Ein Wurm hat ihn getroffen

Premiere im Moks-Theater: „Herr Sturm und sein Wurm“, inszeniert von Gotthart Kuppel ist ein Stück, in dem der Wurm drinsteckt: Herr Sturm, ein armes Würmchen, entdeckt, daß seinem Leben der Wurm fehlt  ■  Von Christine Spiess

Zuerst schaut er aus wie ein ganz ordinärer Stuhl, der WohnSITZ des Herrn Sturm, in dem er kauert und ruhig schnarcht. Groß und hölzern steht der Stuhl auf der Bühne, in einem faden Braun, mit hoher Rücken- und breiten Armlehnen. Aber dann, als Herr Sturm sich räkelt und langsam erwacht, zeigt er uns, was in diesem Stuhl alles steckt: überall kleine Lädchen, Nischen, Kammern, die alles bergen, was der Herr Sturm so braucht: Kleider-und Schuhbürsten, Kaffeetasse, Serviette, Blumendünger, Blumenwasser...

Und auch fürs Amüsement sorgt der Stuhl. Unter der einen Armlehne steckt ein elektronisches Klavier, unterm Sitz ein Radio. An dem fummelt Herr Sturm, sich abzulenken, aber nichts da, das Stück zeigt, wie wenig harmlos Unterhaltungsprogramme sind. „So ein Regenwurm hats gut“ klingts aus dem Stuhl - und den Herrn Sturm triffts ins Herz. Er versucht es zwar vor sich und uns zu kaschieren und schützt Ekel vor, aber ei

gentlich steht ihm plötzlich klar vor Augen, was für ein armes Würmchen er ist, so allein, so einsam, mit nichts Lebendigem um sich als einem kümmerlichen Blumentopf.

Herr Sturm macht sich auf, hinaus ins Grüne, in den Park, wie es seine Gewohnheit ist seit

Jahr und Tag, aber zugleich geplagt vom erschreckenden Gedanken, in seinem Leben sei der Wurm drin. Welch ein Irrtum: seinem Leben fehlt nichts so sehr wie der Wurm!

Als er da so einsam die Rabatten abschreitet, in abgezirkelten, in sich gefangenen Schritten, da

hört er mit einem Mal ein dünnes, leises Stimmchen, das ihn um Hilfe anfleht: es friert, hat Hunger und Durst, und traut sich auch nicht über die stark befahrene Straße. Ein Wurm. Ein kleiner, nackter, fingerlanger, rosaroter, armer Wurm.

Herr Sturm nimmt ihn mit in

seine Wohnung Am Stuhl 8, mehr aus Mitleid, denn aus Neigung. Aber langsam nimmt ihn das gewinnende Wesen dieses Würmchens gefangen. Manierlich frißt der Wurm seinen Salat, spielt mit ihm Klavier - und will wissen, wie sein Freund unter seinen Kleidern aussieht. Blitzschnell kriecht er ihm in den Kragen, untersucht die Achselhöhlen, krabbelt zu den Lenden, die Beine hinunter, hinauf, daß sich der Herr Sturm so vor Lachen schütteln muß, wie er wohl sein Lebtag lang noch nie gelacht hat.

Der Bann ist gebrochen. Herr Sturm und der Wurm werden Freunde. Aber weil der Herr Sturm sich manchmal geniert, einen Wurm zum Freund zu haben, ist diese Freundschaft immer wieder gefährdet, ehe die beiden ein Herz und eine Seele sind.

Martin Bachmann spielt den Herrn Sturm, sein rechter Zeigefinger den Wurm. Er spielt den Herrn Sturm knurrig, vergrämt, als einen, der innerlich ständig Kissen knickt. Ein Vereinsamter. Eckig, hölzern spielt er ihn, einen humorlosen Menschen.

Der Schalk sitzt eben im rechten Zeigefinger, im Wurm, der behende in den Hut kriecht, sich darin versteckt, aus einer der Stuhl-Laden lugt, auf dem Klavier herumhämmert.

Ein leises Stimmchen hat der Wurm, das manchmal gar nicht aus Martin Bachmanns Mund zu kommen scheint: so sehr ist der Finger zum Wurm geworden, und ist doch ein Stück des Sturm, das Stück, das ihn erst vom Knorz zum Menschen macht. „Ihr habt den Weg vom Wurm zum Menschen gemacht, und vieles ist in euch noch Wurm“, schreibt Nietzsche im „Zarathustra“. Könnte er ins MOKStheater gehen, er käme ins Grübeln. Ein Stück für Kinder ab vier Jahren, das aber alle, die noch ein vierjähriges Kind in sich spüren, nicht versäumen sollten.

Nächste Aufführungen von „Herr Sturm und sein Wurm“: Samstags, 4. und 18. März, 15. und 29. April, jeweils 16 Uhr. Für Gruppen Montag bis Freitag jeweils 10 Uhr nach Vereinbarung (Telefon: 3616181).