piwik no script img

Bremens größte Natur-Baustelle

■ Aus der kanalisierten Ochtum wird mit der Umlegung eine feuchte Flußlandschaft / Mäander, Inseln, Altarme neu gebaggert Wasserfläche wird auf das Elffache vergrößert / Umleitung für Motorboote / Informationscontainer direkt an der Baustelle

„Wird hier der neue Flugplatz gebaut?“ Der schlaksige Fahrradfahrer blickt besorgt auf die Bagger, Raupen und Laster, die mitten im Grolländer Grün das Unterste zu oberst kehren. „Ich bin gerade erst hergezogen, aber wenn das stimmt, dann wohn‘ ich hier nicht lange“, sagt der Radler. Ein paar Meter weiter könnte er sich beruhigen lassen. Dort leuchtet seit gestern - direkt an der Hochstraße nach Delmenhorst neben dem „Grolländer Hof“ - ein orangener Informationscontainer. „Hier entsteht eine intakte Flußlandschaft, wie

sie noch vor 100 Jahren unsere norddeutsche Tiefebene geprägt hat“, ist dort zu erfahren.

Tatsächlich bringt - wenn man den Plänen glauben darf - die Verlegung der Ochtum großen ökologischen Gewinn. 23.000 Quadratmeter Flußlauf werden zugeschüttet, um am Ende der Flughafen-Landebahn den vorgeschriebenen Sicherheitsbereich zu schaffen. Gleichzeitig entstehen ein paar hundert Meter weiter westlich 273.000 Quadratmeter neue Wasserflächen elf mal mehr als vorher.

„Das erste Stück direkt am

Flughafenzaun wird ziemlich gerade, um die Gefahr von Vogelschlag zu verringern“, erläutert der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes, Bücken, bei der Einweihung des Informationscontainers, „doch weiter hinten entstehen Inseln, Halbinseln und Altarme. Überall wird es unterschiedliche Wassertiefen und Strömungen geben - ein idealer Lebensraum für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten.“ Die Deiche auf beiden Seiten der „neuen“ Ochtum werden weit auseinanderliegen, um Platz für Feuchtgebiete und Überschwem

mungen zu machen. Der Grundwasserspiegel wird erhöht, Schilf - und Schwimmblattpflanzen können sich an den flachen Flußrändern ausbreiten.

Für den Motorbootverkehr wird eine Umleitung gebaut, um das mäandrierende neue Flüßchen vor Lärm zu schützen. Schilf, das bislang an der Ochtum wächst, wird dies auch in Zukunft tun: Die Pflanzen werden seit gestern ausgegraben und vorsichtig an den neuen Flußlauf umgesetzt.

„Die Verlegung der Ochtum dar als die mit Abstand größte Renaturierungsmaßnahme eines

Fließgewässers in Bremen und der weiteren Umgebung bezeichnet werden“, heißt es im Imformationscontainer. „Unter dem Aspekt des Naturschutzes ist die Ochtumverlegung ein Gewinn“, hatte auch der Gesamtverband Natur und Umweltschutz Unterweser (GNUU) erkannt und auf eine Klage gegen die Planfeststellung verzichtet.

Trotzdem waren die Proteste gegen die Verlegung des kleinen Flusses in den 70er Jahren nicht umsonst. Hätten die Bauarbeiten zwanzig Jahre früher begonnen - statt des Biotops wäre aus der Ochtum eine schnurgerade Motorboot -Rennstrecke geworden. Im Informationscontainer sind die alten Planungen aus den Jahren 1965 bis 74 zu besichtigen. Danach wäre die Ochtum heute nichts als ein betonierter Kanal, auf beiden Seiten eingefaßt von Auto- und Eisenbahn.

Ein natürlicher Flußlauf ist auch die „alte“ Ochtum nicht. Schon in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde sie an vielen Stellen ausgebaggert, begradigt und mit langen Deichen eingefaßt. Die ursprünglichen Alt

arme und Überschwemmungs gebiete verschwanden, um dem Ortsteil Grolland und dem Gewerbegebiet Ochtum Platz zu machen. Als 1919 das Bremer Flugfeld eröffnet wurde, war die Ochtum schon ein künstlicher Kanal.

Fast 100 Jahre hat es gedauert, bis „Natur“ in den Bauplanungen zum positiven Begriff geworden ist. Der schlaksige Radler im Grolländer Grün kann sich freuen. Die schweren Bagger und Raupen wühlen die Erde hin und her, damit aus ihr heute wieder ein bißchen mehr das wird, was sie mal gewesen ist: Flußlandschaft. Die Beton-Pläne der 80er Jahre toben sich jenseits des „alten“ Ochtumdeichs aus

-an der Verlängerung der Flughafen-Piste.

Dirk Asendorpf

Der Informationscontainer an der B 75 ist werktags von 8:00 bis 19:00 Uhr und Samstags von 8:00 bis 16:00 Uhr geöffnet. An jedem ersten Mittwoch im Monat finden um 16 Uhr sachkundige Führungen statt (zum ersten Mal am 8.3.). Um Anmeldung wird gebeten - entweder bei der Bauleitung neben dem Container oder unter Tel. 397-9968 oder 397-9494.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen