„Als Kapitulanten wären wir schon zusammengelegt“

Wir dokumentieren, leicht gekürzt, den Begleitbrief Karl-Heinz Dellwos, Gefangener aus der RAF, zu seiner Hungerstreikerklärung  ■ D O K U M E N T A T I O N

Du schreibst, manche seien überrascht gewesen über die frühere Gleichstellungsforderung, und daß der „Knoten“, also die aus der Zusammenlegungsforderung unterstellte elitäre Haltung, sich über das „Zusammenseinwollen mit den Genossinnen und Genossen und gleichzeitig Gemeinschaftsveranstaltungen mit allen“ auflöst(e). Gewiß, so kann es sich auch auflösen, aber ich meine, es greift so noch zu kurz.

Man muß nüchtern sehen: Voraussetzung für uns in den Normalvollzug zu kommen, ist die Kapitulation. Denn Gefangene, mal ganz pauschal gesagt, die auch im Knast weiter um Befreiung und gegen Unterdrückung kämpfen (und was liefe im sogenannten Normalvollzug anderes?), werden sofort ausgesondert und isoliert. Es soll uns niemand damit kommen, daß wir nicht mit den sozialen Gefangenen zusammenkommen wollten. Doch! Mit ihnen und allen, die unterdrückt sind! Nur ist das nicht der Weg. Der Normalvollzug ist kein Ziel, auch nicht für die sozialen Gefangenen. Alle sind dort Objekt und von jedem selbstbestimmten Leben enteignet. Der Normalvollzug setzt nur die soziale Zerstörung fort, verstärkt die, die die kapitalistische Rationalität bereits draußen an den Menschen verübt. Lebensbedingungen für uns sind überhaupt erst zu erkämpfen, hier wie draußen. Überall ist nach einem Durchbruch zu suchen. Erst der kann sich multiplizieren.

Daß - und wie - sich unser Kampf hier multipliziert, haben die Frauen in der Plötze gezeigt, die sich in der Zielbestimmung der politischen Gefangenen wiedererkannten und unser Kampfmittel auch für sich schnappten. So läuft die Entwicklung, das ist die revolutionäre Dialektik! Überall!

Und dann erinnere ich mal daran: Holger starb im November '74 im Hungerstreik für die Gleichstellung mit den sozialen Gefangenen; Sigurd im April '81 in dem für die Zusammenlegung.

Sie wollen weder unsere Gleichstellung, noch unsere Zusammenlegung. Sie wollen den Sieg über uns, die Auslöschung ihres materiell gewordenen politischen Gegensatzes. Teilweise ist diese ganze Normalvollzug -Begründung auch borniert. Wir werden nicht verfolgt, weil wir in der Isolation sitzen, so als würde im Normalvollzug die Verfolgung aufhören, sondern wir sitzen in der Isolation, weil wir die kapitalistische Gesellschaft zum Angriffsziel machen und sie umwälzen wollen. Daran kann sich von uns aus auch nichts ändern, denn diese Umwälzung ist einfach nicht notwendig. Hier wird doch alles Leben nur noch verhunzt für die Ware. Es geht uns schließlich auch nicht um die Zusammenlegung als Selbstzweck, als ruhiger Knast oder was auch immer. Als Kapitulanten wären wir wahrscheinlich alle schon zusammengelegt, sozusagen mit Direktverbindung zur Presse. Und wahrscheinlich auch schon draußen.

