: Schewardnadse antwortet der Nato
Der sowjetische Außenminister stellte in Wien die Position der Staaten des Warschauer Pakts zu den „Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa“ vor / Der Ostblock will im Anschluß auch atomare Kurzstreckenraketen einbeziehen ■ Aus Wien Andreas Zumach
In seiner Rede vor den Außenministern der 35 KSZE-Staaten stellte der sowjetische Außenminister Schewardnadse gestern in Wien die Eingangsposition der sieben Warschauer Vertragsstaaten für die am Donnerstag beginnenden „Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa“ (VKSE) vor. Sie unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von dem bereits am Wochenende bekanntgewordenen, allerdings gestern in einem wichtigen Teil veränderten Nato -Vorschlag (siehe gestrige taz).
Schewardnadse bestand auf der Einbeziehung von Kampfflugzeugen und -hubschraubern von Beginn der Verhandlungen an. Sie gehörten ebenso zur „Kategorie destabilisierender Waffen“, die „für einen Überraschungsangriff benutzt werden“ könnten, wie Kampfpanzer, Artilleriegeschütze und Infanteriefahrzeuge. Während diese WVO-Haltung erwartet wurde, fiel auf, daß Schewardnadse auch ausdrücklich verlangte, „Mehrfachraketenwerfer einzubeziehen“.
Dies zielt offensichtlich auf die zur Zeit in der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Nato-Staaten stationierten Mehrfachraketenwerfersysteme (MARS) ab. Sie sind nur konventionell bestückt, aber auch als Abschußgerät für die atomare Lance-Nachfolgerakete vorgesehen. Schewardnadse forderte, in einer ersten Phase von zwei bis drei Jahren Reduzierungen nicht nur bei den genannten Waffensystemen, sondern - im Unterschied zum Nato-Vorschlag
-auch bei den Truppenzahlen vorzunehmen. Ziel solle es sein, die Obergrenzen auf beiden Seiten um „10-15 Prozent unterhalb des Besitzstandes der in der jeweiligen Kategorie heute schwächeren Seite zu bringen“. Schewardnadse nannte keine absoluten Zahlen. Die WVO-Staaten schlagen vor, „die am meisten destabilisierenden Waffensysteme aus Zonen an der Nahtstelle der beiden Bündnisse ganz oder teilweise abzuziehen sowie Manöver in diesen Regionen einzuschränken“.
Atomare Kurzstreckensysteme sollten aus diesen Gebieten ganz abgezogen werden. Verhandlungen über die „Reduzierung und völlige Eliminierung atomarer Kurzstreckensysteme“, so Schewardnadse, sollten „so bald als möglich aufgenommen werden“. Die Nato lehnt eine Berücksichtigung atomarer Kurzstreckensysteme im Rahmen der VKSE ab, ebenso bislang die Eröffnung einer eigenen Verhandlungsrunde. „Wenn die Pläne der Nato zur Modernisierung dieser Systeme realisiert werden, wird Europa in die Zeit vor dem INF-Vertrag zurückgestoßen“, erklärte Schewardnadse.
In einer zweiten Phase von ebenfalls zwei bis drei Jahren seien die Truppenbestände mitsamt ihrer Bewaffnung um weitere 25 Prozent (ca. 500.000 Soldaten) zu reduzieren und die Streitkräfte auf eine „strikte Verteidigungsfähigkeit umzubauen“. Als Reaktion auf die einseitigen Abrüstungsschritte der WVO-Staaten, die er noch einmal im Einzelnen erläuterte, erwartete der sowjetische Außenminister „mehr als nur einen Chor von Lob und Zustimmung“.
Die vom britischen Außenminister Howe vorgetragene Position der Nato-Staaten entsprach bis auf einen Punkt den bereits bekannten Vorschlägen: Im Verhandlungsgebiet zwischen Atlantik und Ural Reduktion der Kampfpanzer auf 40.000, Artilleriegeschütze auf 33.000 und Infanteriefahrzeuge auf 56.000, von denen jeder Block jeweils 50 Prozent und kein einzelner Staat mehr als 30 Prozent auf seinem Territorium haben soll. Die bislang bekannte Forderung, wonach kein Staat mehr als jeweils 20 Prozent der drei Waffenkategorien außerhalb seines Territoriums stationieren soll (z.B. max. 8.000 der sowjetischen Panzer außerhalb der UDSSR), wurde jedoch durch die Forderung nach Obergrenzen von 3.200 Panzern, 1.700 Artilleriegeschützen und 6.000 Infanteriefahrzeugen ersetzt. Da sämtliche WVO-Waffen in den drei Kategorien sowjetische sind, Nato-Waffen aber u.a. US -amerikanische, bundesdeutsche, britische oder französische, würde eine Umsetzung dieser Forderung de facto östliche Reduzierungen unterhalb der erlaubten 50 Prozent des Gesamtbestandes im Verhandlungsgebiet zwischen Atlantik und Ural verlangen.
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