: Von Magiern und Palastpinklern
■ Zur Reihe „Regie im Theater“ im Fischer Verlag
Petra Kohse
Wer vom Theater spricht, erwähnt zuerst den Regisseur. Zwar erscheint er nicht selbst auf der Bühne, doch alles, was zu sehen ist, kommt von ihm. Auch für das kleine Lächeln im ersten Akt, welches etwas größer hätte sein können, wird er verantwortlich gemacht. Immer seltener hat der Schauspieler seine Leistung zu verantworten, stets ist es der Regisseur, der falsch oder richtig besetzt, schlecht oder gut inszeniert.
Theater existiert im Grunde nur in der jeweiligen Personifikation, weniger in gemeinsamen Stilrichtungen etc. Auf jeden Fall behauptet das der Fischer Verlag, der sich in seiner neuen Reihe bisher dem Brook-, Grüber- und Zadek -Theater gewidmet hat.
Die AutorInnen sind selbst vom Theater, DramaturgInnen zumeist. Nach einer Einführung in die Theaterarbeit ihres jeweils zu erforschenden Regisseurs, erteilen sie das Wort den SchauspielerInnen, Bühnenbildnern und Intendanten, die mit jenen zusammenarbeiteten. Über Peter Brook schreibt Olivier Ortolani. Eine Formel, die nahezu alle Beiträge dieses Bandes durchzieht, lautet: Brook, der Forscher. Mit großer Konsequenz versucht der Regisseur, der sich selbst ohne Vorbilder sieht, eine „nicht-verbale Form der Kommunikation“ (Ortolani) auf der Bühne herzustellen. Dazu können durchaus auch sprachliche Experimente gehören, die vor allem durch die Lektüre der Schriften von Antonin Artaud (etwa doch eine Tradition?), ebenso durch die Erkundung des Raumes, in dem Theater stattfindet, beeinflußt wird: „In Brooks Inszenierungen beschreibt der Raum nicht, er bildet nicht nach, sondern er ist das Konzentrat einer Welt.“ (Georges Banu)
Auch das Publikum ist Teil von Brooks Aufführungen. In dieser Beziehung unterscheidet er sich krass von den Kollegen Grüber und Zadek, die immer wieder lauthals „epater les bourgeois“ rufen. Brook aber mißt sein Theater geradezu an dem, was vom Zuschauer auch mitempfunden werden kann.
Ganz selten werden Mißklänge in der Zusammenarbeit mit den Regisseuren erwähnt. Miriam Goldschmidt ist die einzige, die Brooks hohe Ansprüche von einer anderen Seite betrachtet, in dem sie bemerkt, „(...) er sei wahnsinnig hart und halte Prüfungen ab, die keiner bestehen könne“. Aber auch das war, bevor sie mit ihm zusammenarbeitete.
Brook, der Magier, der das Unsichtbare zeigen will, ist auch ein Mann des Films, und hält die Wechselwirkung dieser beiden Medien, was die Schauspielarbeit anbelangt, für sehr fruchtbar. Die Intimität im Film reduziere die großen Gesten auf dem Theater.
Leider machte sich Ortolani nicht die Mühe, anhand von Brooks Schrift Der leere Raum (1968) Theorie und Praxis zu vergleichen. Unklar bleibt auch, wie sich Brooks gewaltige Forschungsprojekte (an Mahabbarata, 1985, wurde zehn Jahre lang gearbeitet) finanzieren, aber dies der neugierigen Menge darzulegen, erschien ihm wohl als Gotteslästerung. Auch wird das Bild des Maestro nicht durch Kritikerstimmen beeinträchtigt, bzw. vervollständigt. Dabei würde man gerne erfahren, ob denn das Unsichtbare auch gesehen wird.
Uwe B. Carstensen hat weniger Hemmungen. Er exponiert Klaus Michael Grüber als „lonely rider“, als Avantgardisten im zähen Kampf gegen die banausige Kritikergilde. Die nämlich wirft ihm immer wieder vor, seine Aufführungen seien zu protzig, zu dunkel - oder zu leise gesprochen. Das aber kann Grüber sicher nicht beeindrucken. Im Gegenteil: seine Theaterarbeit „wird immer weniger demokratisch. Er setzt klare Prioritäten, aber der Wunsch, das Publikum möge unbedingt alles verstehen und mit hineingezogen werden, der gehört weiß Gott nicht dazu“, erfährt man von Bruno Ganz. Also ist anzunehmen, daß der Meister, wenn schon nicht für das Volk, so doch vielleicht für sein Ensemble inszeniert. Aber auch das stimmt nicht, hier verweigert er sich ebenfalls.