Nein, es geht um die Auflösung eines elenden Kontinuums, welches nicht nur den Knast betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft: um das Aufsprengen des Betongehäuses der Macht, um die kollektive Selbstorganisation von unten gegen ein totalitäres System. Der Totalitarismus des Kapitals, das nur in seinem Überbau noch vielfältig erscheint, konnte jeder am Kampf um die Häuser in der Hafenstraße sehen, an dem authentischen Haß, mit dem ein Großteil der bundesdeutschen politischen und ökonomischen Elite dieses Projekt von unten für unten verfolgt(e). Das ist ja eine nationale Angelegenheit. Der politische, militärische und ökonomische Zentralstaat Westeuropas zieht blank angesichts von einem halben Dutzend besetzter Häuser. Weil er dort einen Durchbruch seines sozialen Kerns, der Wertrationalität des Kapitals sieht. Das zeigt, wo hier von oben gegen unten die politische Grenze gelegt wird, damit sich von unten bloß nichts Eigenes bewegt und das Elend festgeschrieben bleibt. Friß Vogel oder stirb, Ausbeutung oder Tod, das sind seine Moralgrundsätze. Aber da genau wollen wir auch durch.

Hier. Aber darum geht es überall, uns den gesellschaftlichen Raum zu schaffen, den wir für die kollektive Weiterentwicklung unseres Aufbruchs brauchen. Gegen dieses System ohne Lebenssinn gibt es da nur Hoffnung, wo wir von unseren Bestimmungen aus den Totalitätsanspruch des Kapitals durchbrechen. Der Kampf gegen die Isolation kann nicht nur negatorisch sein, indem er zu einem Zustand der Nichtisolation will. Das wäre nur eine andere Form staatlichen Terrains, mit anderen Mechanismen der Herrschaft, jedoch den gleichen Absichten. Nein, es geht um einen neuen sozialen Sinn, um die kompromißlose Bestimmung vom Menschen aus, auch etwas, was die Normalvollzug -Vertreter übersehen, die sich vom sozialen Inhalt her damit eine alte Staatsetappe zum Ziel setzen. Vergangenheit. Es geht um ein Ziel mit einer produktiven Funktion für uns. Wir kämpfen um die Möglichkeit der kollektiven Auseinandersetzung unter uns und von da aus um die Auseinandersetzung mit allen, die das auch wollen: eine Lebensperspektive gegen den Imperialismus. Egal, wo sie sind, ob draußen oder im Knast als soziale Gefangene, die aus der Armenrolle raus wollen zwischen Knast und Millionärsträumen. Also Dialog, klar! Allerdings ein anderer als der, der an uns herangetragen wird und von vorneherein für sich das Ziel der Kapitulation festgelegt hat, die Entscheidung für ein zerstörtes Leben.

Dieser Kampf gegen die Isolation betrifft nicht nur uns. In der Isolation und in den Hochsicherheitstrakten stecken Strukturelemente der zukünftigen Gesellschaft des Kapitals. (...) Über sich sollen die Menschen schweigen, und tun sie das nicht, ist das schon staatsfeindliche Propaganda bzw. Werbung für eine terroristische Vereinigung. Dafür sorgt Rebmann. Aber wir wollen reden. Über uns und über das, wofür wir gemeinsam kämpfen. (...) Wenn wir sagen: wir wollen einen eigenen Sinn setzen, auch hier, weil wir nicht nur gegen das sind, dann ist die Notwendigkeit dazu auch geschichtlich leicht ableitbar. Diese Gesellschaft war immer vom Kapital bestimmt. Es ist eine einzige Geschichte von Verbrechen, Fremd- und Selbstzerstörungen. Nun geht es endlich darum, daß sie von unten gegen das Kapital bestimmt wird. (...)

Die Zeit ist dafür auch reif. Überall ist eine neue Phase herangereift, in der wir die ganze politische Situation von unten, also die Defensive umkehren können. Darin sehen wir die Zusammenlegung als Teil, als eine Aufgabe, die uns alle betrifft, die zugleich der Anfang dafür sein kann, den Kampf um die Freiheit der politischen Gefangenen zu einer strategischen Achse und einem Kristallisationskern neuer gesellschaftlicher Gegenmacht zu entwickeln. Denn natürlich ist die Zusammenlegung nur ein Etappenziel.

Karl-Heinz Dellwo, Celle, Dezember 1988