Esoterik-betr.: Esoterik-Seiten, taz vom 25.2.89

betr.: Esoterik-Seiten,

taz vom 25.2.89

(...) Wenn Eure Beiträge quer durch den esoterischen Gemüsegarten gehen, nach dem Motto ein bißchen Geister, etwas Reinkarnation, Indianerkultur und noch was über Wahrsager, dann habt ihr nicht nur eine Chance verpaßt, über so'n Zeug eine Diskussion zu beginnen, sondern Ihr macht Euch auch zum Instrumentarium niederer kapitalistischer Interessen.

Warum ist für Indianer Spiritualität und Ökologie dasselbe, während wir einen ökologischen Umbau ohne das Wort Gott entwerfen. Was haben Jesus, Marx und die Ufos gemeinsam? Warum stellt Ihr keine Fragen und warum ist die Feststellung, daß wir momentan die Sehnsucht nach Spiritualität genauso unterdrücken, wie früher Sexualität unterdrückt wurde, nur einen Satz wert?

Dieser Planet wird gerade von uns fertig gemacht, weil wir immer alles trennen. Wir trennen uns vom Rest der Welt, so wie Ihr die Eso-taz vom der Polit-taz trennt. Alles ist eins. Diese Erkenntnis findet sich in allen Kulturen dieser Welt. Die Trennung zwischen innen und außen ist genauso eine Täuschung, wie die Trennung zwischen zwei Menschen, die voller Vehemenz unterschiedliche politische Ansichten vertreten. Alles ist mit allem verbunden.

Es gibt eine Menge zu tun, bis die Erde wieder gesund ist und bis die Menschen von Hunger, Unterdrückung, Folter, Gefangenschaft, Krankheit und Angst befreit sind. Der Weg dahin schließt ein, daß wir alle unser Bewußtsein unendlich erweitern. Was auch immer dies bedeuten mag, es heißt auf alle Fälle, daß wir neue, fremde Gedanken zulassen. (...)

Lutz, Berlin 30

Wenn es wahr ist, daß der äußere Zustand einer Gesellschaft dem inneren Zustand der Menschen, aus denen sie besteht, weitgehend entspricht, dann müssen wir doch Erich Fromm recht geben, wenn er feststellt: Die Voraussetzungen für das Entstehen einer neuen Gesellschaft sind neue seelische Grundlagen.

Und wie sieht es mit den alten aus, was ist heute unser innerer Zustand? In den westlichen wie in den östlichen Industriestaaten hat sich ein Materialismus breitgemacht, der millionenfach zum gleichen Lebensziel führt: zur Jagd nach dem Glück per Konsum. Der goldene Gott, um den sich alles dreht, heißt „Steigerung des Wohlstandes/Sozialprodukts/Profits“. Frust, Unersättlichkeit, Verzweiflung sind bekannte Folgen dieser inneren Haltung, genau wie die Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt und der Massenkonsum, mit dem wir unser Biotop ruinieren.

Wenn wir von der Haltung des „Immer-mehr-haben-Wollens“ wegkommen wollen hin zu immer mehr „Sein“, wie es Fromm so gut beschrieben hat, wenn wir diese Haltung, dieses Lebensziel als seelische Grundlage einer neuen Gesellschaft als erstrebenswert halten, dann wird eine neue Spiritualität das wichtigste Thema überhaupt.

So gesehen, hat die taz mit den sechs Eso-Seiten bedauerlich viel Papier, Mühe und Zeit verschwendet. Die armen Irren, denen Ihr mokant den Spiegel voller spiritistischem Quatsch und okkultem Aberglauben vorhaltet, die lesen doch Euer Blatt kaum. Und für Marxisten, Anarchisten, Existenzialisten, Aufgeklärte usw., die zu Euren Lesern zählen, hättet Ihr das Thema wirklich intelligenter aufgreifen können. Schließlich haben sich die Konsequenzen aktueller naturwissenschaftlicher Entdeckungen für unser Weltbild weder genug herumgesprochen, noch sind sie schon angemessen in Philosophie und religöses Denken eingeflossen. (...)

Es gibt doch bereits einige Stellungnahmen bedeutender Philosophen, Theologen, aber gerade auch Physiker, die einen Blick über die Physik hinauswagen, weil hier nur noch die Metaphysik mehr Erkenntnis bringen kann. (...)

Theo Krönert, Stuttgart 1

Da schlagen sie wieder um sich, die Kinder der reizüberfluteten Fernsehgeneration mit ihrer Flimmerphilosophie Esoterik. Fängt man beim Musterphilosophen Heidegger an, tut sich logischerweise folgendes auf: Die Überwindung des Widerspruches von äußerer und innerer Wirklichkeit ist das Modethema schlechthin. Aus dem Ansatz Heideggers läßt sich der selbstbestimmende Existenzialismus Sartres ebenso wie der fremdbestimmende Nazismus Hitlers ableiten. Existenzialismus als in sich immer fortschreitendes Sein (und Dasein), Nazismus als die endlich bewegungsfreie, statische Starrheit des Bürgers.

