Grüner Neuanfang mit Strömungsproporz

Bundesversammlung der Grünen in Duisburg wählt neuen Vorstand Ausgewogenheit auf allen Ebenen / Bundesgrüne unterstützen Berliner AL  ■  Aus Duisburg Gerd Nowakowski

Nach einem Jahr erbitterter Flügelkämpfe versuchen es die Grünen nun mit Ausgewogenheit. Bei der Wahl der drei Vorstandssprecher bei der Bundesversammlung in Duisburg gab es mit der Vertreterin der realpolitisch orientierten Strömung, Ruth Hammerbacher, dem „Aufbruch„-Repräsentanten Ralf Fücks und der dem „Linken Forum“ und den Ökosozialisten nahestehenden Verena Krieger einen Strömungsproporz. Das Bundestagsmandat, das Verena Krieger niederlegt, erhält als Nachrücker Manfred Such, der Vorsitzende der Vereinigung „Kritische Polizisten“. Die Berliner Koalitionsverhandlungen und die Besetzung des Bundesvorstands und der Europawahlliste standen in Duisburg von Freitag bis Sonntag auf dem Programm.

Mit einer ausgezeichneten und taktisch geschickten Rede hatte der Berliner AL-Vertreter Christian Ströbele am Samstag nachmittag die nachdrückliche Unterstützung der Partei für die Koalitionsverhandlungen mit der SPD gesichert. Ströbele zeichnete ein pessimistisches Bild der Verhandlungen. Für die AL stelle sich die Frage, ob sie sich „alles gefallen lassen müsse“. „Irgendwo ist Schluß, da gehen wir in die Opposition“, rief Ströbele. Angesichts der Gruppen aber, die alle ihre Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung der Alternativen setzten, müsse die AL die „Jahrhundertchance“ nutzen, auch wenn klar sei, „daß wir keine revolutionäre Veränderung erzielen können“. Ströbele forderte, die Grünen sollten die „Autonomie“ der AL für die Verhandlungen respektieren und sich nicht einmischen. Er forderte, auch im Bundesgebiet die „Signale“ für eine rot -grüne Zusammenarbeit zu setzen.

Die auf dem letzten Parteitag als Sprecherin abgewählte Fundamentalökologin Jutta Ditfurth hielt am Samstag in ihrem Rechenschaftsbericht eine bittere Generalabrechnung. Ihrer Meinung nach ist die Rechtsentwicklung und Entpolitisierung der Partei kaum umkehrbar. Die Schuld für diese Entwicklung gab sie den Realos. Sie kündigte in ihrer „Abschiedsrede“ ihren Parteiaustritt an, falls es nach der Bundestagswahl 1990 eine rot-grüne Koalition geben werde.

Neben den drei Sprechern wurde als Schriftführerin Renate Damus gewählt, die ebenso wie der neue Schatzmeister Axel Vogel war Mitglied des nach Karlsruhe eingesetzten Interimsvorstand war. Als die drei weiblichen BeisitzerInnen wurden Martha Rosenkranz (Bundesarbeitsgemeinschaft der Frauen), Gisela Wülffing (Reala) und Benita Schulz (Linkes Forum) gewählt. Hinzu kommen Jürgen Reents (Linkes Forum), Norbert Mann (Realo) und Jürgen Maier.

Unterstützer des RAF-Hungerstreiks besetzten am Sonntag kurzzeitig das Podium. Als sie eine Hungerstreikerklärung verlesen wollten, kam es zu teilweise lautstarken Protesten, vornehmlich aus Realo-kreisen. Der Parteitag hatte sich zuvor schwer getan mit diesem Thema und mehrfach hinter den Parteitagskulissen Verhandlungen um ein Kompromißpapier geführt. Die hessischen Grünen hatten sich ausdrücklich von der derzeitigen Besetzung ihres Frankfurter Büros distanziert. In einer Kompromißfassung beschloß der Parteitag, der Hungerstreik werde von den Grünen „nicht als eine Fortsetzung der von uns abgelehnten RAF-Politik mit anderen Mitteln“ begriffen. Für die RAF-Gefangenen wird die „Zusammenlegung im Normalvollzug“ und das „Zusammenkommen in Gruppen“ verlangt.

In Berlin kamen gestern SPD und Grüne wieder zusammen, um über die entscheidenen Programmpunkte zu diskutieren. Man wolle tagen, „bis weißer Rauch aufsteigt“, hieß es in Anspielung auf das Zeichen für eine abgeschlossene Papstwahl. Nachdem AL und SPD Ende vergangener Woche nach den Worten des Berliner SPD-Vorsitzenden Walter Momper in über 90 Prozent der Themen Einigkeit erzielt haben, werden nun die umstrittenen Punkte wie Verfassungschutz und Polizei behandelt. Die AL fordert unter anderem die eindeutige Festlegung, in welchen Bereichen und wann der Verfassungsschutz personenbezogen ermitteln und nachrichtendienstliche Mittel einsetzen darf.

Geeinigt hat man sich gestern bereits darauf, daß der öffentliche Nahverkehr in Berlin unter einem rot-grünen Senat absoluten Vorrang vor dem Individualverkehr haben soll. Sämtliche Pläne für neue Schnellstraßen und Autobahnen in der Stadt sollen zugunsten eines raschen Ausbaus der S und U-Bahnen aufgegeben werden. Tagesthema Seite 3

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