„Unseriös und reißerisch aufgemotzt“

Präsident des Chaos-Computer-Clubs: „Panorama„-Sendung nur „heiße Luft“ / Informationen liegen offen auf der Straße  ■ I N T E R V I E W

taz: Wau, Du giltst ja als der „Präsident“ des Chaos -Computer-Clubs. Warst Du denn überrascht, als Du gestern gehört hast, daß „Hacker“ den größten Spionagefall seit Guillaume verursacht haben sollen?

Wau: Wir waren nicht überrascht, sondern über den Stil der Sendung ziemlich schockiert. Denn das war für unsere Begriffe unseriöser Journalismus.

Wieso?

Also das war das, was man bei Zeitungen „Stehsazz“ nennt: Das war eine reißerisch aufgemotzte Sammlung aus halbgaren Spekulationen und alten Archivbildern. Was an Fakten präsentiert wurde, war entweder schon bekannt oder heiße Luft. Das war letzlich ein Zusammenschnitt einer Sendung von vor zwei Jahren, als wir den Nasa-Computer angezapft hatten, und wurde jetzt nur ein bißchen aufpoliert, weil irgendwelche Leute verhaftet worden sind, die ich nicht kenne, und die mit den Hackern nichts zu tun haben.

Was war daran unseriös?

In der Panorama-Sendung wurde etwas zum größten Spionagefall hochstilisiert, was angesichts der Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft offen auf der Straße liegt. Ich meine diesen C-Compiler ...

Wie bitte?

Also ein Programmentwicklungssystem im Quellcode soll an den KGB gegangen sein! Da hat die bundesdeutsche Hackerszene vor dem Fernseher gehockt und sich totgelacht, als sie das gehört hat. Dieses System gehört zum Standard jedes Industrielandes und ist frei zugänglich. Das ist genau der springende Punkt: Es ist so vieles frei zugänglich, daß beim KGB wirklich nur führende Nullen beschäftigt sein müssen, wenn die dafür Geld auf den Tisch legen. Außerdem: Nicht alles, was im Ostblock an Software existiert, ist von hier geklaut. Zum Beispiel: Die Datenbank-Software, mit der das Bundeskriminalamt arbeitet, wurde in Ungarn geschrieben.

Du hast gesagt: Die Leute, die das gemacht haben, sind keine Hacker. Aber es ist doch relativ einfach, in Rechnersysteme reinzukommen, und das versuchen doch wohl mehr, als nur die Hacker vom Chaos-Compter-Club.

Genau so ist es. Aber die Leute, die mit KGB zusammengearbeitet haben sollen, das sind für mich keine Hacker. Die Hacker-Kreise, die ich kenne, haben immer gesagt: Wir machen einen offenen Informationsaustausch, und wer für irgendetwas Geld nimmt, schließt sich selbst aus. Daß es irgendwo Leute gibt, die sich an irgendetwas ranklinken wollen und bestechlich sind, das ist normal. Aber Hacker gleich Spione - das ist einfach ein Witz. Wir Hacker haben uns mit den Anwerbungsversuchen von Geheimdiensten sehr intensiv beschäftigt. Schließlich laufen auch von westlichen Geheimdiensten äußerst dubiose Geschichten. Das ist furchtbar lästig, wenn man die westlichen Dienste am Hals hat, die dann versuchen, Leute anzuwerben ...

Kennst Du das aus eigener Erfahrung?

Natürlich.

Nun sagst Du ja, die haben mit uns Hackern nichts zu tun. Aber vielleicht nennen sie sich selber so.

Das stimmt. Ich glaube nur nicht, daß sie sich selbst als Hacker bezeichnen. Nehmen wir zum Beispiel das Geld: Als wir 1984 bei dem BTX-System der Sparkasse eine Sicherheitslücke gefunden haben, hätten wir sofort 135.000 Mark auf unser Konto überweisen können. Darauf haben wir öffentlichkeitswirksam verzichtet. Das ist unser Umgang mit Geld. Sonst wären wir auf der Ebene von Computer- und Wirtschaftskriminalität gelandet. Unsere Überlegung ist: Wenn wir auf Schwächen stoßen, dürfen wir uns davon keinen finanziellen Vorteil verschaffen. Das ist der Kernsatz der Hacker-Bewegung. Zu allem anderen gibt es eine ganz klare Distanz.

Welche Folgen könnte das für Euch haben?

Das ist ein Einschüchterungsversuch. Aber wir müssen uns ja davon nicht einschüchtern lassen. Noch etwas: Vor einem halben Jahr hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß das Fernmeldeanlagengesetz, was z.B. das Montieren von Modems am Telefon verbietet, verfassungswidrig ist. Damit ist der einzige Punkt, der Hacker kriminalisiert, weggefallen. Insofern haben die vielleicht das Interesse, Hacker auf einer anderen Ebene anzugreifen. Denn Hacker sind ja immer wieder ein Stachel und bringen Informationen heraus, an denen die nicht so interessiert sind. Für die Öffentlichkeit gibt es jedoch nicht nur das Interesse an Datenschutz, sondern auch das Interesse, daß „geheime“ und sogenannte sicherheitsempfindliche Daten zugänglich gemacht werden.

Die Leute, von denen jetzt die Rede ist, sollen ja eine ganze Latte von Rechnern angezapft haben. Waren die denn besonders gut?

Also das war mir alles nichts Neues.

Du meinst, Ihr seid besser.

Mit Sicherheit. Man darf ja nicht vergessen: Es gibt viele Anhaltspunkte, daß kleine „Hintertürchen“ in Softwaresysteme eingebaut werden, die westlichen Diensten nach Auslieferung solcher Systeme in ein Ostblockland immer noch gestatten, da reinzukommen. Das ist doch das entscheidende Spiel, das heute läuft. Insofern ist das alles nichts besonderes.

Interview: Ursel Sieber