Was geschieht denn da in der Esoterik? Da wird das Deckmäntelchen linksalternativer Selbsterfahrung über ein ebenso statisches Gemisch von Religion und Psychologie gestülpt, das die Widersprüchlichkeit des Lebens im Spätkapitalismus, im reizüberflutenden Medien- und Konsumzeitalter in einem System von freiwillig akzeptierter Fremdbestimmung aufzuheben versucht.

Nur ist nicht Statik das natürliche Merkmal einer sozio -kulturellen Gesellschaft, sondern die immer weiterlaufende Bewegung und Auseinandersetzung mit inneren Widersprüchen, aus der alleine selbstbestimmte und freie Menschen hervorgehen können.

Trotz allem kann man der Esoterik ein realsatirisches Moment nicht absprechen. Da entdeckt die Linke für sich genau jenes rettende Gedankensystem, das sie seit 150 Jahren überwunden zu haben so stolz war: nämlich die feuchtwarme Geborgenheit einer (glücklicherweise) letztendlich nicht mehr rational zu erfassenden Mystik. Anders gesagt, geht es hier ja um nichts anderes als die Flucht vor der Erkenntnis, daß rationales Denken kaum auslotbar ist.

Was bleibt, ist ein Rückgriff auf die eigene kulturelle Vergangenheit, eine Anhäufung von unzusammenhängenden Zitaten als Übersprungshandlung. (...)

Markus Jäger, Thomas Frisch, Berlin

betr.: „Nebel der Zukunft“,

taz vom 25.2.89

Der Artikel über Prophezeihungen des Weltgeschehens erscheint beim Durchlesen recht oberflächlich und bringt wenig wirkliche Informationen. Dem Menschen muß zugestanden werden, daß er Einfluß auf seine Entwicklung hat und somit auf das Weltgeschehen. Dies ist wohl ein Grund, warum Prophezeihungen zeitlich nicht festgelegt werden können. Es ist weder so, daß nur schlechte Vorhersagen gemacht wurden, noch daß es wenige Vorhersagen gibt, die eingetroffen sind. Hier eine kleine Auswahl, die der Gegenwart zuzurechnen sind:

Von sehr vielen Sehern sind drastische Klimaveränderungen vorausgesagt worden. So Nostradamus: Im Süden ist man bestürzt über das Umkippen der Luft (Ozonloch?) „Schließlich wird man die Jahreszeiten nicht mehr unterscheiden können.“ Von Wilkerson: Dürreperioden in den USA (die letzten beiden Sommer waren sehr trocken). Weiterhin von Wilkerson: Wissenschaftler werden Schreckliches entdecken (Ozonloch?). Von vielen Sehern wurden vermehrte Naturkatastrophen vorhergesagt, zum Beispiel Erdbeben (in den letzten paar Monaten waren es fünf stärkere Erdbeben) und Überschwemmungen. (...)

Zum Schluß noch vier der sieben Plagen, die in den Offenbarungen des Johannes zu lesen sind:

1. ....da kommen schlimme und bösartige Geschwüre an die Menschen (Hauterkrankungen, Krebs, zunehmend durch Umweltverschmutzung),

2. ...da wurde das Meer wie Leichenblut und alle lebenden Seelen im Meer starben... (siehe Nordsee etc.).

3. ...auch die Flüsse und Wasserquellen wurden zu Blut (Nitrate, Pestizide im Trinkwasser),

4. ...der Sonne wird soviel Kraft verliehen, daß sie die Menschen mit ihrer Feuerglut versengt... (Ozonloch, erhöhte ultraviolette Strahlung).

Ecki Bienia, Tina Ruther

Ein Esoteriker ist laut Duden ein innerlicher Mensch und ein Eingeweihter in eine Geheimlehre. Verbinde ich diese zwei Bedeutungen, so liegt die Lehre im inneren unseres individuellen Selbst. Was immer Eure AutorInnen mit Ihren Artikeln auch erreichen wollten, über Esoterik haben sie nicht berichtet, denn Esoterik beginnt dort, wo objektive Berichterstattung endet.

Mein Empfinden der Esoterik gilt nicht der Suche nach Rechtfertigungen für Zustände und auch nicht dem Glauben an das „Es wird alles wieder gut“. Ich suche eine Möglichkeit, mich mit dieser Welt und mir in ihr zu identifizieren, ohne mich restlos im Kleinkrieg der unüberschaubaren rationalen Realität zu verlieren. Esoterik ist nicht die Antwort, sondern ein möglicher Schritt auf dem Weg zu dieser Antwort.

Stefan Barres, Bonn