Maggies Lesestunde

■ Die britische Regierung versucht sich als Literaturkritiker

Das britische Außenministerium hat es den Mullahs nachgetan. Es hat Salman Rushdies Satanische Verse lesen lassen. Das Ergebnis ist in doppelter Hinsicht katastrophal: als Literaturkritik und als daraus abgeleitete politische Strategie. Wenn der britische Außenminister Sir Geoffrey Howe nun behauptet, das Buch sei „extrem grob“ und vergleiche Großbritannien mit dem Hitler-Deutschland, dann zeigt dies nur, was dabei herauskommt, wenn sich eine demokratische Regierung das Amt des Literaturkritikers anmaßt und dem Volk suggeriert, welche Bücher es besser nicht liest.

Von Hitler-Deutschland steht in Rushdies Roman nun wirklich kein Wort, wohl aber von „Mrs.Torture“, „Maggie the Bitch“ und 57 uniformierten Bobbies, die sich bei der Festnahme von zwei Flüchtlingen einen Spaß machen. Nicht vom Faschismus, sondern von den Machtallüren einer zum dritten Mal gewählten Premierministerin und dem alltäglichen Rassismus im Großbritannien der 80er Jahre handelt also der Roman. Dies sollte nicht tabu, sondern Lesestoff für alle sein.

Natürlich kommt die Neuentdeckung der eigenen Betroffenheit im britischen Regierungslager zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zufällig. Der nächste Schritt ist das Verständnis für das Verletztsein derer, die ebenfalls Opfer von Mr.Rushdies angeblich so blasphemisch-unverschämter Schreibe geworden sind. Und plötzlich ist nicht mehr Khomeini, sondern jener Autor, der es auf Allah und alle Welt abgesehen hat, der Ursprung allen gegenwärtigen politischen Übels.

Mit einer solchen Haltung leistet die Regierung Thatcher denjenigen rechtskonservativen Stimmen Vorschub, die in den Postillen des Establishments schon seit einiger Zeit daran erinnern, daß Rushdie als Immigrant nicht „einer von uns“ ist und angesichts seines finanziellen Erfolgs seinen Polizeischutz gefälligst selber bezahlen sollte.

Wenn sich Rushdie nun zum ersten Mal aus seinem Versteck meldet und angesichts des plötzlichen Verständnisses der Regierung Thatcher für die Gefühle der Moslems befürchtet, er könnte fallengelassen werden, dann ist diese Reaktion nur allzu verständlich. Großbritannien, so läßt sich die so eigenwillige wie vielsagende Literaturkritik des Außenministeriums interpretieren, will die Beziehungen zum Iran wieder auf eine diplomatische Basis stellen. Und pragmatisch wie die Briten sind, könnten da für verbesserte Wirtschaftsbeziehungen und Waffengeschäfte schon einmal ein ein paar Satanische Verse und Stückchen Meinungsfreiheit geopfert werden.

Rolf Paasch, London