Jeanne Moreau, die 1986 in der Erzählung der Magd Zerline mit ihm zusammenarbeitete, war am Anfang verzweifelt, weil er nicht mit ihr sprach, wenn er überhaupt einmal anwesend war. „So hatte ich noch nie gearbeitet - ich konnte mich auf nichts, wirklich nichts stützen.“ Carstensen gelingt es natürlich noch viel weniger als den SchauspielerInnen, Grübers Schleier zu lüften. Ein Interview mit ihm war offensichtlich nicht möglich und wird ersetzt durch einige pauschale Bemerkungen, die Grüber im Laufe der letzten Jahre irgendwann einmal über seine Arbeit fallen ließ, etwa daß die „Lockerung im Theater einmal zur Freiheit werden kann, die das Antitheater von heute überwindet“. Welche Lockerung meint er? Und was versteht er unter Antitheater?
Ein inniges, inspirierendes Verhältnis verbindet ihn mit seinen Bühnenbildnern Gilles Aillaud und Eduardo Arroyo, aber auch hier erfährt man nur, daß Grüber die Ausstattung grundsätzlich akzeptiert und sie nicht „nach seiner Bequemlichkeit“ verändert. Dabei scheinen Räumlichkeiten für Grüber sehr wichtig zu sein, inszeniert er doch in Berliner Messehallen, im Olympiastadion, im Hotel... Die Erzählung der Magd Zerline fand übrigens im Theatre des Bouffes du Nord in Paris statt, welches Brook sich 1974 als eigene Arbeitsstätte wiederaufgebaut hatte. Kein Wort über die berühmten Kollegen. Und immer wieder Kritikerzitate - in denen allerdings einige Szenen sehr anschaulich nacherzählt werden. Dennoch bleibt Grübers Vorstellungen von Theater eine Black box, die von allen Seiten betastet und beklopft wird, in die aber keiner eindringt.
„Grübers Inszenierungen geben nichts Abgeschlossenes, sondern immer neue Anstöße mitzudenken, mitzuhören (...) Das Grübersche Verfahren schließt eines aus, was auf dem Theater sonst üblich ist, daß eine Inszenierung mit ihrem Ende auch zu Ende ist. Alle Inszenierungen Grübers haben eine große Nachbrennkraft. Je länger man von ihnen weg ist, um so deutlicher werden sie.“ (Günter Rühle) So gesehen mag es für ein Buch über Klaus Michael Grüber noch zu früh gewesen sein. Seine Affäre Rue Lourcine von Eugene Labiche ist in dieser Spielzeit an der Berliner Schaubühne noch zu sehen und befindet sich also noch im Einwirkprozeß.
In allen drei Büchern werden die Beiträge durch Lebensdaten des Regisseurs, Inszenierungsverzeichnis und bibliographische Hinweise ergänzt. Uwe B. Carstensen hat noch ein Kritikenverzeichnis beigefügt. Die zukünftige Theaterwissenschaft wird es ihm danken.
Bei den meisten Texten und Interviews wird die Involviertheit der MitarbeiterInnen zum Handicap. Selbstdarstellungen oder Liebeserklärungen an den Regisseur überwiegen oftmals die Information. Nicht so bei dem Band über Peter Zadek von Mechthild Lange, die seit 1986 als Leitende Dramaturgin am Hamburger Schauspielhaus arbeitet. Bereits in der Einführung skizziert sie die wesentlichen Charakteristika in Zadeks Schaffen von 1978-1988, welche in den folgenden Interviews Form und Farbe gewinnen.
Zadek hat keine Angst vor der Komödie, denn „Tragödie und Klamotte erzählen (...) dasselbe: Katastrophen“ (Lange). Bei Zadek blitzt das Lächerliche in den Charakterrollen und das Große in den kleinen Figuren auf - letztendlich bewirkt er die Aufhebung von Klischees wie Gut und Böse, Stark und Schwach. Dazu Jürgen Flimm: „Zadek ist eigentlich derjenige, der aus dem deutschen Theater die faschistische Ästhetik weggefegt hat.“
Mechthild Lange umreißt kurz die Spannbreite von Zadeks Inszenierungsdrang, der von Shakespeare, Shakespeare, Shakespeare, Boulevard von Ayckbourn, über Realismus (zum Beispiel Ibsen), bis hin zu jenen großen Revue-Spektakeln reicht, wie Jeder stirbt für sich allein nach Fallada oder Ghetto von Sobol.
