„Demokratie als Putzfrau“

■ Die Vergangenheitsbewältigung kostet die KPdSU Mitglieder

Moskau/Berlin (ap/taz) - Der Elektriker Sergej Tschapajew aus Gorno-Altai in Sibirien gibt sein Parteibuch nach 19 Jahren in der KPdSU zurück: „Mein Leben erscheint wertlos. Jetzt liegt alles in Schutt und Asche, und nichts ist geblieben. Stalin, Molotow, Woroschilow ... Wir haben früher Balladen über sie gesungen. Wir haben mehr an sie geglaubt als an uns selbst.“ Aus, vorbei. Einer von vielen, die durch die neue Sicht der Dinge zwar ein Bild von Stalins Verbrechen gewonnen, aber eine Welt verloren haben. Die 'Prawda‘ vom Samstag zitiert einen Lehrer: „Ich kann nicht Mitglied einer Partei bleiben, die Breschnew, Kunajew, die Nasriddinowa (zwei der Korruption angeklagte Funktionäre aus Usbekistan, d.Red.) und anderen Abschaum in ihren Reihen hatte.“

Ausgelöst durch den Wahlkampf für den Volksdeputiertenrat geht es immer mehr ans Eingemachte der KPdSU. In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift 'Nowy Mir‘ fordert der Publizist Igor Kljakin „den Abriß des gesamten Wertesystems der kriegs-kommunistischen Ideologie“, worunter auch die Aufgabe des „Ideals der Gleichheit“ zugunsten des „Ideals der individuellen Selbstverwirklichung“ gehöre. Das Prinzip der Gleichheit habe „nicht zum Sieg der allgemeinen Liebe, sondern zur Kasernierung, zur Gleichmacherei, zur allgemeinen Nivellierung und zur Eskalation des Hasses geführt.“ In seinem Beitrag, von dem sich die Redaktion des 'Nowy Mir‘ ausdrücklich distanzierte, greift er auch Gottvater Lenin an: „Ich glaube, daß sein Beweggrund nicht die Idee der Demokratie war, wie viele heute meinen, sondern die Idee der Einheit, der Gedanke an die Verhinderung einer Spaltung unter den Führern.“ Pluralismus und Einheit in der Partei vertrügen sich auch heute noch, so schreibt Kljamkin, „nur so lange, wie die Demokratie bei der Einheit die Rolle einer Putzfrau spielt, die den Dreck aufräumen muß.“ Auch unter Gorbatschow habe das Prinzip der Einheit gesiegt, noch immer habe eine Organisation „das absolute Monopol auf Macht und Information“. Der Sturz des Reformers Boris Jelzin wird als Beispiel für die fehlende Demokratie genannt.

Jelzin ließ sich unterdessen von seinen Anhängern feiern. Im Gorki-Park rief er am Samstag abend vor 2.000 Zuhörern dazu auf, einen neuen Jugendverband als Alternative zum Komsomol zu gründen. Wie die exilrussische Zeitung 'Russkaja Mysl‘ in ihrer Ausgabe vom 3.März schreibt, hat sich Ende Februar eine Initiativgruppe „Partei der Grünen der UdSSR“ vorgestellt, die in Kürze die Parteigründung bekanntgeben werde.

smo