Der Mummenschanz der Liberalen

■ Wird die FDP morgen geschlossen dem Straftatbestand Vermummung und dem Kronzeugen zustimmen?

Heute wollen sie sich zusammenrotten und sich wappnen, die Freien Demokraten. Auf ihrer Fraktionssitzung sollen sie Zimmermanns Repressionsgesetzen ihren Segen geben und über das Verhalten ihrer Abgeordneten im Bonner Rechtsausschuß entscheiden. Dort wird morgen abschließend über das sogenannte „Artikelgesetz“ zu inneren Sicherheit abgestimmt, über Vermummungsverbot, Vorbeugehaft und Kronzeugenregelung. Dann steht fest, was der Bundestag noch vor Ostern verabschieden wird und was bereits im Sommer auf den Straßen der Republik Gesetz sein soll.

Für jene Minderheit in der Bonner FDP-Fraktion um die Innenpolitiker Baum, Hirsch und Lüder, die das Gesetzespaket immer noch als „Gesinnungs- und Verdachtsstrafrecht“ kritisieren, gibt es heute genug Stoff zur Entrüstung. Denn die jüngsten Änderungen, die die FDP-Rechtspolitiker mit ihren CDU/CSU-Kollegen in den vergangenen Wochen auskungelten, müssen sie nachgerade als Ohrfeige empfinden und die wurde ihnen auch noch öffentlich verabreicht.

Mannheim, im Dezember 1987: Der FDP-Parteitag beschließt, daß die Vermummung künftig eine Straftat sein soll, zu ahnden mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Den zahlreichen Kritikern in der Partei wird der Beschluß mit einem liberalen Bonbon versüßt: Zugleich soll jetzt eine gesetzliche Regelung her, welche polizeilichen Videoaufzeichnungen von Demonstrationen künftig wann vernichtet werden müssen.

Bonn, Ende Februar 1989: Der FDP-Rechtspolitiker Detlef Kleinert legt auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Scharfmachern der Union einen zusätzlich geplanten Paragraphen vor. Filmaufnahmen der Polizei können danach nicht nur „für die Verfolgung einer Straftat“ aufbewahrt werden, sondern ebenso als Präventivmaßnahme, „weil die betroffene Person verdächtig ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben und deshalb zu besorgen ist, daß von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen.“ Die verquaste Formulierung entpuppt sich nach dreimaligem Lesen als Generalvollmacht für eine gigantische Film-Datei: Wenn nur ein Demonstrant sich vielleicht vermummen wollte und dies möglicherweise nicht seine letzte Demo war, kann der Film aufgehoben werden.

Die öffentliche Behauptung Kleinerts, die Fraktionsminderheit stimme diesem Vorschlag und dem Gesetzespaket insgesamt jetzt zu, wurde von den Betroffenen umgehend dementiert. Geeinigt habe man sich, sagt Wolfgang Lüder zur taz, auf einen wesentlich restriktiveren Paragraphen: Vernichtung jedweden Film-Materials, das nicht für ein individuelles Strafverfahren nötig ist; außerdem das Verbot, Aufnahmen an andere Behörden als die Staatsanwaltschaft weiterzugeben.

Bisher gibt es keine bundeseinheitliche Regelung; die Länder verfahren nach Gusto, nach eigener Verordnung bzw. sie novellieren gerade ihre Polizeigesetze. Würde die Generalvollmacht, wie sie der Rechtsausschuß des Bundestages morgen berät, Bestandteil des Versammlungsrechts, dann bekäme die Polizei in einigen Ländern mehr Spielraum als bisher. Im SPD-regierten Schleswig-Holstein gilt bislang unter Innenminister Hans-Peter Bull, der früher Datenschutzbeauftragter in Bonn war, daß Aufnahmen, „die in Erwartung eines unfriedlichen, aber entgegen dieser Prognose tätsächlich friedlichen Verlaufs gefertigt worden sind“, umgehend vernichtet werden.

Würde von Bonn aus jetzt das hemmungslose Bilder-Sammeln bundesweit legalisiert, dann bekämen die Staatsschützer zu ihren vorhandenen Störer-Dateien die Illustrationen frei Haus geliefert - nutzbar für Präventiv-Verhaftungen genauso wie für das Anfertigen von „Bewegungs-Bildern“ im wörtlichen Sinn. „Die FDP hat der CSU damit eine Steilvorlage geliefert“, höhnen schon die Grünen.

Sogar zu einer ausgeklügelten Enteignungsmaßnahme haben sich die Liberalen, denen sonst das Privateigentum ein heilig Gut ist, durch die jüngste Koalitionsabsprache hinreißen lassen. Offenbar reicht es nicht mehr, daß das Mitnehmen einer der als „Ostfriesennerz“ bekannten gelben Öljacken bereits auf dem Weg zur Demo strafbar werden soll in Zunkunft sollen derartige „Schutzwaffen“ ebenso wie potentielle Vermummungsutensilien von der Polizei auf Nimmerwiedersehen eingezogen werden können, selbst wenn sie den Trägern gar nicht gehören. Hat Mami ihre wattierte Jacke also „leichtfertig“ an der Garderobe hängengelassen, schlägt fortan § 74a StGB zu, und Töchterchen kann die geborgte „passive Waffe“ kaum wieder zu Hause abliefern. Die Perfektionssucht der Sicherheitsfanatiker ist offensichtlich grenzenlos.

Wie wenig perfekt hingegen die amtliche Begründung des Sicherheitspakets ist, wurde jetzt durch eine Anfrage der Grünen Budestagsfraktion an die Regierung noch einmal erhellt. Der angebliche Anstieg „unfriedlicher Demonstrationen“ ist in Wirklichkeit ein Rückgang: 1987 waren es nach Angaben des Innenministeriums knapp vier Prozent, 1988 weniger als zwei Prozent. Zu Zeiten der Studentenrevolte hatte die Polizei noch ganz andere Werte errechnet: 26 Prozent 1968 36 Prozent gar im Jahr 1969. Und selbst in absoluten Zahlen gehen - bei heute drei- bis viermal so hoher Demohäufigkeit - die „unfriedlichen“ unter ihnen zurück: 533 wurden 1968 gezählt, jeweils zwischen 200 und 300 in den Jahren 82-87, im letzten Jahr nur noch 133.

Freunden der Militanz kann noch eine weitere Depression nicht erspart bleiben: Selbst bei diesen 133 Demos flog nicht unbedingt ein Stein. Denn in die Statistik der „Unfriedlichen“ gerät eine Demo schon, wenn es zu „übermäßiger Straßennutzung“ kommt, zu Lärm, Belästigungen oder „sicherheitsgefährdendem Fotografieren“.

Zurück zu den Liberalen: Ob die „sechs Aufrechten“, die bei der ersten Lesung des Gesetzes ihren Dissens anmeldeten, bei der Schlußabstimmung nun -vielleicht vermummt - zu Kreuze kriechen werden, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Die „Vorbehalte“ - betrifft: Filmen, Kronzeugen und passive Bewaffnung - können noch genau neun Tage lang gepflegt werden.

Charlotte Wiedemann