An dem nachfolgenden Interview mit dem Regisseur ist zunächst bezeichnend, daß es überhaupt existiert. Grüber beispielsweise gab keines, sicherlich war ihm auch das ganze Buch über ihn einfach nur unangenehm. Ganz anders Peter Zadek. Bei ihm braucht man sich nicht als Voyeur zu fühlen. Zadek plaudert drauflos und bestreitet mit 50 Seiten Interview selbst die Hälfte des gesamten Buches. Manchmal wirkt diese Eloquenz beinahe aufdringlich, und die Angaben zu seiner Person plätschern zu glatt dahin („Ich war erkoren, ein Künstler zu werden; meine Mutter hatte beschlossen, daß ich Musiker werden sollte. Als ich elf oder zwölf war, bekam ich eine Geige, damit ich Yehudi Menuhin würde. Leider war ich aber nicht so besonders begabt.“). Dennoch erfährt man viel über den Menschen und Theatermacher Peter Zadek, die dazu beitragen. Aus dem Theaterolymp rückt er in greifbare, begreifbare Nähe. Er äußert sich über seine Arbeit mit Schauspielern, sein Verhältnis zum Bühnenraum und gibt selbst zu, daß er als Regisseur immer enge, starre Grenzen als Reibungsfläche braucht. Wo er gegen Bühne, gegen Materialzwänge oder Intendantenskrupel aninszenieren muß, da leistet er sein Bestes. Deshalb wahrscheinlich versagte er auch als regieführender Intendant, der sich selbst die Maßstäbe setzt. Kurt Hübner, sein früher Förderer und ehemaliger Intendant, kann dem nur zustimmen.
Wenn Zadek abzuschweifen droht, dann holt ihn Frau Lange stets mit weiterführenden Fragen zurück. So erfahren wir auch seine Meinung zu Intendanz, Freien Gruppen, Mitbestimmung am Theater etc. Das fehlt in den anderen Bänden.
Schön am Redefluß ist auch, daß sich das Gesagte manchmal zu einem neuen Inhalt zusammenreimt. Von Kleist interessiere ihn nur das Käthchen von Heilbronn, behauptet Zadek beispielsweise. Einige Seiten später aber spricht er über die Faszination unbewußter Vorgänge bei SchauspielerInnen, wie etwa eine bestimmte Geste oder ein Blick, die nie wieder gelingen werden, wenn man den oder die Betreffende darauf anspricht. Und ist er hier nicht ganz nah an Kleists Aufsatz über das Marionettentheater?
Zadek erklärt seine Intentionen weder den Schauspielern noch dem Publikum (hierin ähnelt er Grüber oder dieser ihm), weil, „wenn man einmal anfängt sie zu belehren, dann muß man sie immer weiter belehren, weil sie nie von allein etwas lernen werden“. Pädagogisch gedacht, oder doch nur Bequemlichkeit?
Mechthild Lange gelingt es auch bei den anderen Gesprächspartnern aufdringlichen Exhibitionismus zu vermeiden und provoziert statt dessen amüsant-inhaltliche Beiträge. Denkt man an Uwe B. Carstensen, so kann man dies nicht genug loben.
Wilfried Minks setzt Zadek in Bezug zu anderen Regisseuren, mit denen der Bühnenbildner gearbeitet hat, Ulrich Wildgruber konnte sich trotz jahrelanger intensiver Zusammenarbeit eine kritische Distanz zu Zadek („jemand, der immer vor dem Palast pinkelt“), nur bei Johannes Grützke bleibt unklar, wen er meint, wenn er ständig von „seinem“ Zadek spricht.
Alle drei Bücher vermitteln den Eindruck, daß Theater gleich Regie ist und Regie sich in der Person des Regisseurs erschöpft. Natürlich bestreitet niemand, daß das Inszenierungskonzept den gesamten Theaterbetrieb dominiert, das Zeitalter des Virtuosentums ist längst vergangen, aber das ist noch lange kein Grund, das Bild des vom Himmel gefallenen Genies dermaßen aufdringlich zu bemühen. Querverbindungen des zeitgenössischen Theaterschaffens und die Geschichte der Regie werden schlicht geleugnet.
Aber auch wenn dem „Mythos Regie“ in den vorliegenden Bänden übermäßig gehuldigt wird, die Herausgeberin Claudia Balk wird sich damit ein Denkmal setzen. Denn schon lange war es überfällig, die Inszenierungen der letzten Jahrzehnte regisseurweise zu bündeln.
Olivier Ortolani, Peter Brook, Fischer Verlag, 139. S., 16,80 Mark; Uwe B. Carstensen, Klaus Michael Grüber, Fischer Verlag, 151 S., 16,80 Mark; Mechthild Lange, Peter Zadek, Fischer Verlag, 167 S., 16,80 Mark.
Im März erscheint der nächste Band: Günther Erken, Hansgünther Heyme, Fischer Verlag, 168 S., 16,80 Mark, weitere über Harry Kupfer und George Tabori sind in Vorbereitung.
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