalen Empfang bereitete, war der Premierminister ostentativ nach Libyen gereist. Seit dem Sturz Nimeiris unterstützt Gaddafi den „heiligen Krieg“ (Jihad) gegen die „negro-afrikanischen Heiden“ im Südsudan: mit Waffen, Munition und Treibstoff. Die libysche Luftwaffe greift zudem direkt ins Kriegsgeschehen ein.

„Ich oder das Chaos“ - die Rücktrittsdrohung Saddik el -Mahdis erschrickt niemandem mehr in Khartum, wo man ab vier Uhr morgens für Fladenbrot Schlange stehen muß. In den Außenbezirken der sudanesischen Hauptstadt leben - sechs Monate nach der Flutkatastrophe - rund eine Million Flüchtlinge aus dem Süden noch immer von der Hand in den Mund. Mehr als 300.000 Menschen sind allein seit vergangenem Sommer im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Die meisten sind auf der Flucht verhungert, und am Ende der gegenwärtigen Trockenzeit sind trotz internationaler Hilfslieferungen die Nahrungsspeicher im Süden weitgehend leer. In wenigen Wochen wird die Regenzeit den Süden erneut in unzugänglichen Sumpf verwandeln. Es wäre erstaunlich, wenn Saddik el-Mahdi das nächste Kapitel des sudanesischen Dramas noch als Premierminister erlebte.