Zwischen Aufbruch und Verbitterung

■ Die Grünen wählten auf ihrem Parteitag einen neuen Vorstand und stärkten der Berliner AL den Rücken

Neue Töne beim Parteitag der Grünen in Duisburg: Jutta Ditfurth erhielt für ihre schneidende Kritik an der Partei eher höflichen Applaus. Um so mehr Beifall gab es dagegen für den Kurs der Berliner Alternativen Liste, und die Delegierten begnügten sich sogar mit einem 40minütigen Bericht von Christian Ströbele. Bei den Vorstandswahlen übten sich die Delegierten im Strömungsproporz. Aber beim Thema Hungerstreik setzte sich die Partei von „originären Forderungen der Gefangenen“ ab.

Von dieser Partei nehme sie keine Blumen, giftete Regina Michalek und wies das Bouquet als Dank für geleistete Arbeit im Bundesvorstand zurück. Anne Schulz und Jutta Ditfurth, ebenfalls auf dem letzten Parteitag in Karlsruhe gestürzt, taten es ihr gleich und dokumentierten damit ihre Verbitterung.

Wenig später zog dann Manon Tuckfeld, enge Ditfurth -Mitstreiterin, ihre Kandiatur für den Bundesvorstand zurück. Sie sehe keine Mehrheit für eine fundamentalistische Politik in der Partei. Es überraschte die Delegierten nicht. Gerade in der Aussprache über den Rechenschaftsbericht des in Karlsruhe abgesetzten Bundesvorstands zeigte sich, welche Veränderung in der Bewußtseinslage sich in den letzten Monaten vollzogen hat. Zwar lauschten die 600 VertreterInnen in der Duisburger Rhein-Ruhr-Halle mit großer Aufmerksamkeit der schneidenden Bilanz Ditfurths über die Rechtsentwicklung der Partei; dennoch trug dies nostalgische Züge einer abgeschlossenen Episode. Ein Hinweis dafür war der Finanzbericht, den keiner der Delegierten im Saal überhaupt diskutiert haben wollte. Dabei war der undurchsichtige Umgang mit den Finanzen des Hauses Wittgenstein doch vor vier Monaten noch der Sargnagel des Ditfurth-Vorstands.

Hier will keiner debattieren, sondern nur schnell einen neuen Vorstand haben, rief Regina Michalek empört aus, nachdem der Rechenschaftsbericht bemerkenswert lustlos diskutiert wurde. Widerspruch erntete sie nicht.

Die Gewichte in der Partei haben sich insbesondere seit der Berliner Wahl, die unversehens die rot-grüne Option wieder auf die Tagesordnung hievte, völlig verändert. Und daß es nun ausgerechnet die Berliner Alternative Liste ist, die als linker Landesverband den langen Weg zur Regierungsmitverantwortung im Schnellgang bewältigt, hat der festgefahrenen Blocklogik der Partei einen entscheidenden Knacks versetzt. Symbolfiguren verlieren da ihren Wert - auf beiden Seiten der obsolet gewordenen parteiinternen Barrikade. Da kann sich in der einen Ecke des öden Rings der Riesenhalle Jutta Ditfurth dem Pulk der Kameras stellen und Schelte auf die Berliner häufen, und in der anderen Ecke können sich gleichzeitig Otto Schily und Joschka Fischer mit eitler Selbstgefälligkeit den 'Bild'-Reportern auf fotografierfreundlich plazierten Stühlen den Bildreportern darbieten - die Matadoren im Ring sind sie nicht mehr, die Mitglieder haben sich die Partei wieder angeeignet.

Ohne Begeisterung hatten die Delegierten am Freitag abend ihre Arbeit begonnen. Die Listenbesetzung der Europaparlamentarier - auf dem Karlsruher Parteitag lediglich begonnen - erfolgt ohne Strömungsarithmetik. Die ehemalige Vorständlerin und Reala Eva Quistorp erhält das beste Ergebnis, doch offenkundig wegen ihrer Friedens- und Frauenarbeit. Entschiedene Flügelexponenten wie der Fundi Jan Kunert fallen ganz raus oder landen wie der Realo Wolfgang Ehmke auf aussichtslosem Platz. Über das leidige Thema der nicht abgeführten Diäten einiger Bundestagsabgeordenter - inzwischen auf eine Million Mark aufgelaufen - wollen die Delegierten zur Verzweiflung vor allem einiger Hamburger Fundis nicht debattieren - um dann gleich ein verschärftes Verfahren zu beschließen: eine Diätenkommission soll das Fehlverhalten der Abgeordneten prüfen und nötigenfalls für Rücktritte sorgen.

