Ein neuer Anfang

Zu den Ergebnissen des Duisburger Grünen-Parteitags  ■ K O M M E N T A R E

Der Duisburger Parteitag der Grünen als Neuanfang? - Da kommt es wohl auf den Standpunkt an. Verglichen mit der im Karlsruher Vorstandssturz beendeten Fundi-Dominanz haben die realpolitisch orientierten Grünen Grund zur Freude. Mit Ruth Hammerbacher und dem Aufbruch-Repräsentanten Ralf Fücks haben sie zweifellos ihre Position im Sprechergremium gestärkt. Doch eine wirkliche Überraschung und Indikator für einen nachhaltigen Wertewandel in der grünen Seele wäre die Wahl des so oft als ätzendes Scheidewasser erprobten Realos Udo Knapp gewesen. Doch Knapps Wahl ging eben knapp daneben. Aber auch vom befürchteten Debakel derer, die das Etikett links für sich allein beanspruchen, kann nicht die Rede sein; dafür stehen Verena Krieger, Jürgen Reents und Martha Rosenkranz.

Die Veränderungen bei den Grünen gehen jedoch über Namen hinaus. Bestimmend bei der Neubesetzung des Vorstands war der offensichtliche Wille der Delegierten, unabhängig zu werden von der öden Strömungslogik. Die Wahl ist ein Plädoyer für Gespräche und eine konstruktive Weiterentwicklung der Partei, auch wenn die „Linken“ dies vergeblich als billige Harmoniebestrebung diffamierten. Sie haben sich dadurch selbst geschadet. Zum manifest gewordenen Sinneswandel paßt die Kür von unbelasteten Persönlichkeiten als Sprecher, die eine Diskussionsfähigkeit glaubwürdig vertreten können.

Die Delegierten waren es leid, sich von Ditfurth oder Ebermann erzählen zu lassen, daß ihre Linie gut und die Partei schlecht sei. Sich beständig beschimpfen zu lassen, hat selbst bei der schier unbegrenzten Leidensfähigkeit der Grünen ihre Grenzen. Die Macht, die Felder zu bestimmen, auf dem grüner Streit stattzufinden habe und diesen zu dominieren, haben die abgenützten Führerfiguren verloren. Der Sturz von Karlsruhe hat wie eine Befreiung auf die Mitglieder gewirkt. Die Folgen wurden nun in Duisburg manifest.

Das ist es nicht allein. Fundamentalökologen und Ökosozialisten haben dabei versagt, Antworten anzubieten für den gewachsenenen Realitätsdruck auf die Grünen, auf die überraschenden Möglichkeiten in Berlin und die näher kommende Bundestagswahl. Ihr ideologisches Werkzeug für die Bewältigung der Wirklichkeit hat sich als zu sperrig und ungeeignet erwiesen; ihre richtigen Fragen entwickeln dadurch keine Hebelwirkung mehr. Es zeugt freilich auch von der Souveränität der Delegierten, daß sie nicht mit fliegenden Fahnen ins Lager der Realos übergingen, auch wenn die „Linken“ das nicht wahrhaben wollen: die Zeit der allzu schlichten Wahrheiten ist für beide Seiten zu Ende. Auch das ist eine Lehre aus dem Berliner Schnellkurs in Sachen pragmatischer Politik.

Gerd Nowakowski