"Berlin, freie Stadt - Ha Ha!"

■ Behördenkrieg gegen polnische Händler am Krempelmarkt / Für 2.000 war die Reise an der DDR-Grenze vorbei / Berliner Polizei setzt Agent provocateur ein

„Achtung, die Bullen!“ flüstert ein Deutscher seinem polnischen Nebenmann zu. Der schließt mit zwei, drei Handgriffen seine Reisetasche, läßt Zigaretten und rosafarbene Hemden verschwinden, und - plop - wo eben noch 20 Menschen in drei Sprachen feilschten, greifen die Ordnungshüter jetzt ins Leere. Die Polizisten machen ein doofes Gesicht, ballen die Fäuste in der Hosentasche und kommen sich reichlich blöde vor: Die umstehenden Passanten können sich kaum halten vor Lachen.

Trotz Gitterzaun, massivem Beamteneinsatz und scharfer Grenzkontrollen auf beiden Seiten ist der deutsch-polnisch -türkische Kleinhandel in der Gegend um den Krempelmarkt jedenfalls nicht kleinzukriegen.

Am polnischen Grenzübergang zur DDR bei Frankfurt an der Oder standen die kleinen Fiats schon am Freitag abend Schlange. Für über 2.000 potentielle Berlin-BesucherInnen war die Reise dort aber schon zu Ende: Die Zollbeamten der Volksrepublik schickten jeden, der über den Reisebedarf hinaus Wurst und Alkoholika geladen hatte, in seinen Heimatort zurück.

Die zweite Hürde mußten die polnischen Touristen dann beim Grenzübergang Dreilinden nehmen - auch dort peinlich genaue Untersuchungen. Einem Bus wurde von den Westberliner Zöllnern gar wegen angeblich „technischer Mängel“ der Zugang in den freien Teil der Stadt verwehrt.

Als die übriggebliebenen 5.000 Reisenden schließlich Samstag früh den Krempelmarkt erreichten, hatten die Behörden vor den antifaschistischen Schutzwall einen antipolnischen Gitterzaun gestellt. Das Ergebnis: Polnische Wurst wurde in umliegenden Hauseingängen und Hinterhöfen angeboten; Porzellan und Glasvasen auf dem Bürgersteig, Zigaretten und Schuhe auf abgesperrten Straßen. Die AnwohnerInnen nahmen das zum Teil gelassen hin, andere schäumten vor Wut: „Nimm sofort Dein‘ Krempel von mein Auto!“

Keiner der Händler blieb länger als zehn Minuten an derselben Stelle; „zu gefährlich, zuviel Polizei“, erklärte einer. Die war mit 280 Ordnungskräften angerückt und in Zweiertrupps unterwegs - teils in Zivil, teils in Uniform. Besonders mies: Zivilzöllner klopfen an Autofenster, gucken interessiert und wollen etwas kaufen.

Wer sich darauf einließ, wurde festgenommen, zur Ausländerbehörde gebracht und sofort abgeschoben. Ein etwa 40jähriger Pole, der bisher nicht erwischt wurde, will nächstes Wochenende trotzdem wiederkommen: „Wenn die mich kriegen, hab ich eben Pech gehabt. Aber ich brauch das Geld für meine Familie.“

Während am Sonnabend noch über 5.000 Händler ihr Glück versuchten, waren es gestern nur noch ein paar hundert. Die eher spannungsgeladene Stimmung vom Vortag war Verbitterung gewichen: „Berlin - freie Stadt. HaHa!“ meinte ein über 60jähriger Pole ironisch.

Die „stolze“ Bilanz der Polizei: 300 Ausweisungen, 200 Ordnungswidrigkeitsanzeigen und 300 beschlagnahmte Säcke mit Gebrauchsgegenständen und Lebensmitteln. Ob der geschäftsführende Senat mittlerweile mit der DDR in Verhandlungen über eine Übernahme der Mauer getreten ist, um die Stadt vor kommenden polnischen Invasionen hundertprozentig sichern zu können, konnte gestern nicht geklärt werden. Siehe auch Bericht Seite 4.

C.C. Malzahn