HOCH DIE INTERNATIONALE

■ Künstleraustausch „Montreal - Berlin“ in der Galerie im TIP und in der Künstlerwerkstatt im Bahnhof Westend mit jeweils zehn Künstlern und Künstlerinnen

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold möchte man den Damen und Herren zurufen, die am vergangenen Freitag ihre Vorträge hielten, weil es galt, die Ausstellung von jeweils zehn Berliner und Montrealer Künstler zu eröffnen.

Denn letztendlich kann man es sich bei solchen Gelegenheiten sparen, gegenseitig Lob zu zollen für die geleistete Arbeit, Dank zu sagen denjenigen, die diese Ausstellung ermöglicht haben, wenn man nicht darüber hinaus etwas zu sagen hat, was jenseits der Hudeleien und Floskeln bzw. Phrasendrescherei angesiedelt ist.

Aber wie es meistens so ist, läßt man die Besucherinnen und Besucher mit der Kunst allein, was zwar gut und billig ist in dem Sinne, daß sich jeder seine eigene Meinung bilden kann und muß, andererseits aber doch bestünde gerade bei solchen Gelegenheiten auch die Möglichkeit, intensiver gerade denjenigen die Kunst im einzelnen vorzustellen, die die Wege in den Wedding und nach Westend nicht scheuten.

Es wäre sicher interessant, zu sehen und zu hören, wie die Sponsoren der Karl Hofer Gesellschaft, diese kapitalkräftige Klientel, reagierte auf die Bilder von Barry Allikas, dessen Themata sich zwischen dem Vietnamkrieg und der weitergehenden Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt bewegen. Wie reagiert man als Geschäftsmann auf Künstler, die in ihren Bildern eine klare Sprache sprechen in bezug auf Apartheid, wie Dominique Blain, und betreibt weiter die Geschäfte mit Südafrika? Ist die dazugehörende Schizophrenie so weit verinnerlicht, daß man das alles fein trennen kann? Weil man aus gutem Grund der Kunst zubilligt, Themen zu benennen, über die man grübeln darf, denen man Anregungen entnehmen kann, aber die doch scheißegal sind für die alltägliche Mehrwertproduktion?

Das gilt auch für Marion Wagschal, deren Bilder unter die Haut gehen. Sie malt jüdische Geschichte in ihrer Verlaufsform seit der Bewußtwerdung, daß für Überlebende des Holocaust der Schrecken niemals zu Ende sein wird. Man kann es sich bei diesem Thema natürlich einfach machen, und alle Sehenden werden ihre Betroffenheit zu erkennen geben, aber wieviele Worte muß man machen, um sich diese Welt zu erschließen, die in den Bildern erst einmal eine Normalität verbreitet, um hinter den Details des bürgerlichen Ambiente das Gruseln zu bekommen? In dem Bild „The great coat“ beispielsweise kann man spazierengehen, man sieht zwei schlafende Katzen, ein Insektarium liegt vor einem gelangweilten Knaben, ein weiterer Sohn lümmelt sich auf dem Sofa, dahinter prasselt im Kamin ein munteres Feuer, und auf dem Sims stehen ein paar Panzer herum und ein Don Quichotte. Der Mann im Sessel hält sein offenes Buch vor dem Bauch und wagt sich nicht zu regen im Angesicht der Frau, die in ihrem berühmten Mantel in der Mitte des Zimmers die eine Hand in die Hüfte stemmt. Hätte sie nicht dieses eine rechte Auge, man könnte von irgendeiner Familie sprechen. Aber die Geschichte läßt sich nicht vergessen, und auch die beiden Jungen werden ihr nicht entgehen können - wie wir nicht, die in dieses Zimmer sehen.

Aber wenn bei diesen Bildern das Thema so eindeutig ist, hat man es bei vielen anderen Bildern und auch Plastiken schwerer, den Sinn zu erkennen. „Table of unequal complicity“ von David Moore und „Kander“ von Liliana Berezowsky mögen dafür Beispiele sein, daß das internationale Kunstschaffen nach Ausdruckformen sucht, die es den Betrachtern einfach macht, achselzuckend darüber hinwegzusehen. Sind es doch einigermaßen verspielte Objekte, die Bankgebäude zieren könnten, die Foyers von großen Firmen, um über die Leere der Hallen hinwegzutäuschen oder um sich auch mit Kunst zu zieren, wenn man schon nicht mehr mit den Produkten angeben kann.

„Das Quadrat“ von Ulrich Eller hingegen, das im wesentlichen eine Installation quadratischer Glasplatten ist, die auf Lautsprechern liegen und somit noch den abgestrahlten Tönen eine andere Eigenschaft mit durch den Raum geben, ist nicht so leicht zu vereinnahmen. Das zeigte sich schon bei den Eröffnungsansprachen, als es irgendjemandem zuviel wurde, daß die Reden begleitet und verfremdet wurden durch das Quieken und Quietschen im Hintergrund, das penetrant den gesetzten Worten so lange widersprach, bis irgendjemand ihm den Saft abdrehte.

Das ist allerdings auch nicht die einzige widersprüchliche Tatsache, die den Stellenwert dieses Kunstaustauschs relativiert. Sieht man einmal davon ab, daß die Idee zu dieser Ausstellung, die im vergangenen Herbst schon in Montreal zu sehen war, von der dortigen Leiterin des Goethe -Instituts ausging und nach anfänglicher Skepsis Begeisterung auslöste bei denjenigen, die so Gelegenheit bekamen, in Montreal die Ateliers zu besuchen, um auszuwählen, erfährt man doch von einigen beteiligten Künstlern, wie hanebüchen die Vorstellungen hiesiger Ausstellungsmacher waren. Zur Verteidigung kann man fast nur sagen, daß es natürlich schwer ist, aus 100 Künstlern zehn auszuwählen, doch mußten sich die Montrealer Austellungsmacher doch erst noch gegen bestimmte Vorstellungen durchsetzen, um in die Ateliers zu kommen, die sie sehen wollten.

Aber ansehen muß man sich diese Ausstellung schon, weil sie erstens zeigt, daß Kunst international ist und man es schwer hat zu sagen, wo sie herkommt, ob aus Montreal oder Berlin, und zweitens, weil alle diese Künstler Abgänger von der Hochschule sind, also gerade erst am Anfang ihrer Entwicklung stehen.

Muß an dieser Stelle nur noch angemerkt werden, daß die Kulturpolitiker der möglicherweise neuen Regierungsparteien durch Abwesenheit glänzten. Wahrscheinlich haben sie an ihrem Kulturverständnis gebastelt.

Qpferdach

Die Ausstellung, die in beiden Häusern bis zum 2.4.89 zu sehen ist, ist montags geschlossen, Di - So 11 - 18, Mi 11 22 Uhr geöffnet.

TIP - Technologie + Innovationspark, Gustav - Meyer - Allee 25 / Voltastr.5, 1-65, U8 Voltastr.; Bus 12, 64, 71

Künstlerwerkstatt im Bahnhof Westend, Am Bahnhof Westend, 1 -19, Bus 54, 65, 74