Keine Lust auf Querschüsse

Aufgefordert, der AL für die Verhandlungen mit der SPD den Rücken zu stärken, reagierten die Delegierten mit anhaltendem rhythmischen Geklatsche, so daß man sich auf einen DKP-Parteitag versetzt fühlte. Draußen vor der Saaltür wurde diese überraschende Einmütigkeit anders aufgenommen. Wenn es noch einen Grund benötige, nicht anzutreten zur Vorstandswahl, dann sei es dieser Beifall, meinte der Hamburger Ökosozialist Thomas Ebermann, und Rainer Trampert stimmte ihm zu.

Mit einer ungemein geschickten Rede hatte der Berliner Rechtsanwalt und AL-Unterhändler Christian Ströbele gerade den gesamten Parteitag auf seine Seite gebracht und es gar erreicht, daß die Delegierten auf jede Aussprache zum Thema rot-grüne Koalition verzichteten. Das Thema Berlin, das den Parteitag überschattete und in fast allen Randgesprächen das beherrschende Thema darstellte, war in 40 Minuten vorbei.

„Wir haben uns nicht über den Tisch ziehen lassen“, hatte Ströbele erklärt, um dann in taktisch kluger Weise selbst all die kritischen Punkte aufzuzählen, an denen sich die Kritiker sonst gewetzt hätten. Man sei aus den Verhandlungen „deprimiert und ziemlich fertig rausgegangen“, bilanzierte Ströbele einen SPD-Rückzug von bereits fest vereinbarten Positionen zwischen den Partnern.

Die SPD habe sogar Forderungen ihres eigenen Wahlprogramms über Bord geworfen, wie mehr Geld für Sozialhilfeempfänger, die Auflösung der freiwilligen Polizeireserve und dem Abbau des aufgeblähten Polizeiapparats.

Irgendwann sei Schluß und die Opposition die Alternative, verdeutlichte Ströbele die Entschlossenheit, über die Koalitionsabsichten nicht die eigene Identität zu verlieren.

Doch sofort fragte er nach den Konsequenzen: ob man dies den vor der Abschiebung stehenden Flüchtlingen, den Gefangenen im Hochsicherheitstrakt, den Frauen ohne Kita -Plätzen und all denen verständlich machen könne, die auf die Regierungsbeteiligung der AL ihre Hoffnung setzten.

Die Alternativen hätten die Pflicht, alles zu tun, um diese Menschen nicht zu enttäuschen. Christian Ströbele verteidigte, immer wieder von heftigem Beifall begleitet, die „Jahrhundertchance“, die sich aus der „einmaligen Konstellation“ in Berlin ergeben habe, „auch wenn wir wissen, daß wir keine revolutionären Veränderungen erreichen können“.

Eine kritische Diskussion zu unterbinden, die die Verhandlungsposition der AL gegenüber der SPD schwächt, hatten die Berliner Delegierten sich vorgenommen - daß die Zustimmung so hageldick ausfiel, hatten freilich die wenigsten erwartet.

„Respektiert die Autonomie der AL“, forderte Ströbele mit Blick auf linke Querschüsse und erntete demonstrativen Beifall. Er verurteilte zugleich und heftig Schily, der dem politischen Gegner Ratschläge gebe, „wie er uns kleinmachen und uns den Rücken brechen soll“. Ein Ausschluß Schilys aber halte er für falsch - „das gehlört nicht zu unserem Stil“. Die Partei solle aufhören mit den Flügelkämpfen, plädierte Ströbele, sondern „im Bund für eine ähnliche Konstellation wie in Berlin kämpfen“.

Den Überdruß an alten Feindschablonen, der unter den Delegierten präsent war, drückte Ströbele aus. Es gab nach seiner Rede nichts mehr zu sagen, und Jutta Ditfurth, die in ihrem Rechenschaftsbericht auf Berlin einging, erntete nur Unmut. Ströbele habe eine „demagogische Rede“ gehalten, befand sie - nicht zu Unrecht, sofern sie dessen rhetorische Meisterleistung meinte. Der Vorwurf wirkte dennoch hilflos. Die Delegierten wollten von ihr nicht hören, daß der „Preis für die Zugeständnisse zu hoch ist“. So blieben die Kritiker bei den Linken unter sich.

Ströbele, der selbst den Linken zugerechnet wird, habe „eine umgekehrte Paulus-Rede“ gehalten, meinte einer hinweg vom Zustand der Erkenntnis. Und eine ehemalige Berliner Bundestagsabgeordnete schüttelte nur den Kopf und erklärte, sie wisse nicht, was mit Ströbele passiert sei.

Gerd Nowakowski