Der pragmatische Optimismus, der der Partei wieder zugeflossen ist, ist zu spüren. An programmatischer Diskussion - ohnehin nicht Anliegen des Duisburger Treffens

-gibt es wenig Interesse. Die Partei müsse liegengebliebenes erledigen und aufräumen, wird in Gesprächen ausgedrückt. Tagesordnungsballast wird kurzerhand nach hinten verlagert, damit Raum für eine Berlin-Debatte geschaffen und der Vorstand bereits Samstag abend gewählt werden kann.

Nach dem ersten Höhepunkt des Parteitags, dem Monolog von Christian Ströbele zum Thema Berlin, müssen die Delegierten um Ditfurth, Ebermann und Trampert konsterniert die überwältigende Unterstützung für den Berliner Kurs hinnehmen. Danach scheint alles gelaufen. Jutta Ditfurths bitterer Generalabrechnung mit der Rechtsentwicklung der Partei wird aufmerksam gelauscht, aber der Beifall bleibt zurückhaltend. Ditfurth konstatiert eine als „Harmoniesuche verklärte Entpolitisierung der Partei und die Delegation der strategischen Auseinandersetzung an selbsternannte Führer“. Sie geißelt eine von den Realos zu verantwortende „gezielte Zerstörung gesellschaftsverändernder Kraft“ der Grünen: „Der Orden für „politische Reife wird verteilt für Flexibilität ohne jedes Rückgrat“. Dadurch habe die Partei „politisches Terrain verloren„; statt an der grundsätzlichen Veränderung der Gesellschaft festzuhalten, werde die Entpolitisierung durch die Urabstimmung weiter fortgesetzt. Sie halte die „Anpassungstendenz im Kern für unumkehrbar“, spricht sie ihr bitteres Verdikt. In vielen Einzelbeispielen versucht sie die vierjährige Kampagne gegen sich nachzuzeichnen. Angesichts der gegenwärtigen Veränderungen gleicht es einer Zeitreise in schmuddlige Regionen, die die Delegierten so schnell wie möglich vergessen wollten. Etliches an ihrer Darstellung bleibe arg einseitig und geschichtsverfälschend, werden ihr später Delegierte vorhalten. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus finde nicht mehr statt, fährt sie fort, die Grünen „doktern nur noch herum“ und hätten die „Reparaturposition“ der Gesellschaft übernommen. Zum Problem Wittgenstein sagt sie nichts.

„Viele Gründe sprechen dafür, die Partei zu verlassen“, endet sie: weil die „Auseinandersetzung aber noch nicht ausgestanden“ ist, will sie noch bis zur Bundestagswahl 1990 weiterkämpfen. Aber der Abschied komme „spätestens, wenn eine Koalition auf Bundesebene vollzogen wird“. „Insofern“, sagt Ditfurth, sei dies „eine Abschiedsrede, aber ich sage auch auf Wiedersehen.“ Dann gibt es viel Beifall; aber es scheint, als sei es mehr als Dank für geleistete Arbeit gemeint denn als Zustimmung.

Und während die Vertreter der Fundamentalökologen und Linken in der Aussprache deutlich aus der Defensive agieren, sich verteidigen, hat Joschka Fischer wieder einmal die Stimmung erkannt. Er sagt kein Wort über Vergangenes. „Aufwachen“ und die Chancen wahrnehmen bei den kommenden Wahlkämpfen, fordert er stattdessen.

Drei Stunden später aber ist die Stimmung wieder gekippt. Die Realos, die noch vor einem halben Jahr aus Verzweiflung über ihre Randposition am liebsten die Partei verlassen hätten, können zwar über die Wahl von Ruth Hammerbacher als erste Sprecherin frohlocken. Doch die Delegierten wählen dann statt der von den Realos und Teilen der „Aufbruch„ -Gruppe unterstützten niedersächsischen Hochschullehrerin Renate Damus - die sich selbst dem undogmatischen „Linken Forum“ zurechnet - die Bundestagsabgeordnete Verena Krieger. Das, obwohl Verena Krieger sich zuvor mehr als eindeutig gegen die Berliner Verhandlungsergebnisse bei den Essentials ausgesprochen hatte. Spielte eine Rolle, daß sie so deutlich ihren Verzicht auf das Bundestagsmandat einbrachte und dies als Rückkehr an die Basis wertete? War es das tiefverwurzelte kollektive Ausgleichsgefühl der Grünen, nun gerade die zu wählen, die am verlieren sind? Und als Ralf Fücks vom „Aufbruch“ mit großer Mehrheit im ersten Wahlgang durchkommt, ist der Strömungsproporz perfekt gelungen. Ihm unterliegt der Hamburger Linke Jürgen Reents, der in seiner Vorstellung gegen die Urabstimmung auftrat und „Harmonielehre für ein musikalisches, nicht für ein politisches Konzept“ hält.

Gerd Nowakowski