Nacht aus Blei

■ Ernst Barlachs Drama „Der tote Tag“ im Schauspielhaus Bochum

Donnergrollen. Trübes Licht. Ein großer Flur wird wahrnehmbar. Schwarz ist der dominierende Ton auf der Bühne: schwarz die große Rückwand und die Mauer auf der linken Seite; schwarz auch rechts hinten die Treppe, die in ihrer Enge unbesteigbar erscheint; von gleicher Farbe das massige drückende Balkengefüge an der Decke. Unter dieser hängt ein Stuhl: Gemütlichkeit ist hier nicht angesagt. Links in der Mitte eine Treppe, deren Ausgang versperrt ist. Der Raum ist ein Verließ, er wird seine Bewohner nicht freigeben.

Ernst Barlachs Erstlingsdrama Der tote Tag (1912) ist ein dunkles Stück - im wahrsten Sinne des Wortes. Sind seine Hieroglyphen entzifferbar? Das Werk besteht aus Wortkaskaden, ist arm an äußerer Handlung, dennoch von zerreißender Spannung. Diese lebt von Andeutungen, Gesten, Symbolen. Barlach stellt höchste Ansprüche an die Konzentration seiner Zuschauer. Auf Gewohntes ist dabei kein Verlaß mehr: da seufzt ein Stein, ein Stock führt einen Menschen, ein Blinder entpuppt sich als Scharfsichtigster, die Sehende aber muß ihren Mitbewohner mit den Händen ertasten. Eine Welt der begrenzten Möglichkeiten! Geister, Gnome, Gespenster gehören ihr an. Einer von diesen kann fliegen, ein anderer ist stumm und vermag die Beine nicht zu heben, doch auch er kann sich lösen und entflieht auf Pferdehufen. Den Menschen hingegen ist die Freiheit nicht gegönnt, sie sind dem Boden verhaftet, sind angekettet.

Ein Mann, ein Göttersohn, wie erkennbar wird, ist der zerrissene, besser: Zerberstende, einer, der abheben möchte, den die irdische Mutter aber als Hätschelsöhnchen zu halten trachtet. Er, den Kindeskleidern längst entwachsen und vom Vater in höhere Sphären berufen, wird in der Enge gehalten, auf die Erde gedrückt. „Mit den Augen lebt er schon in der anderen Welt“, wird diese aber nie erreichen. Das von Gott, seinem Vater, gesandte Roß - Sonnenlicht und Zukunftstraum zugleich - wird von der Mutter gemordet. Die Tür, durch die ein Lichtschein drang, ist zugeschlagen, die Sonne für immer verstellt, fahl lastet ein toter Tag auf der Menschheit. „Die Nacht hat Höhe und Ferne und Raum nach hinten und vorn!“, sie ist wie aus Blei.

Ein „sogenanntes Drama“ nannte Barlach das Stück - im Bewußtsein von dessen Ausgefallenheit, ja Normenwidrigkeit. Und in der Tat stößt das Werk, das nicht nur sprachlich mit der geschmeidigen Griffigkeit etablierter Poesie bricht, den Zuschauer vor den Kopf. Widerborstig stellt es ein liebgewordenes, aber wohl illusionäres Welt- und Menschenbild in Frage. Die bürgerliche Staatsreligion des Fortschrittsglaubens findet sich hier gründlich außer Kraft gesetzt. Der unermüdlich propagierte und zwanghaft adoptierte Optimismus erscheint desavouiert: Der Weg zum Höheren ist vernagelt, nicht der Sonennaufgang, sondern die Nacht triumphiert, die Kellergeister, immer frecher werdend, machen sich breit, Untermenschen sind der Krone der Schöpfung überlegen. Faust wälzt sich in der Blutlache, und das Schlimmste von allem: das Ewig-Weibliche drückt uns in den Dreck. Kein Wunder, daß Barlach notierte: „Etwa zehn Leuten hat der 'T.T.‘ Freude gemacht.“

Ein Wagnis also, vielleicht gar eine Waghalsigkeit, wenn Bochum nun dieses Drama gibt. Das Stück gehört zu den schwierigsten des Autors: Es bietet nicht die handfesten, lebensprallen Figuren und damit dankbaren Rollen manch anderer Barlach-Stücke. Die äußere Buntheit geht ihm gänzlich ab; es ist von vornherein auf die Nuance angelegt.

Der Bochumer Intendant, Frank-Patrick Steckel, der in der Vergangenheit mit zwei Barlach-Inszenierungen von sich reden machte, überließ den Toten Tag der Regie Wolf Redls. Redl - auch für's Bühnenbild verantwortlich - nahm deutliche Striche vor, besonders im zweiten Teil. Er vermeidet weitgehend Redundanzen und stutzt auch mythologische Überfrachtung zurück, entlastet das Stück also und schafft größere Straffheit, arbeitet dabei die Psychologie der Figuren heraus. Mehr als einmal erinnert das an Strindberg. Als glücklich erwies sich die Entscheidung, den Gnom Steißbart, der bei Barlach unsichtbar und nur als Stimme existent ist, leibhaftig auftreten zu lassen: Peter Luppe, der eine anfängliche Beklommenheit überwinden konnte und sich zusends freispielte, verlieh der Aufführung Dynamik, auch Ekken und Kanten. Von diesen hätte man sich allerdings mehr gewünscht. Redl, auf Psychologie setzend, tendierte zum Hamonisieren, er ließ zu dezent spielen, daher entging er der Gefahr der Eintönigkeit nicht immer. Zwar gab es glänzende Einfälle wie den Auftritt des Steckenpferd reitenden Sohnes: der der Hoffnung auf eigenes Leben Beraubte wird - seine verstellten Möglichkeiten parodierend

-zum spielenden Kind. Sollche Dichte erreichte die Inszenierung aber nur selten.

Der tote Tag besteht aus Extremen, ist ein Stück voller Überspanntheiten - sollte sich da eine Aufführung nicht zu diesen bekennen und sie auf die Bühne bringen? Das Herausarbeiten harter Konturen, ein Betonen der Kontraste, die gewollte Grellheit der Übersteigerung wären dem Koloß von Stück möglicherweise eher gerecht geworden als die geübte Zurückhaltung. So wirkte es kammerspielhaft - und mitunter statuarisch. (Deutlich erkennbar wurden verschiedene Positonen der Barlachschen Graphiken zu diesem Drama nachgebildet.)

Trotzdem, die Inszenierung ist sehenswert. Sie ist darüberhinaus geeignet, die Diskussion um die schwierige Aufgabe, Barlach auf die Bühne zu bringen, weiterzutreiben. Zu wünschen wären weitere Anläufe: Die in diesem Werk steckenden theatralischen Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft.

Ulrich Bubrowski.

Die nächsten Aufführungen finden am 6. und 13.März statt.